Dirk Müller: Die Beteiligten zeigen sich zufrieden, wie sollte es auch anders sein. Keine konkreten Vereinbarungen beim Weltwirtschaftsgipfel in Kanada, dafür aber die Absichtserklärung, die Neuverschuldung abzubauen. "Ein großer Erfolg", sagt die Kanzlerin.
O-Ton Angela Merkel: Der Zeitplan, bis 2013 eine Halbierung der Defizite zu haben, ist ja eine ganz klare Exit-Strategie. Wir gehen weg von den Konjunkturprogrammen, bei denen wir ja mehr Schulden gemacht haben, und halbieren als Industrieländer unsere Schulden bis 2013. Das ist sehr anspruchsvoll. Ehrlich gesagt ist es mehr, als ich erwartet habe, weil es doch sehr spezifisch ist, und dass dies von den Industrieländern insgesamt akzeptiert wird, das, finde ich, ist ein Erfolg.
Müller: So weit die Kanzlerin gestern beim Weltwirtschaftsgipfel in Toronto. – Keine gemeinsame Regulierung der Märkte, keine Beteiligung der Banken an den Folgekosten der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Staats- und Regierungschefs sind viele Antworten schuldig geblieben, sagen die Kritiker. Darüber sprechen wollen wir nun mit SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Guten Morgen!
Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Gabriel, war das 4:1 der Deutschen gestern ein klares Plädoyer für den Schuldenabbau?
Gabriel: Es war jedenfalls ein Plädoyer dafür, dass man erst investieren muss, bevor man Erfolge hat, denn die Jungs haben ja ordentlich trainiert und es war ein super Spiel. Und die Staats- und Regierungschefs, die haben eher ein 0:4 abgeliefert.
Müller: Und die Kanzlerin auch?
Gabriel: Angela Merkel ist natürlich da hingefahren, ohne eine abgestimmte Strategie mit den Europäern, und das ist eigentlich ihr größter Fehler. Sie hat das Verhältnis zu Frankreich und zu anderen europäischen Regierungschefs und Staaten so ruiniert, dass die Europäer da als Einzelkämpfer hinfahren, und wir haben keine Chance, wenn wir nicht mit einer gemeinsamen europäischen Position dort auftauchen, und sie ist ja ein bisschen wie ein begossener Pudel wieder nach Hause geschickt worden.
Müller: Aber auf dem letzten Gipfel der EU in Brüssel haben die Europäer doch noch einmal die Kurve bekommen?
Gabriel: Na ja, mit Formelkompromissen. Die Franzosen wollen, was ich übrigens richtig finde, nicht mit 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union versuchen, ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik abzustimmen, sondern mit den 16 Euro-Staaten. Wenn man das mit 27 macht, wie Frau Merkel das will, dann merkt man gleich, dass der eigentliche Plan ist, man will sich nicht abstimmen. Natürlich müssen wir Schulden abbauen, aber nicht mit Luftbuchungen, wie wir das hier machen, mit Scheinkürzungen. Und zweitens: Man muss parallel dazu natürlich investieren: in Bildung. Für private Investitionen tun wir überhaupt nichts. Wir haben eine miserable Netto-Investitionsquote bei den privaten Unternehmen und wenn Mittelständler jetzt in der Krise investieren wollen, dann müssen wir ihnen doch helfen. Da tut die Bundesregierung gar nichts, und das ist das, was die anderen Staaten an Deutschland kritisieren, und an der Stelle haben sie auch Recht.
Müller: Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Gabriel, schließen Sie Steuererhöhungen, auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes aus, damit der Mittelstand wieder nach vorne kommt?
Gabriel: Nein, nein! Ich bin der Überzeugung, dass wir den Spitzensteuersatz später beginnen lassen müssen, weil es natürlich Facharbeiter gibt und Ingenieure oder Vorarbeiter oder Angestellte, die liegen schon im Spitzensteuersatz, obwohl sie in Wahrheit ja nicht wohlhabend oder reich sind. Also man muss ihn später beginnen lassen und dafür allerdings auch höher machen. Und wir müssen das Geld, was wir dabei zusätzlich einnehmen, in die Bildung investieren, denn das ist im Interesse der Unternehmen. Wir haben nämlich nach drei Jahrzehnten Arbeitslosigkeit, wenn wir nicht aufpassen, drei Jahrzehnte Fachkräftemangel vor uns bei gleichzeitiger Arbeitslosigkeit. Aber das Schlimmste, was die Staats- und Regierungschefs gemacht haben, ist, dass sie zur Finanzmarktregulierung nichts gemacht haben. Nicht nur keine Finanzmarktbesteuerung, dass die Damen und Herren, die uns in die Krise reingeritten haben, mal mitbezahlen bei den Schulden, sondern sie haben die Märkte weiter unreguliert gelassen, sodass die nächste Krise kommen kann. Das, finde ich, ist der schlimmste Vorwurf, den man ihnen machen kann.
