Donnerstag, 28. März 2024

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Merkel-Biograf: Papst-Schelte nicht verantwortlich für Umfragetief der Union

Der Buchautor Volker Resing vertritt die Ansicht, dass die Papst-Kritik von Angela Merkel im Zusammenhang mit dem Holocaust-Leugner Williamson "falsch und ungeschickt" war. Die Äußerungen der Kanzlerin hätten sicherlich einige katholische Unionsmitglieder verärgert. Gleichwohl sei Kritik am Papst auch im katholischen Milieu kein Tabu mehr und somit nicht für das Umfragetief der Partei verantwortlich, betonte der Schriftsteller, der eine neue Merkel-Biografie geschrieben hat.

Volker Resing im Gespräch mit Silvia Engels | 11.03.2009
    Silvia Engels: Manchmal hat man als Buchautor ja einfach Glück. Glück ist es, wenn pünktlich zum Erscheinungsdatum eines lang recherchierten Projekts auch die aktuelle politische Entwicklung auf das eigene Thema zuläuft. Im Fall von Volker Resing ist das so. Er ist Korrespondent unter anderem für die Verlagsgruppe Bistumspresse und Mitglied der Gesellschaft katholischer Publizisten Deutschlands und er stellt heute in Berlin seine Biografie der Bundeskanzlerin vor unter dem Titel "Angela Merkel - die Protestantin". Lange Zeit hat kaum jemand in der Union ernsthaft über die religiöse Verortung und den Wertekanon der Bundeskanzlerin nachgedacht, bis sich Angela Merkel Anfang Februar in den Streit um die Aufhebung der Exkommunikation des Holocaust-Leugners Williamson einschaltete.

    Angela Merkel: "Es geht hier darum, dass von Seiten des Papstes und des Vatikans sehr eindeutig klargestellt wird, dass es hier keine Leugnung geben kann, und diese Klarstellungen sind aus meiner Sicht noch nicht ausreichend erfolgt."

    Engels: Bundeskanzlerin Angela Merkel und am Telefon ist nun der Buchautor Volker Resing. Guten Morgen!

    Volker Resing: Guten Morgen!

    Engels: Wir haben die Stimme gerade noch einmal gehört. Wie sehr hat Bundeskanzlerin Merkel damit den konservativen christlichen Teil der Union gegen sich aufgebracht?

    Resing: Ich denke sicher, dass in der Form und auch in der Art und Weise diese Kritik viele verstört hat und sie auch falsch war, ungeschickt war. Das hat sicherlich auch einige aufgebracht. Ich glaube aber nicht mehr, dass Papst-Kritik auch im katholischen Milieu ein Tabu ist und dass es derart eine Verunsicherung im breiten Feld verursacht hätte.

    Engels: Laut einer neuen Emnid-Umfrage sagen immerhin 19 Prozent der Unionswähler, sie würden nicht zu den Wahlurnen gehen. Natürlich hat das nicht nur die Ursache in der Papst-Kritik, aber ist gerade im konservativen Flügel das Unzufriedenheitspotenzial in der Union so groß?

    Resing: Ich glaube, dass das im Moment überschätzt wird, auch die Sache mit Steinbach. Die generelle Unzufriedenheit, die ist sicherlich da, aber das lässt sich nicht an solchen kleinen Punkten ausmachen. Ich glaube sogar, dass das Gegenteil teilweise der Fall ist. Bei der Papst-Äußerung haben viele mir gesagt, dass sie eigentlich sogar die Äußerung oder die Intervention für richtig hielten, nur die Form und die Art sie gestört hat. Selbst in der Bischofskonferenz gab es einige, die froh waren, dass nun den Part der Kritik andere übernommen hatten und sie sich wieder in Zustimmung oder Solidarität mit dem Papst widmen konnten. Also das darf man nicht so einseitig sehen.

    Engels: Dann kommen wir vom speziellen Fall auf die generellen Linien. Sie schreiben in Ihrem Buch, die evangelische Pfarrerstochter Angela Merkel habe die katholisch geprägte CDU sehr verändert. Inwiefern?

    Resing: Die katholisch geprägte CDU hatte ein anderes Verständnis vom Umgang mit der Kirche, vom Zusammenspiel zwischen kirchlichen Positionen, dem persönlichen Glauben und dem politischen Handeln. Angela Merkel hatte ein anderes Verständnis. Für sie ist der persönliche Glaube Ausgangspunkt, um sich eine eigene Meinung zu bilden, aber nicht die kirchlichen Positionen so stark von Bedeutung. Deswegen ist Angela Merkel etwa in der Stammzellfrage mit sich im Reinen und hält sich auch als preußische Protestantin, wie ich sie bezeichnet habe, dort aufrecht. Sie würde die Differenz zur Katholischen Kirche nicht sehen als einen Mangel an Christlichkeit, zumal ja in der protestantischen Kirche etwa in diesem konkreten Fall auch andere Positionen vertreten wurden.

    Engels: Sie schreiben aber ja gerade, das protestantische Element bei Angela Merkel würde eine Rolle spielen. Wie wirkt sich das im politischen Alltagsgeschäft dann Ihrer Meinung nach aus?

