
Vorige Woche erzählte Julian Kinzel einem NDR-Fernsehreporter, was sich kurz zuvor am Montagnachmittag in der Nähe des Bahnhofs von Wismar zugetragen habe: Drei wohl rechtsradikale Männer – einer davon jedenfalls in szene-typischer Thor-Steinar-Kleidung - hätten ihn mit den Worten "schwule Kommunisten-Sau" beschimpft und zu Boden geworfen.
"Anschließend sind die dann über mich hergefallen. Der eine hat dann halt ein Messer gezückt und mehrmals versucht, mich anzugreifen. Ich habe dann versucht, mich zu verteidigen. Das ist auch größtenteils gelungen."
Dennoch habe er etliche Schnittwunden davongetragen, sagte der 18-Jährige und krempelte einen Jackenärmel bis zum Ellenbogen hoch. Zu sehen waren mehrere vertikale Schnittwunden – alle ähnlich lang und tief. Dass nichts Schlimmeres passiert sei, habe er seinem Wintermantel zu verdanken, so Julian Kinzel.
Dass der junge Mann diesen brutalen Überfall erst am darauffolgenden Tag angezeigt hatte und dann auch noch nur über die sogenannte Internet-Wache statt persönlich – das fanden die Behörden zunächst vor allem bedauerlich. Denn, so die Sprecherin des Polizeipräsidiums Rostock, Ivone Wenzel:
"Wir hätten die Möglichkeit gehabt, die Täter vielleicht noch vor Ort anzutreffen. Wir hätten auch Zeugen antreffen können. Wir hätten Tatort-Arbeit dort machen können."
Danach gefragt erklärte Kinzel, er sei zunächst nur schockiert gewesen und habe sich dann lieber bei der Notaufnahme ärztlich versorgen lassen statt zur Polizei zu gehen. Doch die erhielt immer mehr Grund, an der Beschreibung des Vorfalls zu zweifeln. So konnte der Student, der in seiner Freizeit bei der Partei "Die Linke" und bei der sozialistischen Jugendorganisation "solid" aktiv ist, der Polizei nicht jenen dicken Mantel übergeben, den er zur Tatzeit getragen haben wollte. Der Mantel sei ihm kurz nach der Attacke gestohlen worden, so Kinzels Erklärung.
Weitere Ungereimtheiten fielen den Beamten vom Staatsschutz auf
Diese hatten die Ermittlungen wegen des Verdachts auf eine politisch motivierte Tat übernommen. Ein Rechtsmediziner wurde eingeschaltet, um die Verletzungen Kinzels zu untersuchen. In dem Gutachten heißt es, dass "die Art der Verletzungen nicht mit dem behaupteten Verlauf des Überfalles in Übereinstimmung zu bringen ist, eine Selbstbeibringung dagegen hinreichend wahrscheinlich ist".
Heißt übersetzt: Die Attacke in Wismar könnte ebenso eine Erfindung des vermeintlichen Opfers gewesen sein wie die drei rechtsradikalen Täter. Real hingegen sind die Wunden. Nur sieht es so aus, als habe sich Kinzel selbst geschnitten beziehungsweise "geritzt".
Die Verdachtsmomente sind jedenfalls so stark, dass die Schweriner Staatsanwaltschaft gestern gegen den 18-Jährigen ein Ermittlungsverfahren wegen Vortäuschung einer Straftat eingeleitet hat.
Sendepause herrscht derzeit bei den zahlreichen Linkspolitikern aus Mecklenburg-Vorpommern, die die angebliche Messerattacke Anfang voriger Woche publik gemacht und bereits als politisch motivierte Tat von Rechtsradikalen verurteilt hatten.
Nun müssen auch sie erst einmal eine Antwort auf die Frage finden, warum das phantasiebegabte Mitglied des Schweriner Kreisvorstandes der Partei vorige Woche wohl nur mit dieser Aussage zu dem Fall richtig lag, nämlich:
"Ich habe sehr großes Vertrauen in die Polizei, dass die das aufklärt."
Bestätigt sich der Verdacht von Polizei und Staatsanwaltschaft, drohen dem jungen Mann eine Geldstrafe oder ein Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren.