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Messner: Todesfälle wie auf dem K2 sind "unausweichlich"

Nach dem Tod von 11 Bergsteigern auf dem K2, dem zweithöchsten Berg der Welt, ist der Extrembergsteiger Reinhold Messner sicher, dass es künftig noch viel mehr Tragödien geben wird. Schuld seien die geführten Kletter-Touren, die Sicherheit suggerierten.

Reinhold Messner im Gespräch mit Christian Schütte | 05.08.2008
    Christian Schütte: Für elf Bergsteiger aus verschiedenen Ländern endete der Versuch, den K2 im Himalaya-Gebirge zu besteigen, in einer Katastrophe. An einer der Schlüsselstellen der Route wurden sie am Wochenende von einer Lawine erfasst. Nur einige, die sich während des Abgangs in der Nähe befanden, konnten sich retten. Das Schicksal eines italienischen Bergsteigers ist noch ungewiss. Er sei auf dem Weg ins Basislager, heißt es. Heute soll ein Versuch unternommen werden, ihn zu bergen. Er leidet offenbar an Erfrierungen.
    Der Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messner, der alle Achttausender der Erde ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen hat, sagt, dies wird nicht der letzte Unfall in dieser Dimension bleiben. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Messner!

    Reinhold Messner: Guten Morgen.

    Schütte: Sie rechnen fest mit weiteren tragischen Unfällen am K2 oder auch am Mount Everest. Weshalb?

    Messner: Ich rechne nicht damit, sondern das ist unausweichlich. Wenn dort Hunderte von Leuten mit Reisegruppen zum K2 oder zum Everest reisen und den ganzen Weg präparieren lassen und sich darauf verlassen, dass dann schon alles gut geht, dann muss früher oder später ein Unfall passieren, denn die Leute, die das buchen - das wird ja richtig gebucht -, die haben nicht die Erfahrung, selbständig zu handeln, den richtigen Weg zu wählen. Und wenn dann plötzlich ein Fixseil mitgerissen wird wie am K2, kommen die Leute zum Teil nicht mehr herunter und sind völlig der Bergnatur, den Stürmen der Kälte ausgeliefert.
    1996 hatten wir das gleiche Problem und dann die gleiche Katastrophe am Everest. Jetzt hier am K2 wieder eine große Gruppe von Bergsteigern, die in Todesgefahr kam. Wie das im Laufe der nächsten Jahrzehnte ausgehen wird, weiß niemand. Wenn dieser Humbug mit den geführten Reisen zu den höchsten Spitzen der Welt nicht aufhört, wird auch die Tragödie wieder und wieder kommen.

    Schütte: Die verunglückten Expeditionsteilnehmer haben Geld bezahlt, damit sie jemand hoch auf den Gipfel führt. Haben diese Bergsteiger nicht damit gerechnet, dass der eigentliche Preis, den sie zahlen würden, ihr Leben sein könnte?

    Messner: Nein. Gerade diese rechnen nicht damit. Wenn jemand in Eigenregie eine Expedition organisiert, wie das vor wenigen Wochen am Nanga Parbat war, wo auch ein Unglück passiert ist, aber die haben einen neuen Weg gewählt, haben das selber organisiert, wussten ganz genau was sie erwartet und sind mit Sorge, mit Angst dort hineingestiegen. Mir tut es leid, dass dann einer verunglückt ist. Das gilt natürlich auch für die Tragödie am K2. Aber um das klarzustellen: diese Gruppen am K2 haben mehr oder weniger einen Sitz gebucht in einer angebotenen Reise, alles inklusive: Basislager, Sauerstoffgeräte vor Ort, natürlich eine präparierte Piste bis zum Gipfel mit Geländerseilen, wo man sich festhalten kann, mit einzelnen Lagern, mit Führung, Animation. Die gehen dann in großen Gruppen so wie die Lemminge hoch und glauben, wenn wir so viele sind und wenn alles vorbereitet ist, dann wird schon nichts passieren. Diese Organisation wird schon dafür gesorgt haben, dass der Berg sicher ist. Aber ein Berg ist nie sicher! Ein Berg ist so groß im Verhältnis zu uns Menschen, dass wir nie garantieren können, dass wir alles im Griff haben. Es ist nur möglich, am Berg zu bestehen, wenn ich immer auf der Hut bin, wenn ich die Gefahren alle kenne und wenn ich höchsten Respekt vor dieser Größe und diesen Gefahren habe und zurückdrehe, umdrehe, wenn es zu gefährlich wird, wenn etwas nicht mehr ganz perfekt ist. Aber wenn natürlich suggeriert wird, da ist ja alles in Ordnung, da ist ja alles mundgerecht vorbereitet, dann laufen eben diese Leute gerade im Pulk in das Verderben und nicht nur einzelne.

    Schütte: Wer trägt denn Ihrer Meinung nach die Schuld an solchen tödlichen Unfällen? Sind es die ahnungslosen Bergsteiger, oder sind es die Expeditionsleiter, die ihre Dienste anbieten?