Müller: Aber was kann Angela Merkel dafür, wenn Barack Obama nicht mitmachen will?
Gabriel: Erstens hat Barack Obama im eigenen Land weit mehr durchgesetzt als Europa inzwischen bei der Trennung beispielsweise zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken. Hier scheitert das unter anderem am Widerstand der Bundesregierung. Und das sage ich ja: Wir müssen dort hinfahren, wenn wir mehr wollen, als Europäer und nicht als Einzelnationen, aber es gibt keine deutsch-französischen Initiativen, es gibt keine gemeinsam mit den Spaniern, mit den Skandinaviern. Wir versuchen das gar nicht, sondern wir haben so eine Haltung entwickelt nach dem Motto, was stört uns da der Rest, wir Deutschen sind stark genug. Am Ende sind wir aber diejenigen, die von einer funktionierenden Weltwirtschaft am meisten abhängen, denn wir leben vom Export in unserem Land.
Müller: Haben dann, Herr Gabriel, die Medien das falsch verstanden, dass Angela Merkel für die Finanztransaktionssteuer eintreten will, für die Bankenabgabe?
Gabriel: Das ist sie, aber sie selber hat von Anfang an gesagt, dass es dort keine Chance gibt, und richtig wäre es gewesen, das zu tun, was der konservative Ministerpräsident von Luxemburg – er ist immerhin Vorsitzender der Euro-Gruppe – gesagt hat, lasst uns das jetzt als 16er-Runde in der Währungsunion machen, dort funktioniert es, und lasst uns nicht darauf warten, dass auf internationalen Gremien was passiert.
Müller: Ist das ein klares Plädoyer für einen europäischen Alleingang?
Gabriel: Aber sicher! Das hat Europa im Umweltschutz gemacht, das haben wir im Klimaschutz gemacht, das haben wir bei der Währungsunion gemacht. Wir haben in Europa was anzubieten! Wir sind doch nicht irgendwie sozusagen ein kleiner Teil der Welt, sondern wir haben einen Riesen Binnenmarkt, aber den muss man eben auch vernünftig regulieren und man muss aufpassen, dass wir unsere Märkte nicht zur Beute der Finanzmärkte werden lassen. Das fordern ja nicht nur Sozialdemokraten, sondern wie gesagt auch Konservative. Wir müssen in Europa zeigen, wie es anders geht, und das haben wir unter Schmidt und Giscard d'Estaing, auch unter Helmut Kohl, auch unter Gerhard Schröder immer wieder geschafft und leider ist das jetzt total anders geworden.
Müller: Was halten Sie dem Argument entgegen, dass wenn so eine Transaktionssteuer kommt, also eine Belastung der Märkte, wie auch gegebenenfalls eine Bankenabgabe, dass dann das Kapital wieder davonläuft?
Gabriel: Erstens ist der Euro-Raum viel zu interessant und zweitens: wenn es bestimmte Spekulationen dann bei uns nicht gibt, umso besser!
Müller: Sie meinen interessant wegen Griechenland?
Gabriel: Interessant wegen Deutschland. Ich meine, machen Sie es jetzt nicht albern. Ich meine, wir können ein solches Interview jetzt nicht auf einer Ebene führen nach dem Motto, als sei Europa mit der griechischen Staatskrise zu vergleichen.
Müller: Aber eine Euro-Krise gibt es nicht aus Ihrer Sicht?
Gabriel: Entschuldigung! Sie haben eben versucht, Europa ein bisschen sozusagen als Schwächling darzustellen. Das ist es nicht! Und gucken Sie sich unser Land an, Frankreich, Spanien, Skandinavien, die Benelux-Länder. Wir sind ja nicht irgendeine sozusagen kleine Insel auf der Welt, das ist schon ein wirtschaftlich starker Kontinent, wenn er zusammenhält. Wir haben in Deutschland mal eine kluge Entscheidung getroffen, als wir die erste Wirtschaftskrise hatten. Wir haben damals 1966 gesagt, die Parole von Ludwig Erhard "nur Sparen" ist falsch, und stattdessen kam Karl Schiller und hat mit Helmut Schmidt gemeinsam gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass Preisstabilität, Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Außenhandelsgleichgewicht als vier gleichrangige Ziele der Wirtschaftspolitik gelten. Wenn wir das auf europäische Ebene übertragen würden, also weniger Ludwig Erhard, mehr Karl Schiller und Helmut Schmidt, dann würden wir auch wieder höhere Wachstumszahlen bei gleichzeitiger Entschuldung haben, und das ist ein europäisches Erfolgsmodell. Das sagen wie gesagt nicht nur Sozialdemokraten, das sagen auch Konservative in Europa. Das Problem ist, dass die Bundesregierung leider eine ist, die so sehr mit sich selbst zu tun hat, dass sie nicht in der Lage ist, europäisch zusammenzuarbeiten.
