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Merkel in Chemnitz
Besuch in einer gespaltenen Stadt

Nach den Ausschreitungen im August ist Chemnitz zum Ziel zahlreicher Politiker geworden. Nun besucht auch Bundeskanzlerin Angela Merkel die Stadt, die seither nicht mehr zur Ruhe gekommen ist. Anlässlich des Besuchs hat die rechte Vereinigung "Pro Chemnitz" zu einer Kundgebung aufgerufen.

Von Bastian Brandau | 16.11.2018
    Teilnehmer einer Demonstration der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz ziehen mit Deutschlandfahnen durch die Stadt.
    Teilnehmer einer Demonstration der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz ziehen im September mit Deutschlandfahnen durch die Stadt. (picuture alliance / ZB)
    Die Chemnitzer Brückenstraße, in der Nähe des Karl-Marx-Monuments am vergangenen Freitag. Polizisten filzen schwarz gekleidete Demonstranten an einer Absperrung. Das rechtsextreme Bündnis Pro Chemnitz hat zur Demonstration aufgerufen. Gut 1000 Menschen sind dem Aufruf des vom Verfassungsschutz beobachteten Rechtsanwalts Martin Kohlmann gefolgt. Wie fast jede Woche seit der tödlichen Auseinandersetzung auf dem Chemnitzer Stadtfest, bei der ein Mann starb. Tatverdächtig sind Asylsuchende.
    An diesem Abend des 9. November wird Kohlmann sich und seine Anhänger mit den Juden zur Zeit des Nationalsozialismus vergleichen. Auch ihnen sei es verboten gewesen, Waffen zu tragen.
    Einige hundert Meter weiter hängen rosafarbene Luftballons in der Oberleitung über der Kreuzung. Solidarität statt Rassismus ist das Motto der Menschen, die sich hier getroffen haben. Dabei sind: Grüne, Linke, SPD, die jüdische und die islamische Gemeinde. Veranstalterin ist das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus. Dessen Sprecherin, Gabriele Engelhardt, kurze Haare und Brille, hat die Demonstrierenden begrüßt. Dann stiegen Luftballons als Zeichen gegen Rassismus in den Himmel.
    Stimmung in der Stadt hat sich verändert
    "Besonders bin ich froh, dass wir sehr viele muslimische Mitbürgerinnen hier haben, von der jüdischen Gemeinde. Also eine bunte Mischung, wie Chemnitz auch ist. Und das wollen wir heute auch klar machen, dass die Bilder, die bisher von Chemnitz ausgegangen sind, mit Hetzjagden auf Flüchtlinge, mit Angriffen auf ausländische Restaurants, auf das jüdische Restaurant Schalom, das ist nicht Chemnitz, Chemnitz ist anders."
    Wie ins Mark getroffen wurde die Stadt im Spätsommer, als gewaltbereite Rechtsextreme durch die Stadt marschierten. Und sich zahlreiche Chemnitzerinnen und Chemnitzer Seite an Seite mit Neonazis zeigten. Pro Chemnitz habe damals die ‚Gunst der Stunde‘ für ihre radikale Stimmungsmache genutzt, sagt Engelhardt. Die Stimmung in der Stadt habe sich aber nicht erst seitdem verändert: "Islamfeindlichkeit, mittlerweile auch Antisemitismus ist wieder hoffähig geworden. Und es ist wirklich eine große Menge Menschen, die Sachen sagen, die man früher für undenkbar gehalten hat. Weil einfach da Leute losgestürmt sind mit Pegida und auch mit der AfD am Anfang."
    Angriffe auf ausländische Geschäfte
    Die Zahl der rassistisch motivierten Angriffe ist seit September stark gestiegen, sagen Opferschutzverbände wie der RAA Sachsen. Anfang Oktober verhaftete die Polizei mehrere mutmaßliche Mitglieder einer rechtsextremen Terrorgruppe. Auch sie waren bei Pro Chemnitz mitgelaufen. Polizeiwagen und Beamte sind seitdem präsent im Chemnitzer Stadtbild. Nicht verhindern konnten sie in den vergangenen Wochen Angriffe auf Restaurants mit koscherer, türkischer oder persischer Küche.
    "Ich habe den Fußboden geputzt, da habe ich drei Männer gesehen. Einer ist an der Tür geblieben, zwei sind reingekommen. Alle in schwarz, mit Motorradhelm."
    Masoud Hashemi erinnert sich an den Abend des 7. Oktober. Er machte gerade in seinem persischen Restaurant Safran Feierabend. Die Männer hätten den Hitlergruß gezeigt, randaliert und auf ihn eingeschlagen. Hashemi blieb eine Woche im Krankenhaus. In dieser Zeit und auch heute erhalte er viel Unterstützung, sagt er und zeigt einen Brief mit zwei Schokoherzen. Aber: Zwei persische Mitarbeiter haben gekündigt. Und auch er fühlt sich nicht mehr sicher, schließe jetzt immer direkt nach Feierabend die Tür ab, sagt Hashemi. Er hat Angst, dass sein Restaurant Ziel eines Brandanschlags werden könnte wie ein türkisches Restaurant in der Stadt. Aufgeben und wegziehen aber will Hashemi nicht: "Viele Ausländer denken, dass wenn sie sich nicht mehr sicher fühlen, gehen sie in eine andere Stadt, aber nein. Ich muss bleiben. Ich habe nicht Angst vor Nazis. Ich bleibe stark. Das hier ist jetzt meine Heimat, Chemnitz. Ich habe viele gute Freunde und viele sind für mich wie Geschwister. 90 Prozent sind bei mir, zehn Prozent sind krank."