Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Merkel in der Türkei
Signale am Bosporus

Sieben Gesprächspartner, zwei Stunden Zeit: Zum Auftakt ihrer Türkei-Reise hat Angela Merkel Vertreter der Zivilgesellschaft getroffen. Dabei ging es um die Situation im Land. Bei der Begegnung mit Präsident Recep Tayyip Erdogan dürfte dieses Thema allerdings kaum eine Rolle spielen.

Von Stephan Detjen | 23.05.2016
    Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdogan in Istanbul.
    Merkel bei ihrem Besuch in Istanbul im Oktober 2015 (picture-alliance / dpa / Türkisches Präsidialamt)
    Dem Anspruch des türkischen Präsidenten, sein Land allein und ausschließlich zu vertreten, wollte Angela Merkel ein Zeichen entgegensetzen: Am Vorabend des UN-Nothilfegipfels, an dessen Rande sie auch zum Vier-Augen-Gespräch mit Recep Tayyip Erdogan zusammentreffen wird, lud die Kanzlerin gestern sieben Vertreter der Zivilgesellschaft in ihr Hotel mit malerischem Blick auf den Bosporus. Zwei Stunden hörte Merkel vor allem zu, Teilnehmer der Runde waren unter anderen der Präsident der türkischen Rechtsanwaltskammer, Feyzioglou, der Politikwissenschaftler Fuat Keyman, der sich für den Friedensprozess mit den Kurden engagiert hatte, sowie Emma Sinclair-Webb von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die der Türkei erst kürzlich gewaltsames Vorgehen gegen Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze vorgeworfen hatte.
    Ihre "großen Sorgen" um die innenpolitische Entwicklung der Türkei unter der Präsidentschaft Erdogans hatte Merkel schon vor der Abreise in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung öffentlich ausgedrückt. Merkel monierte vor allem, dass der Prozess der Annäherung und Aussöhnung mit den Kurden abgebrochen sei.
    Ihre Besorgnis will die Kanzlerin auch am Nachmittag im persönlichen Gespräch mit Erdogan erläutern. Zu mehr als einem Austausch unterschiedlicher Haltungen zu Demokratie und Meinungsfreiheit dürfte es insoweit allerdings nicht kommen. Merkel weiß, dass Erdogan seine Politik dieser Tage ganz und gar dem Ziel unterordnet, seine Macht in einem neuartigen Präsidialsystem zu festigen.
    Erstes Treffen seit der Entmachtung Davutoglous
    Erkenntnisreicher dagegen könnte das Gespräch für Merkel werden, wenn die Rede auf die Flüchtlingspolitik kommt. Merkel trifft den Präsidenten zum ersten Mal seit der Entmachtung des am Wochenende auch förmlich aus dem Amt geschiedenen Premierministers Davutoglou, der bei den Verhandlungen über den türkisch-europäischen Pakt ihr Gegenüber gewesen war. Erdogan hatte sich schon kurz nach Abschluss des Pakts offen über die Vereinbarungen über die Rücknahme von Flüchtlingen aus Europa als Gegenleistung für vorzeitige Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger mokiert. Nachdem Erdogan deutlich gemacht hatte, dass er die Zusage über Änderungen der türkischen Anti-Terrorgesetze nicht einhalten werde, sind die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen blockiert. Merkel wird daher sondieren wollen, ob die Vereinbarungen über die Rücknahme von Flüchtlingen weiterhin Bestand haben. Von Europäischer Seite steht nach wie vor auch das Versprechen im Raum, geflüchtete Syrer im Rahmen von Kontingenten aufzunehmen. Auch wenn Merkel selbst an der Zusage festhalten will, wird sie Erdogan nicht zusagen können, dass sich auch die anderen EU-Partner daran halten werden.
    Offizieller Anlass für die Reise ist die Teilnahme an einem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen zur Nothilfe bei humanitären Krisen und Katastrophen. Dabei soll eine Agenda zur Verbesserung internationaler Hilfsmaßnahmen sowie zur Koordinierung staatlicher Entwicklungshilfe mit Nicht-Regierungsorganisationen verabschiedet werden. Neben Merkel und zahlreichen Staats- und Regierungschefs aus Afrika und Asien werden aus Europa unter anderem der britische Premierminister Cameron, die polnische Regierungschefin Szydło an dem Treffen unter Leitung von UN Generalsekretär Ban Ki-moon teilnehmen.