Thielko Grieß: Die Grünen wollen bei ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Berlin heute Personalentscheidungen treffen. Oswald Metzger kennt solche Bundesdelegiertenkonferenzen aus früheren Jahren, denn er war früher ein Grüner, saß für sie acht Jahre lang im Bundestag, bis 2002. Er galt und gilt noch immer als wirtschaftsliberal und als ein steter Kritiker spendierfreudiger Sozialpolitik. 2008 hat Oswald Metzger die Partei gewechselt und seither ist er Mitglied der CDU in Baden-Württemberg. Dass seine frühere und seine aktuelle Partei nun nicht miteinander koalieren wollen, das wissen wir seit dieser Woche. Oswald Metzger ist jetzt am Telefon, guten Morgen!
Oswald Metzger: Guten Morgen, Herr Grieß!
Grieß: Sie haben Schwarz-Grün vor einigen Jahren einmal als das "große Zukunftsprojekt für dieses Jahrtausend" bezeichnet. Da kann man ja nur sagen: Gut, dass das Jahrtausend noch ein paar Jahre hat.
Metzger: Das ist wohl wahr, aber der Satz ist auch schon mindestens 15 Jahre her, als ich noch zu Bonner Zeiten im Deutschen Bundestag für die Grünen saß. Nun gut, die Chancen auf diese Option auf Bundesebene sind diesmal ausgeschlagen worden, aus meiner Sicht von den Grünen, aber es war auch konsequent. Also ich selber, obwohl ich nicht grundsätzlich auch als CDU-Politiker schwarz-grüne Bündnisse ablehne, hätte es für relativ fatal gehalten, wenn man mit einer Partei koaliert, die sich zunächst mal selber häuten muss, personell und programmatisch. Die in den letzten fünf, sechs Jahren, eigentlich seit 2005, seit sie auf Bundesebene in die Opposition gerieten, deutlich nach links gewandert ist.
Grieß: Aber ich meine, Herr Metzger, Sie waren lange genug bei den Grünen dabei und haben mehrmals die Häutung einer Partei erlebt, wie sie sich schnell wandeln kann und schnell Grundsatzpositionen abräumen und verändern kann. Warum wäre das diesmal nicht möglich gewesen?
Metzger: Weil die Realos innerhalb der Partei, also wenn Sie so wollen, die Kretschmann-Linie, um es mal zu vereinfachen, seit vielen Jahren auf den Bundesparteitagen überhaupt nicht mehr für Inhalte gekämpft haben. Das ist ein Riesenproblem. Und man kann nicht quasi nur medial ein bisschen marktwirtschaftlich, wirtschaftsfreundlich Laut geben, so wie nach dem Parteitag mit den Steuererhöhungen im März beim Wahlprogramm, oder eine Kerstin Andreae als Wirtschaftspolitikerin für den Fraktionsvorsitz kandidieren lassen und dann darauf hoffen, dass eine mehrheitlich von Linken besetzte Bundestagsfraktion sie dann auch wählt. Also so schnell geht das nicht. Dieser Prozess der Verortung der Grünen zwischen SPD und Linkspartei, der hat eben jahrelang diesmal funktioniert, und die Realos innerparteilich haben eine viel schwächere Position, jedenfalls auf der Ebene auch der Führungs-, Funktionärsschiene auch, denen unterhalb der ersten Reihe, als beispielsweise in den 90er-Jahren oder noch Anfang des letzten Jahrzehnts. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Und ich glaube manchmal, wenn ich so die Medienlage angucke: Viele Leute im Journalismus haben quasi Schwarz-Grün als Projekt stärker gefeatured als die grüne Basis, die Parteibasis in den letzten Jahren. Und das sollte einem doch zu denken geben.
Grieß: Haben Sie denn den Eindruck, dass der Realo-Flügel, Sie haben ja eben vereinfachend gesagt, der "Kretschmann-Flügel", jetzt nach dem doch mageren Wahlergebnis stärker wird?