Müller: Also Sparen ja, das sagen Sie auch, aber keine weiteren Konjunkturprogramme?
Gabriel: Nein. Wir können kein staatlich finanziertes Konjunkturprogramm in der Größenordnung auflegen, wie wir es gemacht haben. Diese Schulden – da braucht man ja nicht den Versuch zu machen, uns zu entschulden, aber was wir machen können ist: Wir können die Städte und Gemeinden endlich wieder in die Lage versetzen, ihre Aufgaben zu machen. 60 Prozent der öffentlichen Investitionen kommen normalerweise aus den Städten und Gemeinden. Die sind aber so ausgeblutet. Und das Zweite ist: Wir müssen, finde ich, was dafür tun, dass private Unternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen stärker investieren, und das kann man dadurch machen, dass wenn ein solches Unternehmen mutig ist und in der Krise investiert wir denen sagen, also, du kannst deine Investitionen sofort abschreiben, wir geben dir Steuernachlasse, wenn du in Forschung und Entwicklung investiert, wir geben dir eine Investitionszulage, wenn du in Maschinen investierst, die dich wettbewerbsfähiger machen. Das sind Anreize für die private Wirtschaft und das werden wir nicht auf Schuldenbasis bezahlen können, und deswegen brauchen wir auch höhere Steuern, beispielsweise im Bereich des Spitzensteuersatzes, aber eben auch dringend in Europa die Finanzmarktbesteuerung, weil natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger – wie sollen wir denen erklären, dass sie nicht Schuld haben an der Krise, aber sie sollen als einzige die Schulden zurückbezahlen, und die, die Schuld haben, die Ackermänner dieser Welt, die lassen wir einfach laufen -, wie sollen wir ihnen das erklären?
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Gabriel: Ja, bitte. Tschüss!
O-Ton Angela Merkel: Der Zeitplan, bis 2013 eine Halbierung der Defizite zu haben, ist ja eine ganz klare Exit-Strategie. Wir gehen weg von den Konjunkturprogrammen, bei denen wir ja mehr Schulden gemacht haben, und halbieren als Industrieländer unsere Schulden bis 2013. Das ist sehr anspruchsvoll. Ehrlich gesagt ist es mehr, als ich erwartet habe, weil es doch sehr spezifisch ist, und dass dies von den Industrieländern insgesamt akzeptiert wird, das, finde ich, ist ein Erfolg.
Müller: So weit die Kanzlerin gestern beim Weltwirtschaftsgipfel in Toronto. – Keine gemeinsame Regulierung der Märkte, keine Beteiligung der Banken an den Folgekosten der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Staats- und Regierungschefs sind viele Antworten schuldig geblieben, sagen die Kritiker. Darüber sprechen wollen wir nun mit SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Guten Morgen!
Sigmar Gabriel: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Gabriel, war das 4:1 der Deutschen gestern ein klares Plädoyer für den Schuldenabbau?
Gabriel: Es war jedenfalls ein Plädoyer dafür, dass man erst investieren muss, bevor man Erfolge hat, denn die Jungs haben ja ordentlich trainiert und es war ein super Spiel. Und die Staats- und Regierungschefs, die haben eher ein 0:4 abgeliefert.
Müller: Und die Kanzlerin auch?
Gabriel: Angela Merkel ist natürlich da hingefahren, ohne eine abgestimmte Strategie mit den Europäern, und das ist eigentlich ihr größter Fehler. Sie hat das Verhältnis zu Frankreich und zu anderen europäischen Regierungschefs und Staaten so ruiniert, dass die Europäer da als Einzelkämpfer hinfahren, und wir haben keine Chance, wenn wir nicht mit einer gemeinsamen europäischen Position dort auftauchen, und sie ist ja ein bisschen wie ein begossener Pudel wieder nach Hause geschickt worden.
Müller: Aber auf dem letzten Gipfel der EU in Brüssel haben die Europäer doch noch einmal die Kurve bekommen?
