Die New Yorker U-Bahn rattert über die Gleise, über die Manhattan-Brücke nach Brooklyn. Der Blick fällt auf das Bilderbuch New York, wie die Morgensonne das Wasser des East River und die Glasfassaden der Wolkenkratzer anstrahlt.
Robert und seine drei Kinder nehmen davon keine Notiz – eines schläft auf seinen Knien, ein anderes ans Fenster gelehnt. Sie sind auf dem Schulweg, drei Stunden U-Bahn, vom Obdachlosenwohnheim zur Schule. Alltag.
"Mir tut das unheimlich weh. Ich denke jeden Tag darüber nach, was das wohl mit den Kindern macht. Sie sind ja viel zu klein, um das alles zu verstehen."
Vor zwei Monaten hat die Familie ihre Wohnung verloren – Robert findet seither nichts Bezahlbares. Obwohl der alleinerziehende Vater Vollzeit arbeitet. Die Kinder verstehen die Hintergründe der Veränderungen wohl nicht, aber sie spüren ihre Auswirkung. Schlafmangel, Hunger.
"Der Weg ist weit und wir sind oft spät. Dann verpassen wir das Schulfrühstück."
In New York wird man leicht obdachlos
Nach der Schule ist kurz Zeit für einen Zwischenstopp auf dem Spielplatz. Die Kinder spielen Baumhaus – ein eigenes für jeden. Hier darf jeder den anderen besuchen, man muss nur klingeln.
Anders als in den Unterbringungen, in denen Besuch verboten ist.
In New York wird man leicht obdachlos – Wohnraum ist teuer. Ein Fünftel der New Yorker gilt als arm. 105.000 Schulkinder waren im letzten Schuljahr obdachlos. Josef Kannegaard vom Rechercheinstitut für Kinder, Armut und Obdachlosigkeit analysiert Kinderarmut in New York.
"Was Besucher in New York oft nicht wahrnehmen sind die hohen Armuts- und Obdachlosigkeitsraten. Die Tendenz ist steigend, seit dem Schuljahr 2010 sind die Zahlen obdachloser Schüler um 56 Prozent angestiegen."
Die Folgen: Die Kinder fehlen ständig in der Schule, haben gesundheitliche Probleme.
"Im Durchschnitt schaffen New Yorks Schulkinder zu 74 Prozent ihren Abschluss in der vorgesehenen Zeit. Schüler, die in ihrer Schulzeit obdachlosen waren, schaffend das nur zu 56 Prozent."
Eine Stadt mit zwei Gesichtern
Die Gründe für die Fehlzeiten: Die Unterbringungen sind überfüllt, die Kinder landen oft in einem Obdachlosenwohnheim, einem Shelter, weit weg von der Schule.
Außerdem sammeln die Schüler Fehltage an, weil sie die Eltern zu Terminen bei der Stadt begleiten oder von Shelter zu Shelter ziehen müssen. Vor der Annahmestelle der Stadt für obdachlose Familien, in der Bronx im Norden von New York, wimmelt es von Kindern im Schulalter. Wir treffen Althea, sie ist im fünften Monat schwanger und hat einen autistischen Sohn.
"Die Haltung der Stadt ist - alles schon erlebt. Wir sind da drin noch eine Nummer. Noch ein Gesicht. Die Obdachlosigkeit ist überall. Hier in New York, in einer so reichen Stadt. Wir sind hier unerwünscht, wir sind hier der Bodensatz."
Heute hofft sie nur auf eine Zusage für einen Schlafplatz für ein paar weitere Tage. Falls etwas dazwischen kommt, ist sie vorbereitet.
"Ich habe ein Auto, darin schlafe ich, wenn es sein muss, ich habe sogar Decken und solange ich Geld zum Tanken habe, haben wir es warm. Ich kann mein Kind mit demselben Auto zur Schule fahren. Ich sticke mir ein S für Superman auf die Brust und mache einfach weiter. Niemand interessiert sich für uns."
New Yorks obdachlose Kinder - die Realität einer Stadt mit zwei Gesichtern. Während die Mieten weiter steigen, sinken ihre Chancen auf einen guten Start ins Leben.