    Resing: Angela Merkel ist eine Protestantin, aber sie lehnt diese alten Verquickungen oder diese hergebrachten Verquickungen von Politik und Religion ab. Sie meint, dass ein anderes Zusammenspiel dort angebracht wäre, und das stößt sicherlich in der katholisch geprägten CDU auf Widerstände und vor allem auch auf eine emotionale Unzufriedenheit. Es gibt Begebenheiten, wo die Kanzlerin sich mit der katholischen Bischofskonferenz trifft und etwa über christliche Flüchtlinge aus dem Irak debattiert, und die Bischöfe wünschen sich dann eine Solidaritätsadresse der Bundeskanzlerin aus der C-Partei, die sagt, hier helfen wir Christen. Die Kanzlerin hat hingegen ein argumentatives Herangehen und will für und wider mit den Bischöfen erörtern und ärgert sich dann hinterher, dass die Bischöfe so ein Einkuschelbedürfnis einer gemeinsamen Linie haben, und sagt, warum können nicht Argumente auf den Tisch, unter Umständen schadet es ja den Christen im Irak viel mehr, wenn wir nur Christen aufnehmen zum Beispiel. Also es gibt ein Dialogproblem. Man redet ein bisschen aneinander vorbei. So könnte man das vielleicht beschreiben.

    Engels: Herr Resing, Sie sprechen von der Enttäuschung, von der vielleicht auch emotionalen Enttäuschung, gerade des katholischen Establishments möglicherweise. Ist das jetzt, wo erstmals die Umfragewerte für Angela Merkel auch sinken, für die Union sinken, eine Möglichkeit, sich da für frühere Demütigungen zu rächen?

    Resing: Ich sehe es nicht so, dass Angela Merkel das katholische Establishment gedemütigt hat. Ich glaube, das ist zu hart ausgedrückt. Es gibt sozusagen in dieser engen Beziehung, die lange gehalten hat, zwischen Katholischer Kirche und CDU Verunsicherungen. Diese Verunsicherungen haben eben mit einem sehr unterschiedlichen Verständnis zu tun von Religion und Politik in der Öffentlichkeit. Beide Seiten tun gut daran, einander da besser zu verstehen. Angela Merkel möchte sich nicht das C absprechen lassen, nur weil sie nicht katholisch ist. Insgesamt sind die Christen in der Politik auf dem Rückzug und da ist die Frage auch für die Katholische Kirche, ob sie an Einfluss gewinnt, wenn sie sozusagen da nicht die Allianz mit den Protestanten sucht und damit auch mit Angela Merkel und stattdessen gar die Unterschiede hervorhebt. Das wird im Ganzen nicht dazu führen, dass aus Sicht der Kirchen das C in der Politik stärker wahrnehmbar wäre.

    Engels: Es wird ja nun auch angemerkt, dass viele CDU-Politiker im direkten Umfeld der Kanzlerin evangelisch sind und eben nicht katholisch, beispielsweise Volker Kauder. Wird so etwas überbewertet, oder spielt das eine Rolle?

    Resing: Nein. Ich glaube, das spielt eine sehr große Rolle, dass Christen in der Union durchaus aktiv sind und sich auch als Christen verstehen, auch etwa Wolfgang Schäuble, aber nicht diese eingeübte rheinisch-katholische Variante in der Union spielen, und das ist eine deutliche Veränderung, ganz gewiss.

    Engels: Sie stellen Angela Merkel als die Protestantin vor. Lernen wir in Ihrem Buch eine ganz andere Angela Merkel kennen?

    Resing: Nein, sicherlich nicht eine ganz andere. Sie ist eine Machtpolitikerin, eine Pragmatikerin, die nicht in dem Maße das "Politik erklären" als "mit Sinn geben" für sich entdeckt hat und für sich sinnvoll findet. Aber es ist eben eine preußische Protestantin, und dieser preußische Protestantismus ist eine durchaus sehr prägende Haltung für sie, und die sollte man sich ruhig mal genauer anschauen. Dazu gehört, dass sie durchaus auch Frömmigkeit schätzt, das Singen schätzt, Gottesdienste schätzt und auch Haltungen für wichtig hält. Es gibt von ihr die Anekdote, dass sie Demut für eine hohe Tugend hält und auch schon mal über den Flur des Kanzleramtes schreit, der muss mal demütiger werden, wenn einer der Selbstdarsteller in ihrem parteilichen Umfeld mal wieder es zu doll getrieben hat. Also ich glaube, dass man eine Kanzlerin, eine Parteivorsitzende kennen lernen kann, die eine durchaus Protestantin und bewusste Protestantin ist, aber das eben nicht so mit der Politik verzwecken will und verknüpfen will, wie wir das in der Bonner Zeit vielleicht gewohnt waren.

    Engels: Vielen Dank an Volker Resing. Er ist Autor der neuen Biografie "Angela Merkel - die Protestantin". Das Buch erscheint im St. Benno-Verlag heute und kostet 9,80 Euro.