Gabriel: Na ja, mit Formelkompromissen. Die Franzosen wollen, was ich übrigens richtig finde, nicht mit 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union versuchen, ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik abzustimmen, sondern mit den 16 Euro-Staaten. Wenn man das mit 27 macht, wie Frau Merkel das will, dann merkt man gleich, dass der eigentliche Plan ist, man will sich nicht abstimmen. Natürlich müssen wir Schulden abbauen, aber nicht mit Luftbuchungen, wie wir das hier machen, mit Scheinkürzungen. Und zweitens: Man muss parallel dazu natürlich investieren: in Bildung. Für private Investitionen tun wir überhaupt nichts. Wir haben eine miserable Netto-Investitionsquote bei den privaten Unternehmen und wenn Mittelständler jetzt in der Krise investieren wollen, dann müssen wir ihnen doch helfen. Da tut die Bundesregierung gar nichts, und das ist das, was die anderen Staaten an Deutschland kritisieren, und an der Stelle haben sie auch Recht.
Müller: Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Gabriel, schließen Sie Steuererhöhungen, auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes aus, damit der Mittelstand wieder nach vorne kommt?
Gabriel: Nein, nein! Ich bin der Überzeugung, dass wir den Spitzensteuersatz später beginnen lassen müssen, weil es natürlich Facharbeiter gibt und Ingenieure oder Vorarbeiter oder Angestellte, die liegen schon im Spitzensteuersatz, obwohl sie in Wahrheit ja nicht wohlhabend oder reich sind. Also man muss ihn später beginnen lassen und dafür allerdings auch höher machen. Und wir müssen das Geld, was wir dabei zusätzlich einnehmen, in die Bildung investieren, denn das ist im Interesse der Unternehmen. Wir haben nämlich nach drei Jahrzehnten Arbeitslosigkeit, wenn wir nicht aufpassen, drei Jahrzehnte Fachkräftemangel vor uns bei gleichzeitiger Arbeitslosigkeit. Aber das Schlimmste, was die Staats- und Regierungschefs gemacht haben, ist, dass sie zur Finanzmarktregulierung nichts gemacht haben. Nicht nur keine Finanzmarktbesteuerung, dass die Damen und Herren, die uns in die Krise reingeritten haben, mal mitbezahlen bei den Schulden, sondern sie haben die Märkte weiter unreguliert gelassen, sodass die nächste Krise kommen kann. Das, finde ich, ist der schlimmste Vorwurf, den man ihnen machen kann.
Müller: Aber was kann Angela Merkel dafür, wenn Barack Obama nicht mitmachen will?
Gabriel: Erstens hat Barack Obama im eigenen Land weit mehr durchgesetzt als Europa inzwischen bei der Trennung beispielsweise zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken. Hier scheitert das unter anderem am Widerstand der Bundesregierung. Und das sage ich ja: Wir müssen dort hinfahren, wenn wir mehr wollen, als Europäer und nicht als Einzelnationen, aber es gibt keine deutsch-französischen Initiativen, es gibt keine gemeinsam mit den Spaniern, mit den Skandinaviern. Wir versuchen das gar nicht, sondern wir haben so eine Haltung entwickelt nach dem Motto, was stört uns da der Rest, wir Deutschen sind stark genug. Am Ende sind wir aber diejenigen, die von einer funktionierenden Weltwirtschaft am meisten abhängen, denn wir leben vom Export in unserem Land.
Müller: Haben dann, Herr Gabriel, die Medien das falsch verstanden, dass Angela Merkel für die Finanztransaktionssteuer eintreten will, für die Bankenabgabe?
Gabriel: Das ist sie, aber sie selber hat von Anfang an gesagt, dass es dort keine Chance gibt, und richtig wäre es gewesen, das zu tun, was der konservative Ministerpräsident von Luxemburg – er ist immerhin Vorsitzender der Euro-Gruppe – gesagt hat, lasst uns das jetzt als 16er-Runde in der Währungsunion machen, dort funktioniert es, und lasst uns nicht darauf warten, dass auf internationalen Gremien was passiert.
Müller: Ist das ein klares Plädoyer für einen europäischen Alleingang?