Metzger: Also er wird sich bemühen müssen, stärker zu werden. Heute wird es ja ein paar Indizien dann geben beim Parteitag. Also das Abschneiden von Özdemir bei der Vorstandswahl, der ja sogar formell einen kleinen Gegenkandidaten hat, wird sicher ein Signal sein, ob die Linke praktisch durchaus Laut gibt und ihn auch schwächt durch ein schlechtes Ergebnis. Das entscheidende Signal aus meiner Sicht wird kommen bei den Verhandlungen in Hessen, also Ende dieses Monats ist ja eine dritte Sondierung zwischen Grün und Schwarz. Und ich glaube, wenn die Realos innerhalb der Grünen stärker werden wollen, dann müssen sie es schaffen, in Hessen mit der Union eine Landesregierung, eine schwarz-grüne, zu bilden. Das wäre das deutlichste Signal, dass die Grünen tatsächlich aufbrechen, neue Optionen probieren und nicht nur sich hinter so ausgelutschten Sätzen verschanzen, wie sie gestern Cem Özdemir gebraucht hat: "Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, wir sind vorne." Das ist natürlich platt. Also das muss man schon unterlegen mit Fakten, mit einer Politik, die in Verantwortung auch tatsächlich zu Kompromissen bereit ist und die wirklich Mittelstandwirtschaft ernst nimmt und nicht permanent als Punchingball für eine freigiebige Sozialpolitik oder eine Vorschriftenorgie.
Grieß: Gehen wir mal davon aus, dass Cem Özdemir heute wiedergewählt wird als Vorsitzender, als Vertreter des Realo-Flügels. Dann ist natürlich nach wie vor Winfried Kretschmann Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Und vielleicht kommt es ja dann, wie Sie angedeutet haben oder gehofft haben auch, zu einer schwarz-grünen Landesregierung in Hessen, in Wiesbaden. Wären die Grünen dann langsam vielleicht doch wieder Ihre Partei?
Metzger: Nein, also das ist eine eindeutige Geschichte, dass die Grünen so stark etatistisch geworden sind. Und wissen Sie, ich bin sicher von meiner Art her als Marktwirtschaftler jemand, der sich auch bemüht, ehrlich der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken über unsere tatsächliche ökonomische Lage, über die Ressourcen des Staates. Und da sind Sie in jeder Partei, prinzipiell nun mal in meiner, auch in der Union ... Es ist ja nicht so, dass ich als CDU-Politiker jetzt hoch erfreut dasitze und warte, was man mit der SPD für Kompromisse macht. Große Koalitionen sind teure Veranstaltungen für die Wählerschaft, das sage ich auch ganz deutlich als CDU-Mann. Und auch in der CDU muss man heute für marktwirtschaftliche Positionen kämpfen, also nicht, dass Sie mich missverstehen.
Grieß: Nein, ganz und gar nicht, aber dann stellt sich schon die Frage, Herr Metzger: Ist denn die CDU, die ja jetzt von Mindestlohn spricht und keinen entschiedenen Widerstand gegen verschiedene Forderungen der SPD mehr stellt, denn noch Ihre Partei?
Metzger: Also sie ist meine Partei, auch wenn ich letzten Freitag nicht als Bundesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung gewählt wurde, aber wir haben einen guten, neuen Vorsitzenden bekommen mit Carsten Linnemann. Das Problem ist: Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland fast einen Pendelschlag nach links gehabt. Der Zeitgeist weht links. Wir haben Verteilungsdebatten geführt nach der großen Reformdiskussion vor zehn Jahren mit der Agenda 2010, die ja eigentlich ein überparteiliches Reformprojekt war, nicht nur ein rot-grünes, weil im Bundesrat damals CDU und FDP die Mehrheit hatten und das Ganze mitgetragen haben. Und diese Rendite, die wir aus dieser Politik geerntet haben mit Aufwuchs der Beschäftigung, mit einer besseren wirtschaftlichen Lage als in vielen anderen Ländern, die ist jetzt verbraucht. Und eigentlich müssten wir jetzt eine neue Reformdebatte haben – aber stattdessen führen wir jetzt Verteilungsdebatten. Das werden Sie jetzt auch in den Koalitionsverhandlungen erleben: Möglicherweise, wenn die Union die Mütterwende kriegt, die ja nicht billig ist, dann wird die SPD die Garantierente wollen. Und wenn Sie dieses Strickmuster von Koalitionsverhandlungen sehen, dann wird einem natürlich ganz anders. Und der Bevölkerung müssten wir schon sagen in Deutschland: Wir können nicht von anderen europäischen Ländern erwarten, dass sie wettbewerbsfähiger werden, und so tun, als ob wir auf der Insel der Seligen leben.
