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Meteorologie
Schlechtere Wettervorhersagen durch Corona-Pandemie

Wetterprognosen sind im Lauf der vergangenen Jahre immer besser geworden. Eine Fünf-Tages-Prognose gilt heute als so zuverlässig wie die für einen einzigen Tag vor 30 oder 40 Jahren. Doch in der Coronakrise leidet die Qualität der Vorhersagemodelle - insbesondere in ärmeren Ländern.

Von Volker Mrasek | 09.04.2020
Das Satellitenbild des Deutschen Wetterdienstes vom 12.04.2013 zeigt die aktuelle Wetterlage über Europa
Weniger Daten aus Luft und Wasser: Die Pandemie schlägt Lücken in die globalen Messnetze der Meteorologie (EUMETSAT / DWD)
Die Wetterdienste beziehen ihre Daten nicht nur von über 60 erdumrundenden Satelliten und mehr als 10.000 Bodenstationen weltweit. Genau so groß ist die Gesamtzahl von Schiffen und Flugzeugen, die wichtige Messwerte für ihre täglichen Vorhersagen beisteuern. Trotz Corona-Krise seien zwar noch immer genügend Handelsschiffe mit Instrumenten an Bord unterwegs, sagt der dänische Physiker Lars Peter Riishojgaard von der Welt-Meteorologieorganisation. Mit Sorge sieht die WMO dagegen die starken Einbrüche von Passagierflügen:
"Weltweit betrachtet liegt das Flugaufkommen inzwischen nur noch bei 15 Prozent des üblichen Niveaus, würde ich schätzen. Drastische Einbrüche sehen wir nicht nur in Europa, sondern auch auf der Südhalbkugel und in den Tropen. Das ist besonders kritisch, denn dort ist das Beobachtungsnetz sowieso das dünnste."
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Datenfluss versiegt durch Flugausfälle
Laut WMO liefern Flugzeuge normalerweise über 700.000 Messwerte pro Tag, und das aus praktisch allen Ecken der Welt: Angaben zur Lufttemperatur, zu Windstärke und Windrichtung, zu Wasserdampf-Gehalt und Turbulenz in der Atmosphäre. Dieser Datenfluss versiegt jetzt spürbar durch die ganzen Flugausfälle.
Darunter leide die Güte der Wettervorhersagen, sagt der australische Meteorologe Dean Lockett. Er ist bei der WMO verantwortlich für das Programm zur Nutzung der Flugzeugdaten: "Es ist nicht so, dass die Vorhersagen jetzt um Jahrzehnte zurückgeworfen werden. Aber wir wissen, dass die Messdaten der Flugzeuge dabei helfen, Fehler in den numerischen Computermodellen zu verringern, und zwar um etwa zehn Prozent. Das bedeutet, dass die Qualität der Vorhersagen abnimmt."
Messbojen fallen aus
Rückläufig sind derzeit auch die Beobachtungsdaten im Ozean. Sie stammen nicht nur von Schiffen, sondern auch von unzähligen Messbojen. Viele fielen jetzt wegen der Corona-Krise aus, beklagt Lars Peter Riishojgaard:
"Es gibt um die tausend dieser Bojen, und auch sie liefern wichtige Informationen für die Vorhersagemodelle, über den Luftdruck an der Meeresoberfläche. In der Regel fallen jeden Monat etwa hundert dieser Bojen aus. Sie funktionieren nicht mehr richtig oder werden irgendwo an die Küste gespült. Forschungsschiffe bringen die Bojen normalerweise wieder in Schuss. Aber momentan dürfen sie nicht rausfahren."
Besonders arme Länder betroffen
Der dänische WMO-Experte macht auch noch auf ein weiteres Problem aufmerksam. Es betrifft die Bereitstellung von Wetterdaten in ärmeren Ländern:
"Es gibt immer noch Länder auf der Erde, in denen sämtliche Wetterdaten manuell erfasst werden und nicht vollautomatisch. Da gehen Leute raus, lesen Geräte noch selbst ab und übermitteln die Daten per Telefon. Einige sind jetzt als Datenlieferanten ganz ausgefallen – wahrscheinlich, weil ihr Personal in der Krise nach Hause geschickt wurde. So ist es in Südamerika, in der Karibik, in Afrika und in weiteren Regionen, wo man noch auf menschliche Wetterbeobachter angewiesen ist."
Es gibt bereits Initiativen, um die größer werdenden Datenlücken zu schließen. Eine hat Flyht gestartet, ein kanadischer Serviceanbieter aus dem Luftfahrtsektor. Die Firma stellt der WHO jetzt eigene Messdaten unentgeltlich zur Verfügung, wie Dean Lockett sagt:
"Sie haben eine gewisse Anzahl von Flugzeugen im Einsatz. Interessant ist, dass sie regelmäßig die Luftfeuchte messen – eine Größe, die für die Wettervorhersage wichtig ist. Wir haben schon einige der Daten bekommen und testen sie gerade. Wir denken, dass wir sie in einer oder zwei Wochen bereitstellen können."
Kompensation durch Wetterballone
In Europa ist der Luftverkehr besonders stark eingebrochen – um mehr als 80 Prozent. Hier versuchen die Wetterdienste, den Ausfall von Flugzeugmessdaten auf andere Weise zu kompensieren. Viele von ihnen lassen jetzt ihre Wetterballone häufiger aufsteigen, mit Radiosonden an Bord. Nicht mehr zweimal täglich, so Lars Peter Riishojgaard, sondern viermal:
"Sie steigen vom Boden bis in 20, manchmal sogar 30 Kilometer Höhe auf. Dabei messen die Sonden alle hundert Meter Temperatur und Luftfeuchte. Das machen sie jetzt nicht mehr nur um 12 Uhr mittags und um Mitternacht, sondern zusätzlich um 6 Uhr morgens und abends."
Europa sei hier gut aufgestellt, sagt Riishojgaard. Den Wetterdiensten in vielen anderen Regionen fehlten aber die technischen und finanziellen Mittel für zusätzliche Radiosonden-Aufstiege. Dort, das räumt der Physiker ein, habe die WMO im Moment noch keine Strategie, wie sie auf die Datenebbe durch die Coronakrise reagieren soll.