    Messner: Ich will von Schuld in diesem Zusammenhang nicht reden. Es geht nicht um Schuld, sondern es geht um Dummheit. Auf der einen Seite - und das ist das erste gewesen - ist eine Nachfrage entstanden. Es gibt Tausende und Abertausende von Sonntagsbergsteigern. Das will ich jetzt nicht abwertend sagen. Auch ein Sonntagsbergsteiger kann ein exzellenter Bergsteiger sein. Es sind halt keine Alpinisten, die nicht die Zeit in ihrem Leben haben, die nicht die Geduld haben, selber sich bis zur letzten Klasse zu schulen. Diese Bergsteiger wollen natürlich das Prestige, das ein K2-Gipfel oder der Everest-Gipfel gibt, auch haben und die wollen es kaufen. Das heißt, da gibt es eine Nachfrage.
    Dann kommt auf der anderen Seite das Angebot. Da gibt es jemand der sagt, das kann ich ja organisieren. Da hole ich mir 20 Scherpas. Da hole ich mir ein paar Bergführer. Da kostet natürlich eine Passage 20, 25, 30, 40.000 Dollar, um zum Gipfel und wenn es gut geht auch wieder zurück zu kommen. Dann haben wir einen Markt. Das ist Tourismus. Angebot und Nachfrage.
    Wer hat die Schuld? - Beide haben die Schuld. Das ganze ist einfach ein Humbug. Und solange in der Öffentlichkeit klar bleibt, dass diese Besteigung des K2 gleich viel gilt wie die selbst veranstaltete Expedition mit allem Risiko, das der Akteur selber trägt, wird es diesen Massentourismus an den großen Bergen geben. Ich habe immer gesagt, das Bergsteigen, der Alpinismus fängt dort an, wo der Tourismus aufhört. Aber der Tourismus hat inzwischen den Weg bis zum Gipfel des Mount Everest, natürlich auch bis zum Gipfel des K2, bis zum Gipfel des Nanga Parbat und des Cho Oyu gefunden.

    Schütte: Die Verunglückten gehörten Ihrer Meinung nach nicht dorthin auf den K2. Was empfinden Sie nun nach dem Unglück? Kopfschütteln, Mitleid?

    Messner: Im Grunde warte ich alle Jahre auf derartige Katastrophen. Es braucht nur eine einzige Sache aus dem Ruder laufen. 1996 am Everest war es ein nachmittäglicher Sturm, der am Everest normal war. Diesmal war es eine Lawine, die vom Eisbruch knapp unterm Gipfel losbrach. Jeder Mensch, der dort vorbei geht, der weiß, dass dort die Lawine abgehen kann. Also geht er vernünftigerweise in einem großen Bogen um diese Stelle herum. Ich habe damals mit Michel Bacherer, einem Deutschen, gar kein Fixseil gebraucht, um dort hochzusteigen. Die haben dort ein Fixseil gehängt gekriegt, nicht selber gehängt, sondern das hängt ein Führer dort hinein. Dieses Fixseil wurde rausgerissen und damit war die weitere Hälfte der Katastrophe programmiert, weil die Leute dann ohne dieses Fixseil nicht mehr herunter kamen. Ein Fixseil müssen Sie sich vorstellen wie ein Geländerseil in der Wand, an dem man sich eben hält, um nicht abzurutschen. Das nächste Mal wird es vielleicht eine Schwäche von einem Bergsteiger im Gipfelbereich sein, wo die Rettung sehr schwierig wird. Alles wird aufgehalten. Dann kommen sie in die Nacht und kommen nicht mehr herunter. Wenn jemand um acht Uhr Abends zum Gipfel am K2 stapft, dann frage ich mich, wo das Hirn geblieben ist.

    Schütte: Herr Messner, Sie fordern schon seit längerem ein Ende des Bergtourismus im Himalaya. Es scheint nur, dass dieser Appell bisher ungehört von den Gipfel zurückgeschallt ist. Wird sich jetzt nach dieser Katastrophe etwas ändern?

    Messner: Es wird sich leider nichts ändern. Ich war fast sicher, dass '96 nach dem großartigen Buch von Jon Krakauer "In eisige Höhen", der das genau beschrieben hat, der Tourismus am Everest aufhört. - Er hat nicht aufgehört. Er ist mehr geworden. Die Veranstalter sind mehr geworden. Inzwischen sind ja auch Einbeinige, 70jährige, Kranke auf den Everest geführt worden, alles in dieser Methode.
    Ich respektiere jeden, der den Everest-Gipfel erreicht. Aber wertvoll für das eigene Erlebnis ist nur, wenn das jemand in Eigenverantwortung tut. Hier wird die Verantwortung irgendwie gesplittet. Niemand weiß im Grunde wie. Deswegen können wir auch nicht von Verantwortung sprechen oder von Schuld sprechen. Aber das Bergsteigen ist im Grunde eine selbst veranstaltete, selbst getragene und selbst verantwortliche Tätigkeit. Wenn ich die Verantwortung an einen Organisator, an einen Reiseleiter abgebe, dann bin ich kein Bergsteiger mehr, sondern ein Tourist. Und ein Tourist erfährt am Everest oder am K2 nichts. Der hat nichts davon. Der hat nur geschnauft, geschunden, Angst gehabt, aber am Ende hat er das Prestige, den Everest oder den K2 bestiegen zu haben, in seiner Tasche wie eine Trophäe. Aber diese Trophäe ist nichts Wert!

    Schütte: Der Südtiroler Extrembergsteiger und Buchautor Reinhold Messner. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Messner: Danke schön!