Grieß: Nun ist es natürlich aber auch so, Herr Metzger, dass, wenn die Union auf Ihrer Linie bliebe, dann hätte sie gar keinen Koalitionspartner. Die einige Weniger-Staat-Partei, die dann noch übrig wäre, die ist aus dem Parlament geflogen, die FDP.
Metzger: Das ist richtig. Also insofern ist es vielleicht so, dass mittelfristig dieses Wahlergebnis für die Union mit über 40 Prozent – sehr überraschend – zum Phyrrussieg werden kann. Die Union muss aufpassen, dass sie ihre Wirtschaftskompetenz nicht verliert, weil eine Volkspartei ohne Wirtschaftskompetenz wird auf Dauer keine Verantwortung in einem Land kriegen. Und deshalb gilt es innerhalb der Union jetzt, den Wirtschaftsflügel zu stärken, die marktliberalen Positionen auch in der Union zu verankern, personell und programmatisch – aber dafür müssen auch in der Union wieder Leute streiten, in der Partei. So wie ich es jetzt eben in Bezug auf die Grünen gesagt habe: Man kann nicht beklagen, dass man Wahlen verliert, weil man sich links aufstellt, wenn die Leute, die diesen Kurs kritisiert haben, über Jahre hinweg bei Parteitagen kaum den Mund aufgemacht haben. Oder am Schluss gute Miene gemacht haben, indem sie mitgestimmt haben.
Grieß: Herr Metzger, wir wollen noch einmal den Bogen schlagen zurück zum Beginn unseres Gespräches. Hat die Union vielleicht doch jetzt sehr schnell eine Option aus der Hand gegeben, indem sie gesagt hat: Mit diesen Grünen – das haben Sie ja auch gerade gesagt - können wir erst einmal so nicht koalieren? Also Wettbewerb würde ja das Geschäft beleben.
Metzger: Das ist absolut so, wobei ich im Augenblick eher den Eindruck habe, trotz meiner eigenen Skepsis gegenüber Schwarz-Grün, weil das ja belastbar sein muss, dass erstaunlich viele Spitzenpolitiker der Union bis hinauf zum CSU-Kollegen Horst Seehofer sehr freundlich über die Gespräche mit den Grünen gesprochen haben. Und ich glaube, es war weniger Inszenierung, als viele Grüne auch geglaubt haben. Aber die Grünen sind nicht so weit, und sie haben vielleicht auch Angst vor dem Morbus Merkel, dass sie quasi durch eine starke Kanzlerin und durch ihre Art und Weise, Themen zu integrieren von anderen politischen Parteien, weiter sozusagen nach unten gedrückt werden. Da spielt viel eine Rolle: eine Angst vor Verantwortung, das Nicht-Wissen, wohin man will, weil man sich irgendwie verrannt hat. Und in der Union, glaube ich, sehen inzwischen viele, dass man strategische Optionen braucht. Ich habe vor zwei Jahren mal deutlich geschrieben an die Adresse meiner eigenen Partei, der Union: Man kann keine Koalitionsoptionen ausschlagen, weil man irgendwann in der strategischen Falle machtpolitisch steht, dass nur noch die große Koalition bleibt oder die Opposition. In Baden-Württemberg ist meine Partei mit 39 Prozent in der Opposition, weil sie sich keine Koalitionsoptionen eröffnet hatte vor der letzten Landtagswahl. War ein Riesenfehler.
