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Messerattacke von Chemnitz
Gericht will Urteil gegen Angeklagten verkünden

Nach dem gewaltsamen Tod eines Mannes auf dem Chemnitzer Stadtfest kommt es zu rechten Demonstrationen mit rassistisch motivierten Übergriffen; zwei Asylsuchende werden der Tat verdächtigt. - Während sich die Ereignisse in diesen Tagen jähren, wird für heute das Urteil gegen einen der mutmaßlichen Täter erwartet.

Von Bastian Brandau | 22.08.2019
Blumen am Tatort der Messerstecherei in Chemnitz.
Blumen am Tatort der Messerstecherei in Chemnitz (pa/dpa/Prautzsch)
Chemnitz, 26. August 2018. Nach dem Tod eines Mannes auf dem Stadtfest machen Gerüchte die Runde. Rechtsextreme rufen zu Demonstrationen auf, nutzen den Tod zu ihren Zwecken. Am Nachmittag zieht ein Demonstrationszug durch die Stadt, überrascht die Polizei. Es kommt zu rassistisch motivierten Übergriffen, über die Deutschland wochenlang diskutieren wird. Weitere Demonstrationen folgen, die die Polizei teilweise nicht unter Kontrolle hat.
"Frei, sozial und national!"
Inzwischen sind zwei Männer offiziell tatverdächtig, die noch in der Tatnacht festgenommen wurden. Beide sind als Asylsuchende nach Deutschland gekommen. Von einem kursiert wenige Tage nach der Tat ein Haftbefehl, verbreitet im Internet. Dazu bekennt sich ein Dresdner JVA-Beamter, der vom Dienst suspendiert wird.
Hauptverdächtiger weiter flüchtig
Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU: "So kann es nicht sein, dass hochpersönliche Dinge, aber auch Abläufe, interne Abläufe der Justiz, der Öffentlichkeit plötzlich – oder einem Teil der Öffentlichkeit - zur Verfügung gestellt werden. Das ist inakzeptabel."
Es ist just der veröffentlichte Haftbefehl, den die Staatsanwaltschaft im Januar aufhebt – über vier Monate nach der Tat. Weil nichts Substanzielles gegen den Mann vorliegt. Dessen Verteidiger erhebt schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft, ein dringender Tatverdacht als Grundvoraussetzung für einen Haftbefehl habe nie vorgelegen.
Der Hauptverdächtige, Farhad A., ein Asylsuchender aus dem Irak, ist bis heute flüchtig. Die Polizei hatte erst fünf Tage nach der Tat die Fahndung nach ihm begonnen. Das nun kurz vor dem Urteil stehende Verfahren wird abgetrennt und beginnt im März. Aus Sicherheitsgründen findet es in Dresden in einem Hochsicherheitsgebäude statt.
Angeklagter beteuert seine Unschuld
Der angeklagte Syrer Alaa S. schweigt, beteuert zuletzt in einem Interview mit dem ZDF seine Unschuld. Von ihm liegen keine DNA-Spuren an der Tatwaffe vor, die Staatsanwaltschaft beruft sich bei der Anklage fast ausschließlich auf einen Zeugen, einen ehemaligen Koch in einem Döner-Imbiss, der die Tat aus 50 Meter Entfernung beobachtet haben will.
Der Angeklagte Alaa S. (r), der im Verdacht steht, an der tödlichen Messerattacke gegen Daniel H. in Chemnitz beteiligt gewesen zu sein, kommt zum Prozess des Landgerichtes Chemnitz in ein Gebäude vom Oberlandesgericht Dresden. 
Der Angeklagte Alaa S. (r) wird in den Gerichtssaal geführt (dpa-news / Matthias Rietschel)
Verteidigerin Ricarda Lang kritisiert diesen Zeugen im Verlauf des Prozesses immer wieder als unglaubwürdig. Schon am ersten Prozesstag sagt sie: "Er hat sowohl bereits bei der Polizei wie auch am heutigen Tag in der Hauptverhandlung den Angeklagten nicht erkannt."
Zeuge widerspricht sich
Während seiner Aussagen vor Gericht widerspricht der Zeuge sich. Eine bei der Polizei getätigte Aussage, er habe stechende Bewegungen gesehen, nimmt er zurück. Jetzt ist nur noch von schlagenden Bewegungen die Rede. Für den Staatsanwalt trotzdem ausreichend, um am Montag zehn Jahre Haft zu fordern.
Ursprünglich hatte das Landgericht Chemnitz Termine bis in den Oktober angesetzt, nun soll heute schon ein Urteil verkündet werden. Es käme wenige Tage, bevor sich die Tat und die rechten Demonstrationen jähren. Und eine gute Woche vor der Landtagswahl, bei der sich die Afd, die die Ereignisse in Chemnitz ebenfalls politisch ausnutzt, Chancen ausrechnet, stärkste Kraft zu werden.
Ereignisreiches Jahr
Viel bewegt sich in Chemnitz im vergangenen Jahr. Schon wenige Tag nach der Tötung kommen zu einem Konzert gegen Rassismus über 60.000 Menschen nach Chemnitz. Weitere Konzerte und Aktionen folgen. Nach der Absage des diesjährigen Stadtfestes springen Bürgerinnen und Bürger ein und organisieren am Wochenende selbst ein Bürgerfest. Dort wird unter anderem Sebastian Krumbiegel von den Prinzen auftreten.
Für den Sonntagabend hat die rechtsextreme Gruppierung Pro Chemnitz zu einer Demonstration aufgerufen. Auf den Verlauf dieser Demonstration dürfte das für heute erwartete Urteil eine nicht unerhebliche Auswirkung haben.