Heinrich Oberreuter: Guten Tag.
Koczian: Schwelende Konflikte bedeuten Zeitbomben. Insofern könnte man sagen, die Personalfrage musste einmal gelöst werden, und wenn die Union wegen der Gesundheitsfrage ohnehin in Negativschlagzeilen steht, war es günstig die Personalfrage jetzt zu klären. Aber welchen Verlust bedeutet denn der Abgang Merz' für die Union?
Koczian: Es ist natürlich ein spürbarer Verlust an Ausstrahlungskraft und wahrscheinlich auch an Kompetenz. Selbst wenn er in der Bundestagsfraktion bleibt, wird es doch einen anderen Sprecher geben für sein Spezialgebiet und die parlamentarische Rang- und Hackordnung sieht halt immer vor, dass die Sprecher ihr Werk verrichten. Ein Rückzug in einer solchen Situation ist dann zum Zweiten auch immer ein Image- und Prestigeverlust für die Führung insgesamt.
Koczian: Hätte er vielleicht nicht besser warten können? Denn rhetorisch war er noch keineswegs schlechter als Angela Merkel.
Oberreuter: Der Zeitpunkt des Rückzugs ist natürlich von rhetorischen Fähigkeiten relativ unabhängig. Die Frage ist natürlich, welcher Zeitpunkt ist überhaupt günstig, noch dazu in einer Situation, in der Herr Merz offensichtlich schon lange gewartet hat, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen. Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen? Es droht dann die Nähe zur Bundestagswahl, es gab eigentlich nach 2002 angesichts des Wahlmarathons seither und der Hochebene, die die Union in der Wählergunst erreicht hatte, keinen leichten Zeitpunkt für eine solche Entscheidung. Offensichtlich paart sich die Grundsatzüberlegung zu einem Teilrückzug mit den aktuellen Querelen um die Sozialpolitik und mit der Vermutung, das eigene, einfache Steuerkonzept und auch die ordnungspolitische Linie gegenüber den Sozialpolitikern in der Union nicht so durchsetzen zu können, wie es Merz gerne gehabt hätte.
Koczian: Auch sachliche Motive, nicht nur persönliche Konkurrenz?
Oberreuter: Mit Sicherheit auch sachliche Motive, wobei man dann natürlich auch sehen muss, solche sachlichen Motive drängen immer dann in den Vordergrund, wenn einem das ganze Klima und das ganze Ambiente nicht sonderlich behagt.
Koczian: Man sagt ja Konrad Adenauer nach, seine geringe Begeisterung für Wiedervereinigungen beruhte auf dem Wunsch nach einem katholisch-rheinischen Deutschland ohne Preußen und Protestanten, da vergaß man wohl die Hansestädte. Aber der Topos lebt und in der Thüringer Zeitung ist auch heute zu lesen, die katholische Herrenriege mache Front gegen die Protestantin aus dem Osten. Mehr als eine Verschwörungstheorie?
Oberreuter: Es wäre ja schön, wenn das Parteiensystem noch nach den alten Mechanismen funktionieren würde, die wir bis in die Weimarer Republik hinein gekannt haben. Wobei man das durchaus auch auf den Kern bringen kann. Es gibt natürlich Unterschiede in der politischen Sozialisation, die aber am wenigsten konfessionell, glaube ich, begründet sind. Ich würde mal sagen, Angela Merkel stammt natürlich aus dem Osten, das wissen wir, aber das bedeutet im Grunde die Abwesenheit einer Sozialisation in einem gewissen bürgerlichen Milieu, das ja für die CDU so bestimmend geblieben ist, das natürlich ursprünglich auch konfessionell geprägt war, aber immer weniger von solchen Faktoren beeinflusst ist. Es fehlt ihr natürlich auch in gewisser Weise die lang dauernde Sozialisation in einer politischen Familie, so wie sie für die Herrenriege zutrifft, die sich im Grunde ja seit der Jungen Union, seit ihrer Abgeordnetenzeit, seit irgendwelcher nachgeordneter Vorstandspositionen bis jetzt hin in Ministerpräsidentenämter. Die haben das alles gemeinsam durchlaufen und kennen sich über Jahrzehnte, insofern ist sie aus individualbiographischen Gründen, die sie gar nicht zu verantworten hat, eine gewissen Außenseiterin. Man muss auf der anderen Seite sagen, die Mechanismen des Machtspiels innerhalb der Partei, die hat sie sich gut angeeignet, erstaunlich gut, bis hin zur personalpolitischen Rücksichtslosigkeit, unter der ja auch Herr Merz gelitten hat. Aber dass hier ein anderer Erfahrungshintergrund vorliegt und eben eine Nichtzuordnung zu einem parteibestimmenden Milieu, das ist sicher richtig. Aber so wie die Zeitung das vermutet, dass dies eine Revolte von alten Solidaritäten wäre, das halte ich für ziemlich abwegig.
Koczian: Nun hat ja Angela Merkel gerade, wir haben es gemeldet, eine andere politische Ohrfeige erhalten. Die nordrhein-westfälische CDU, die sich im Wahlkampf befindet, lehnt eine Unterschriftenkampagne in Sachen Türkeibeitritt ab. Bietet die Union nicht da ohnehin ein Rätsel? Sie war ja schon immer für Leopardpanzer für die Türkei, andererseits dachte sie eben an diese Unterschriftenaktion, hier gute Türken, da nicht so gute Türken. Wie lange hätte man diesen Spagat überhaupt durchstehen können?
Oberreuter: Die Union bietet vielfältige Rätsel. Ich muss mir die Abschweifung jetzt erlauben, weil sie ja auch in der ausschlaggebenden oder initialzündenden Frage, die sie in den demoskopischen Umfrage ja auch auf die abschüssige Bahn gebracht haben, nämlich in der Frage der Gesundheitsreform, sich den Luxus leistet, unklare Konzepte, widersprüchliche Konzepte, Nichtlösungen oder Scheinlösungen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Alles auch ein bisschen kalkuliert vor dem Hintergrund der tagesaktuellen Opportunität, und das führt natürlich jetzt wieder auch zur Türkeifrage. Man muss ja doch sehen, dass Helmut Kohl als Kanzler die Türen zur EU für die Türkei weit aufgestoßen hat. Wenn das nicht symbolisch gemeint war und mit der Hinterlist behaftet, dass das sowieso nichts wird angesichts der kulturellen Differenzen, dann läge eigentlich die Öffnung der EU für die Türkei auch begründet, nicht zuletzt, in der Politik der Union. Was nun also mit der Unterschriftenaktion, ihrer Zustimmung und ihrer Ablehnung passiert, ist genauso opportunistisch.
Die Union, Frau Merkel braucht im Grunde ein Konsensthema, ein Thema, das durch Emotionen Wähler mobilisiert, um über die demoskopischen Schwächen hinwegzutäuschen und da kommen nun wieder andere und sagen, man weiß nicht, ob man den Geist wieder in die Flasche zurückstoßen kann, den man damit vielleicht in die Wirklichkeit entlässt. Auch wenn man das noch so gut meint und noch so gut verbrämt, in Wahrheit wird das bei der Bevölkerung doch so ankommen, ich unterschreibe hier gegen die Türken. Insofern muss man jetzt das Votum in Nordrhein-Westfalen hin wiederum nicht unbedingt als eine zusätzliche Spitze gegen die Vorsitzende interpretieren. Die Situation neigt eigentlich dazu, dass man genau dies tut, aber es könnte eben auch ein Votum sein für einen vernünftigen politischen Stil, gegen den wir auch wenig einzuwenden hätten.
Koczian: Schwelende Konflikte bedeuten Zeitbomben. Insofern könnte man sagen, die Personalfrage musste einmal gelöst werden, und wenn die Union wegen der Gesundheitsfrage ohnehin in Negativschlagzeilen steht, war es günstig die Personalfrage jetzt zu klären. Aber welchen Verlust bedeutet denn der Abgang Merz' für die Union?
Koczian: Es ist natürlich ein spürbarer Verlust an Ausstrahlungskraft und wahrscheinlich auch an Kompetenz. Selbst wenn er in der Bundestagsfraktion bleibt, wird es doch einen anderen Sprecher geben für sein Spezialgebiet und die parlamentarische Rang- und Hackordnung sieht halt immer vor, dass die Sprecher ihr Werk verrichten. Ein Rückzug in einer solchen Situation ist dann zum Zweiten auch immer ein Image- und Prestigeverlust für die Führung insgesamt.
Koczian: Hätte er vielleicht nicht besser warten können? Denn rhetorisch war er noch keineswegs schlechter als Angela Merkel.
Oberreuter: Der Zeitpunkt des Rückzugs ist natürlich von rhetorischen Fähigkeiten relativ unabhängig. Die Frage ist natürlich, welcher Zeitpunkt ist überhaupt günstig, noch dazu in einer Situation, in der Herr Merz offensichtlich schon lange gewartet hat, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen. Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen? Es droht dann die Nähe zur Bundestagswahl, es gab eigentlich nach 2002 angesichts des Wahlmarathons seither und der Hochebene, die die Union in der Wählergunst erreicht hatte, keinen leichten Zeitpunkt für eine solche Entscheidung. Offensichtlich paart sich die Grundsatzüberlegung zu einem Teilrückzug mit den aktuellen Querelen um die Sozialpolitik und mit der Vermutung, das eigene, einfache Steuerkonzept und auch die ordnungspolitische Linie gegenüber den Sozialpolitikern in der Union nicht so durchsetzen zu können, wie es Merz gerne gehabt hätte.
Koczian: Auch sachliche Motive, nicht nur persönliche Konkurrenz?
Oberreuter: Mit Sicherheit auch sachliche Motive, wobei man dann natürlich auch sehen muss, solche sachlichen Motive drängen immer dann in den Vordergrund, wenn einem das ganze Klima und das ganze Ambiente nicht sonderlich behagt.