Grieß: Aber trotzdem wird man auf die Partei natürlich zugehen müssen. Aber dienten denn diese wohlwollenden, vielleicht säuselnden Töne aus der Union, die da zu hören waren nach dem Scheitern der Sondierungen mit den Grünen, tatsächlich dazu, ein solches Gespräch, ein solches Projekt irgendwie in vier Jahren oder zu einem anderen Zeitpunkt wieder aufzunehmen?
Metzger: Also kleiner Einspruch: Projekte sind Koalitionen nie, das sind immer Zweckbündnisse. Also wer Koalitionsoptionen überhöht, also Rot-Grün oder Schwarz-Grün, der versteht Politik nicht. Es geht eindeutig um Zweckbündnisse, um Partnerschaften auf Zeit, wo natürlich auch persönliche Karrierewünsche in der jeweiligen Partei eine Rolle spielen. Leute sind halt eben gern mal Minister, wenn sie ewig auf Oppositionsbänken sitzen. Aber die andere Geschichte: Sie haben natürlich recht – ein Stück weit ist es auch ein Synthisieren. Man will den Preis für die Sozialdemokratie drücken. Aber andererseits: Schauen Sie sich mal an, wie jetzt im Moment die CDU ...
Grieß: Ja gut, das ist ja jetzt vorbei.
Metzger: ... ja, wie die CDU die letzten Wochen agiert hat, am Anfang die ersten paar Tage bis hin zu: Wir können uns Steuererhöhungen auch vorstellen. Das ist vom Tisch gewesen, weil es einen Aufschrei gab innerhalb der eigenen Partei und in der Öffentlichkeit. Aber Mindestlohn und andere Themen der SPD, da rollt ja die Union fast schon freiwillig praktisch den roten Teppich für die Sozialdemokraten aus, also da schüttelt man manchmal als Christdemokrat nur den Kopf.
Grieß: Oswald Metzger, der frühere Grüne und heutige CDU-Politiker, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Metzger, danke für das Gespräch!
Metzger: Ich danke auch, Herr Grieß!
Grieß: Ein schönes Wochenende!
Metzger: Wünsche ich Ihnen auch, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Oswald Metzger: Guten Morgen, Herr Grieß!
Grieß: Sie haben Schwarz-Grün vor einigen Jahren einmal als das "große Zukunftsprojekt für dieses Jahrtausend" bezeichnet. Da kann man ja nur sagen: Gut, dass das Jahrtausend noch ein paar Jahre hat.
Metzger: Das ist wohl wahr, aber der Satz ist auch schon mindestens 15 Jahre her, als ich noch zu Bonner Zeiten im Deutschen Bundestag für die Grünen saß. Nun gut, die Chancen auf diese Option auf Bundesebene sind diesmal ausgeschlagen worden, aus meiner Sicht von den Grünen, aber es war auch konsequent. Also ich selber, obwohl ich nicht grundsätzlich auch als CDU-Politiker schwarz-grüne Bündnisse ablehne, hätte es für relativ fatal gehalten, wenn man mit einer Partei koaliert, die sich zunächst mal selber häuten muss, personell und programmatisch. Die in den letzten fünf, sechs Jahren, eigentlich seit 2005, seit sie auf Bundesebene in die Opposition gerieten, deutlich nach links gewandert ist.
Grieß: Aber ich meine, Herr Metzger, Sie waren lange genug bei den Grünen dabei und haben mehrmals die Häutung einer Partei erlebt, wie sie sich schnell wandeln kann und schnell Grundsatzpositionen abräumen und verändern kann. Warum wäre das diesmal nicht möglich gewesen?