Gabriel: Aber sicher! Das hat Europa im Umweltschutz gemacht, das haben wir im Klimaschutz gemacht, das haben wir bei der Währungsunion gemacht. Wir haben in Europa was anzubieten! Wir sind doch nicht irgendwie sozusagen ein kleiner Teil der Welt, sondern wir haben einen Riesen Binnenmarkt, aber den muss man eben auch vernünftig regulieren und man muss aufpassen, dass wir unsere Märkte nicht zur Beute der Finanzmärkte werden lassen. Das fordern ja nicht nur Sozialdemokraten, sondern wie gesagt auch Konservative. Wir müssen in Europa zeigen, wie es anders geht, und das haben wir unter Schmidt und Giscard d'Estaing, auch unter Helmut Kohl, auch unter Gerhard Schröder immer wieder geschafft und leider ist das jetzt total anders geworden.
Müller: Was halten Sie dem Argument entgegen, dass wenn so eine Transaktionssteuer kommt, also eine Belastung der Märkte, wie auch gegebenenfalls eine Bankenabgabe, dass dann das Kapital wieder davonläuft?
Gabriel: Erstens ist der Euro-Raum viel zu interessant und zweitens: wenn es bestimmte Spekulationen dann bei uns nicht gibt, umso besser!
Müller: Sie meinen interessant wegen Griechenland?
Gabriel: Interessant wegen Deutschland. Ich meine, machen Sie es jetzt nicht albern. Ich meine, wir können ein solches Interview jetzt nicht auf einer Ebene führen nach dem Motto, als sei Europa mit der griechischen Staatskrise zu vergleichen.
Müller: Aber eine Euro-Krise gibt es nicht aus Ihrer Sicht?
Gabriel: Entschuldigung! Sie haben eben versucht, Europa ein bisschen sozusagen als Schwächling darzustellen. Das ist es nicht! Und gucken Sie sich unser Land an, Frankreich, Spanien, Skandinavien, die Benelux-Länder. Wir sind ja nicht irgendeine sozusagen kleine Insel auf der Welt, das ist schon ein wirtschaftlich starker Kontinent, wenn er zusammenhält. Wir haben in Deutschland mal eine kluge Entscheidung getroffen, als wir die erste Wirtschaftskrise hatten. Wir haben damals 1966 gesagt, die Parole von Ludwig Erhard "nur Sparen" ist falsch, und stattdessen kam Karl Schiller und hat mit Helmut Schmidt gemeinsam gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass Preisstabilität, Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Außenhandelsgleichgewicht als vier gleichrangige Ziele der Wirtschaftspolitik gelten. Wenn wir das auf europäische Ebene übertragen würden, also weniger Ludwig Erhard, mehr Karl Schiller und Helmut Schmidt, dann würden wir auch wieder höhere Wachstumszahlen bei gleichzeitiger Entschuldung haben, und das ist ein europäisches Erfolgsmodell. Das sagen wie gesagt nicht nur Sozialdemokraten, das sagen auch Konservative in Europa. Das Problem ist, dass die Bundesregierung leider eine ist, die so sehr mit sich selbst zu tun hat, dass sie nicht in der Lage ist, europäisch zusammenzuarbeiten.
Müller: Also Sparen ja, das sagen Sie auch, aber keine weiteren Konjunkturprogramme?
Gabriel: Nein. Wir können kein staatlich finanziertes Konjunkturprogramm in der Größenordnung auflegen, wie wir es gemacht haben. Diese Schulden – da braucht man ja nicht den Versuch zu machen, uns zu entschulden, aber was wir machen können ist: Wir können die Städte und Gemeinden endlich wieder in die Lage versetzen, ihre Aufgaben zu machen. 60 Prozent der öffentlichen Investitionen kommen normalerweise aus den Städten und Gemeinden. Die sind aber so ausgeblutet. Und das Zweite ist: Wir müssen, finde ich, was dafür tun, dass private Unternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen stärker investieren, und das kann man dadurch machen, dass wenn ein solches Unternehmen mutig ist und in der Krise investiert wir denen sagen, also, du kannst deine Investitionen sofort abschreiben, wir geben dir Steuernachlasse, wenn du in Forschung und Entwicklung investiert, wir geben dir eine Investitionszulage, wenn du in Maschinen investierst, die dich wettbewerbsfähiger machen. Das sind Anreize für die private Wirtschaft und das werden wir nicht auf Schuldenbasis bezahlen können, und deswegen brauchen wir auch höhere Steuern, beispielsweise im Bereich des Spitzensteuersatzes, aber eben auch dringend in Europa die Finanzmarktbesteuerung, weil natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger – wie sollen wir denen erklären, dass sie nicht Schuld haben an der Krise, aber sie sollen als einzige die Schulden zurückbezahlen, und die, die Schuld haben, die Ackermänner dieser Welt, die lassen wir einfach laufen -, wie sollen wir ihnen das erklären?
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Gabriel: Ja, bitte. Tschüss!