Koczian: Man sagt ja Konrad Adenauer nach, seine geringe Begeisterung für Wiedervereinigungen beruhte auf dem Wunsch nach einem katholisch-rheinischen Deutschland ohne Preußen und Protestanten, da vergaß man wohl die Hansestädte. Aber der Topos lebt und in der Thüringer Zeitung ist auch heute zu lesen, die katholische Herrenriege mache Front gegen die Protestantin aus dem Osten. Mehr als eine Verschwörungstheorie?
Oberreuter: Es wäre ja schön, wenn das Parteiensystem noch nach den alten Mechanismen funktionieren würde, die wir bis in die Weimarer Republik hinein gekannt haben. Wobei man das durchaus auch auf den Kern bringen kann. Es gibt natürlich Unterschiede in der politischen Sozialisation, die aber am wenigsten konfessionell, glaube ich, begründet sind. Ich würde mal sagen, Angela Merkel stammt natürlich aus dem Osten, das wissen wir, aber das bedeutet im Grunde die Abwesenheit einer Sozialisation in einem gewissen bürgerlichen Milieu, das ja für die CDU so bestimmend geblieben ist, das natürlich ursprünglich auch konfessionell geprägt war, aber immer weniger von solchen Faktoren beeinflusst ist. Es fehlt ihr natürlich auch in gewisser Weise die lang dauernde Sozialisation in einer politischen Familie, so wie sie für die Herrenriege zutrifft, die sich im Grunde ja seit der Jungen Union, seit ihrer Abgeordnetenzeit, seit irgendwelcher nachgeordneter Vorstandspositionen bis jetzt hin in Ministerpräsidentenämter. Die haben das alles gemeinsam durchlaufen und kennen sich über Jahrzehnte, insofern ist sie aus individualbiographischen Gründen, die sie gar nicht zu verantworten hat, eine gewissen Außenseiterin. Man muss auf der anderen Seite sagen, die Mechanismen des Machtspiels innerhalb der Partei, die hat sie sich gut angeeignet, erstaunlich gut, bis hin zur personalpolitischen Rücksichtslosigkeit, unter der ja auch Herr Merz gelitten hat. Aber dass hier ein anderer Erfahrungshintergrund vorliegt und eben eine Nichtzuordnung zu einem parteibestimmenden Milieu, das ist sicher richtig. Aber so wie die Zeitung das vermutet, dass dies eine Revolte von alten Solidaritäten wäre, das halte ich für ziemlich abwegig.
Koczian: Nun hat ja Angela Merkel gerade, wir haben es gemeldet, eine andere politische Ohrfeige erhalten. Die nordrhein-westfälische CDU, die sich im Wahlkampf befindet, lehnt eine Unterschriftenkampagne in Sachen Türkeibeitritt ab. Bietet die Union nicht da ohnehin ein Rätsel? Sie war ja schon immer für Leopardpanzer für die Türkei, andererseits dachte sie eben an diese Unterschriftenaktion, hier gute Türken, da nicht so gute Türken. Wie lange hätte man diesen Spagat überhaupt durchstehen können?
Oberreuter: Die Union bietet vielfältige Rätsel. Ich muss mir die Abschweifung jetzt erlauben, weil sie ja auch in der ausschlaggebenden oder initialzündenden Frage, die sie in den demoskopischen Umfrage ja auch auf die abschüssige Bahn gebracht haben, nämlich in der Frage der Gesundheitsreform, sich den Luxus leistet, unklare Konzepte, widersprüchliche Konzepte, Nichtlösungen oder Scheinlösungen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Alles auch ein bisschen kalkuliert vor dem Hintergrund der tagesaktuellen Opportunität, und das führt natürlich jetzt wieder auch zur Türkeifrage. Man muss ja doch sehen, dass Helmut Kohl als Kanzler die Türen zur EU für die Türkei weit aufgestoßen hat. Wenn das nicht symbolisch gemeint war und mit der Hinterlist behaftet, dass das sowieso nichts wird angesichts der kulturellen Differenzen, dann läge eigentlich die Öffnung der EU für die Türkei auch begründet, nicht zuletzt, in der Politik der Union. Was nun also mit der Unterschriftenaktion, ihrer Zustimmung und ihrer Ablehnung passiert, ist genauso opportunistisch.
Die Union, Frau Merkel braucht im Grunde ein Konsensthema, ein Thema, das durch Emotionen Wähler mobilisiert, um über die demoskopischen Schwächen hinwegzutäuschen und da kommen nun wieder andere und sagen, man weiß nicht, ob man den Geist wieder in die Flasche zurückstoßen kann, den man damit vielleicht in die Wirklichkeit entlässt. Auch wenn man das noch so gut meint und noch so gut verbrämt, in Wahrheit wird das bei der Bevölkerung doch so ankommen, ich unterschreibe hier gegen die Türken. Insofern muss man jetzt das Votum in Nordrhein-Westfalen hin wiederum nicht unbedingt als eine zusätzliche Spitze gegen die Vorsitzende interpretieren. Die Situation neigt eigentlich dazu, dass man genau dies tut, aber es könnte eben auch ein Votum sein für einen vernünftigen politischen Stil, gegen den wir auch wenig einzuwenden hätten.