Metzger: Weil die Realos innerhalb der Partei, also wenn Sie so wollen, die Kretschmann-Linie, um es mal zu vereinfachen, seit vielen Jahren auf den Bundesparteitagen überhaupt nicht mehr für Inhalte gekämpft haben. Das ist ein Riesenproblem. Und man kann nicht quasi nur medial ein bisschen marktwirtschaftlich, wirtschaftsfreundlich Laut geben, so wie nach dem Parteitag mit den Steuererhöhungen im März beim Wahlprogramm, oder eine Kerstin Andreae als Wirtschaftspolitikerin für den Fraktionsvorsitz kandidieren lassen und dann darauf hoffen, dass eine mehrheitlich von Linken besetzte Bundestagsfraktion sie dann auch wählt. Also so schnell geht das nicht. Dieser Prozess der Verortung der Grünen zwischen SPD und Linkspartei, der hat eben jahrelang diesmal funktioniert, und die Realos innerparteilich haben eine viel schwächere Position, jedenfalls auf der Ebene auch der Führungs-, Funktionärsschiene auch, denen unterhalb der ersten Reihe, als beispielsweise in den 90er-Jahren oder noch Anfang des letzten Jahrzehnts. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Und ich glaube manchmal, wenn ich so die Medienlage angucke: Viele Leute im Journalismus haben quasi Schwarz-Grün als Projekt stärker gefeatured als die grüne Basis, die Parteibasis in den letzten Jahren. Und das sollte einem doch zu denken geben.
Grieß: Haben Sie denn den Eindruck, dass der Realo-Flügel, Sie haben ja eben vereinfachend gesagt, der "Kretschmann-Flügel", jetzt nach dem doch mageren Wahlergebnis stärker wird?
Metzger: Also er wird sich bemühen müssen, stärker zu werden. Heute wird es ja ein paar Indizien dann geben beim Parteitag. Also das Abschneiden von Özdemir bei der Vorstandswahl, der ja sogar formell einen kleinen Gegenkandidaten hat, wird sicher ein Signal sein, ob die Linke praktisch durchaus Laut gibt und ihn auch schwächt durch ein schlechtes Ergebnis. Das entscheidende Signal aus meiner Sicht wird kommen bei den Verhandlungen in Hessen, also Ende dieses Monats ist ja eine dritte Sondierung zwischen Grün und Schwarz. Und ich glaube, wenn die Realos innerhalb der Grünen stärker werden wollen, dann müssen sie es schaffen, in Hessen mit der Union eine Landesregierung, eine schwarz-grüne, zu bilden. Das wäre das deutlichste Signal, dass die Grünen tatsächlich aufbrechen, neue Optionen probieren und nicht nur sich hinter so ausgelutschten Sätzen verschanzen, wie sie gestern Cem Özdemir gebraucht hat: "Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, wir sind vorne." Das ist natürlich platt. Also das muss man schon unterlegen mit Fakten, mit einer Politik, die in Verantwortung auch tatsächlich zu Kompromissen bereit ist und die wirklich Mittelstandwirtschaft ernst nimmt und nicht permanent als Punchingball für eine freigiebige Sozialpolitik oder eine Vorschriftenorgie.
Grieß: Gehen wir mal davon aus, dass Cem Özdemir heute wiedergewählt wird als Vorsitzender, als Vertreter des Realo-Flügels. Dann ist natürlich nach wie vor Winfried Kretschmann Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Und vielleicht kommt es ja dann, wie Sie angedeutet haben oder gehofft haben auch, zu einer schwarz-grünen Landesregierung in Hessen, in Wiesbaden. Wären die Grünen dann langsam vielleicht doch wieder Ihre Partei?
Metzger: Nein, also das ist eine eindeutige Geschichte, dass die Grünen so stark etatistisch geworden sind. Und wissen Sie, ich bin sicher von meiner Art her als Marktwirtschaftler jemand, der sich auch bemüht, ehrlich der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken über unsere tatsächliche ökonomische Lage, über die Ressourcen des Staates. Und da sind Sie in jeder Partei, prinzipiell nun mal in meiner, auch in der Union ... Es ist ja nicht so, dass ich als CDU-Politiker jetzt hoch erfreut dasitze und warte, was man mit der SPD für Kompromisse macht. Große Koalitionen sind teure Veranstaltungen für die Wählerschaft, das sage ich auch ganz deutlich als CDU-Mann. Und auch in der CDU muss man heute für marktwirtschaftliche Positionen kämpfen, also nicht, dass Sie mich missverstehen.
Grieß: Nein, ganz und gar nicht, aber dann stellt sich schon die Frage, Herr Metzger: Ist denn die CDU, die ja jetzt von Mindestlohn spricht und keinen entschiedenen Widerstand gegen verschiedene Forderungen der SPD mehr stellt, denn noch Ihre Partei?
Metzger: Also sie ist meine Partei, auch wenn ich letzten Freitag nicht als Bundesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung gewählt wurde, aber wir haben einen guten, neuen Vorsitzenden bekommen mit Carsten Linnemann. Das Problem ist: Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland fast einen Pendelschlag nach links gehabt. Der Zeitgeist weht links. Wir haben Verteilungsdebatten geführt nach der großen Reformdiskussion vor zehn Jahren mit der Agenda 2010, die ja eigentlich ein überparteiliches Reformprojekt war, nicht nur ein rot-grünes, weil im Bundesrat damals CDU und FDP die Mehrheit hatten und das Ganze mitgetragen haben. Und diese Rendite, die wir aus dieser Politik geerntet haben mit Aufwuchs der Beschäftigung, mit einer besseren wirtschaftlichen Lage als in vielen anderen Ländern, die ist jetzt verbraucht. Und eigentlich müssten wir jetzt eine neue Reformdebatte haben – aber stattdessen führen wir jetzt Verteilungsdebatten. Das werden Sie jetzt auch in den Koalitionsverhandlungen erleben: Möglicherweise, wenn die Union die Mütterwende kriegt, die ja nicht billig ist, dann wird die SPD die Garantierente wollen. Und wenn Sie dieses Strickmuster von Koalitionsverhandlungen sehen, dann wird einem natürlich ganz anders. Und der Bevölkerung müssten wir schon sagen in Deutschland: Wir können nicht von anderen europäischen Ländern erwarten, dass sie wettbewerbsfähiger werden, und so tun, als ob wir auf der Insel der Seligen leben.
Grieß: Nun ist es natürlich aber auch so, Herr Metzger, dass, wenn die Union auf Ihrer Linie bliebe, dann hätte sie gar keinen Koalitionspartner. Die einige Weniger-Staat-Partei, die dann noch übrig wäre, die ist aus dem Parlament geflogen, die FDP.
Metzger: Das ist richtig. Also insofern ist es vielleicht so, dass mittelfristig dieses Wahlergebnis für die Union mit über 40 Prozent – sehr überraschend – zum Phyrrussieg werden kann. Die Union muss aufpassen, dass sie ihre Wirtschaftskompetenz nicht verliert, weil eine Volkspartei ohne Wirtschaftskompetenz wird auf Dauer keine Verantwortung in einem Land kriegen. Und deshalb gilt es innerhalb der Union jetzt, den Wirtschaftsflügel zu stärken, die marktliberalen Positionen auch in der Union zu verankern, personell und programmatisch – aber dafür müssen auch in der Union wieder Leute streiten, in der Partei. So wie ich es jetzt eben in Bezug auf die Grünen gesagt habe: Man kann nicht beklagen, dass man Wahlen verliert, weil man sich links aufstellt, wenn die Leute, die diesen Kurs kritisiert haben, über Jahre hinweg bei Parteitagen kaum den Mund aufgemacht haben. Oder am Schluss gute Miene gemacht haben, indem sie mitgestimmt haben.
