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Messungen von Lebensmittelchemikern
Jede fünfte Trinkwasser-Probe kritisch mit Schadstoff aus der Desinfektion belastet

Wasser wird desinfiziert, zum Beispiel im Schwimmbad.Aber auch Trinkwasser wird desinfiziert, da es ja nicht verkeimen soll, während es durch Rohre und Leitungen zu uns gelangt. Chlor ist hier das Mittel der Wahl - aber nicht ohne eigene Probleme, wie aktuelle Untersuchungen staatlicher Lebensmittelchemiker zeigen.

Von Volker Mrasek |
    Leitungswasser läuft am 08.03.2013 in Hannover (Niedersachsen) in ein Glas.
    Wasser wird häufig mit Chlorat desinfiziert (Lukas Schulze / dpa)
    Es war vor zwei Jahren und zunächst ein großes Rätsel. In Salat und Gewürzen wurden erhöhte Konzentrationen von Chlorat gefunden. Zunächst glaubte man an den Einsatz verbotener Pestizide. Denn in solchen Mitteln war die Chemikalie früher als Wirkstoff enthalten. Dann aber kam heraus: Das Chlorat stammte aus dem Wasser, mit dem die Lebensmittel gereinigt worden waren.
    Jetzt macht der Stoff wieder von sich reden. Wegen der damaligen Befunde überprüfte das Chemische und Veterinär-Untersuchungsamt Stuttgart auch Trinkwasser auf Chlorat - und wurde erneut fündig. Carmen Breitling-Utzmann, die Leiterin des Labors für Trink- und Mineralwasser:
    "Seit 2014 untersuchen wir Trinkwasser eben auch auf Chlorat. Das waren insgesamt seitdem etwa 140 Proben aus dem Regierungsbezirk Stuttgart. In durchaus etwa 20 Prozent der Wasserproben haben wir jetzt Chlorat-Gehalte gemessen, die über dem 'Tolerable Daily Intake' für ein Kleinkind liegen würden."
    Chlorat gilt als gesundheitsschädlich
    Das bedeutet: In jedem fünften Fall übersteigt der Chlorat-Gehalt die Schwelle, die noch als unbedenklich gilt, wenn Kinder dieses Trinkwasser täglich zu sich nehmen. Der Schwellenwert wird auch "TDI" genannt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat ihn erst vor kurzem neu bestimmt. Er beträgt nun drei Mikrogramm Chlorat pro Kilogramm Körpergewicht und Tag, was nicht viel ist.
    Chlorat gilt als gesundheitsschädlich, weil es den Sauerstoff-Transport im Blut beeinträchtigt und auch die Aufnahme von Iod in der Schilddrüse.
    "Chlorat kann eben in Trinkwasser vorkommen, wenn bei der Desinfektion mit diversen chlorhaltigen Mitteln nicht genügend sorgsam vorgegangen wird. Ein sehr häufig verwendetes Desinfektionsmittel ist die sogenannte Chlorbleichlauge. Was viele da sicherlich nicht wissen, ist, dass wenn man die länger stehen lässt, dass sich dann das Chlorat schon in der Bleichlauge ansammelt."
    Ein wichtiger Hinweis für Eigenwasserversorger. Das sind alle, die nicht an das öffentliche Trinkwasser-Netz angeschlossen sind. Dazu zählen auch Wald- und Freizeitheime. Weil sie nicht ständig bewohnt sind, bleibt die Chlorbleichlauge dort schon einmal länger im Dosier-Tank. Mit der Zeit bildet sich dann Chlorat. Eine Reaktion, die durch Wärme und Licht begünstigt wird.
    "Große Wasserversorger setzen in der Regel nur eine sehr geringe Transport-Chlorierung zu. Wenn es ins Leitungsnetz geht, dass es einen gewissen Schutz hat. Das ist aber normal nicht viel. Wo es eher eingesetzt wird: bei kleineren Zweckverbänden oder Eigenwasserversorgungen. Also wenn jemand einen eigenen Brunnen hat, der jetzt nicht die höchste Wasserqualität hat - da wird dann schon eher gechlort. Das kommt häufiger vor, als man denkt."
    In einem der Freizeitheime war die Chlorat-Belastung des Trinkwassers sogar so hoch, dass die Versorgung sofort gestoppt werden musste, wie die Lebensmittelchemikerin sagt. In Ordnung sei das Wasser erst wieder nach dem Austausch des Desinfektionsmittels gewesen.
    Umweltbundesamt ist für Trinkwasserqualität zuständig
    Es gibt zwar schon einen Höchstwert für Chlorat. Doch der gilt nur für das verkaufsfähige Produkt - also in dem Moment, in dem die Bleichlauge über die Ladentheke geht. Erhöhte Chlorat-Gehalte stellen sich aber erst später bei der Lagerung ein. Deshalb empfiehlt das Stuttgarter Untersuchungsamt jetzt auch einen Grenzwert im Trinkwasser selbst.
    "Dadurch wird auch das Bewusstsein bei den Anwendern geschärft, dass da eben ein Stoff ist, der gefährlich sein kann und den ich überwachen muss."
    Dazu wären Eigenversorger verpflichtet, wenn es einen Grenzwert für Chlorat im Trinkwasser gäbe, so die Expertin:
    "Letztendlich müssen das die Gesundheitsämter oder eben die zuständigen Behörden kontrollieren. Sei es durch Akteneinsicht in die Eigenkontrollen oder, dass sie eigene Proben nehmen und die untersuchen lassen."
    Für die Trinkwasser-Qualität in Deutschland ist das Umweltbundesamt zuständig. Eine Expertengruppe dort befasst sich inzwischen mit dem Thema. Ob sie einen Grenzwert für Chlorat vorschlagen wird, ist aber noch offen.
    Carmen Breitling-Utzmann gibt den Betreibern eigener Brunnen einstweilen einen Rat:
    "Wichtig ist vor allem, wenn jetzt jemand mit Chlorbleichlauge arbeitet, dass die frisch bleibt. Also, dass er die wirklich kühl und dunkel lagert und die auch häufig genug austauscht. Die sollte tatsächlich nur ein oder zwei Monate stehen, bevor man sie austauschen muss."