Grieß: Herr Metzger, wir wollen noch einmal den Bogen schlagen zurück zum Beginn unseres Gespräches. Hat die Union vielleicht doch jetzt sehr schnell eine Option aus der Hand gegeben, indem sie gesagt hat: Mit diesen Grünen – das haben Sie ja auch gerade gesagt - können wir erst einmal so nicht koalieren? Also Wettbewerb würde ja das Geschäft beleben.
Metzger: Das ist absolut so, wobei ich im Augenblick eher den Eindruck habe, trotz meiner eigenen Skepsis gegenüber Schwarz-Grün, weil das ja belastbar sein muss, dass erstaunlich viele Spitzenpolitiker der Union bis hinauf zum CSU-Kollegen Horst Seehofer sehr freundlich über die Gespräche mit den Grünen gesprochen haben. Und ich glaube, es war weniger Inszenierung, als viele Grüne auch geglaubt haben. Aber die Grünen sind nicht so weit, und sie haben vielleicht auch Angst vor dem Morbus Merkel, dass sie quasi durch eine starke Kanzlerin und durch ihre Art und Weise, Themen zu integrieren von anderen politischen Parteien, weiter sozusagen nach unten gedrückt werden. Da spielt viel eine Rolle: eine Angst vor Verantwortung, das Nicht-Wissen, wohin man will, weil man sich irgendwie verrannt hat. Und in der Union, glaube ich, sehen inzwischen viele, dass man strategische Optionen braucht. Ich habe vor zwei Jahren mal deutlich geschrieben an die Adresse meiner eigenen Partei, der Union: Man kann keine Koalitionsoptionen ausschlagen, weil man irgendwann in der strategischen Falle machtpolitisch steht, dass nur noch die große Koalition bleibt oder die Opposition. In Baden-Württemberg ist meine Partei mit 39 Prozent in der Opposition, weil sie sich keine Koalitionsoptionen eröffnet hatte vor der letzten Landtagswahl. War ein Riesenfehler.
Grieß: Aber trotzdem wird man auf die Partei natürlich zugehen müssen. Aber dienten denn diese wohlwollenden, vielleicht säuselnden Töne aus der Union, die da zu hören waren nach dem Scheitern der Sondierungen mit den Grünen, tatsächlich dazu, ein solches Gespräch, ein solches Projekt irgendwie in vier Jahren oder zu einem anderen Zeitpunkt wieder aufzunehmen?
Metzger: Also kleiner Einspruch: Projekte sind Koalitionen nie, das sind immer Zweckbündnisse. Also wer Koalitionsoptionen überhöht, also Rot-Grün oder Schwarz-Grün, der versteht Politik nicht. Es geht eindeutig um Zweckbündnisse, um Partnerschaften auf Zeit, wo natürlich auch persönliche Karrierewünsche in der jeweiligen Partei eine Rolle spielen. Leute sind halt eben gern mal Minister, wenn sie ewig auf Oppositionsbänken sitzen. Aber die andere Geschichte: Sie haben natürlich recht – ein Stück weit ist es auch ein Synthisieren. Man will den Preis für die Sozialdemokratie drücken. Aber andererseits: Schauen Sie sich mal an, wie jetzt im Moment die CDU ...
Grieß: Ja gut, das ist ja jetzt vorbei.
Metzger: ... ja, wie die CDU die letzten Wochen agiert hat, am Anfang die ersten paar Tage bis hin zu: Wir können uns Steuererhöhungen auch vorstellen. Das ist vom Tisch gewesen, weil es einen Aufschrei gab innerhalb der eigenen Partei und in der Öffentlichkeit. Aber Mindestlohn und andere Themen der SPD, da rollt ja die Union fast schon freiwillig praktisch den roten Teppich für die Sozialdemokraten aus, also da schüttelt man manchmal als Christdemokrat nur den Kopf.
Grieß: Oswald Metzger, der frühere Grüne und heutige CDU-Politiker, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Metzger, danke für das Gespräch!
Metzger: Ich danke auch, Herr Grieß!
Grieß: Ein schönes Wochenende!
Metzger: Wünsche ich Ihnen auch, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.