Michael Angele vs. Andreas Bernard Bringen Hashtags die Debatte voran?
Ob bei #Aufschrei, #MeToo oder #unten, kommen Menschen zu Wort, die von Medien wenig beachtet werden, meint "Freitag"-Chefredakteur Michael Angele. Kulturwissenschaftler Andreas Bernard hält dagegen: Die Raute tauge fürs Marketing, aber nicht jedes Statement lasse sich unter ein Schlagwort einordnen.
Eine zugespitzte Frage, zwei Gäste, zwei konträre Positionen – dazu eine Moderatorin oder ein Moderator und ein weites Themenspektrum, jeden Samstag um 17.05 Uhr. Das ist das Konzept der neuen Sendung. Sind wir zu politisch korrekt? Passen Religion und Aufklärung zusammen? BER und Stuttgart 21 – hat Deutschland das Bauen verlernt? Den Streit wert sind Kunst und Musik, Glaube und Wissenschaft, Lebensstil und politische Kultur. Eine gleich bleibende Debattendramaturgie sorgt für klare Standpunkte, dann folgen echter Austausch, Abwägen und gemeinsames Nachdenken. Im besten Fall wird der Titel so eingelöst, dass wir genau das vorführen: Streit-Kultur.
Wenn es im Netz laut genug brodelt, hören alle hin: Der Hashtag ist das Emblem einer neuen Debattenkultur. (imago/Ikon Images)
Michael Angele, Chefredakteur des "Freitag" und Miterfinder des Hashtags #unten: "Für mich ist die Frage erst einmal wichtig: Können Hashtags Debatten auslösen? Der "Freitag" hat es gerade vorgemacht mit dem Hashtag #unten: Ja, da können sie. In dem Wortgebilde aus Hashtag und Debatte interessiert mich vor allem die Debatte. Was bringt eine Debatte überhaupt? Bringt sie die Gesellschaft voran? Ja. Sie gehört zu unserer Form von Öffentlichkeit. Ich habe mich anlässlich eines Buchs über Frank Schirrmacher, der ja ein Meister der Debatte war, gefragt: Würde Frank Schirrmacher, der Herausgeber der FAZ, das heute noch können? Ja, das würde er - wenn er zu einem Hashtag greifen würde. Bei #unten beobachten wir, dass die Debatte sich über verschiedene Medien ausbreitet. Das ist ein großer Gewinn, aber am Anfang stand der Hashtag."
Die "MeToo"-Bewegung sorgte auch außerhalb der sozialen Medien für Aufruhr. (imago / Bildgehege)
Andreas Bernard, Kulturwissenschaftler an der Leuphana Universität Lüneburg und Autor des Buches "Das Diktat des Hashtags": "Der Hashtag kann zwar Debatten lancieren und Stimmen bündeln, die ansonsten überhört würden. Aber er nivelliert und homogenisiert sie auch. Denn alle Beiträge, die im Laufe einer Debatte gehört werden können, müssen unter dem gleichen Schlagwort, Motto oder Hashtag formuliert werden. Wenn man sich Debatten ansieht, wie die bekannteste, die zu #MeToo oder auch jetzt #unten, hat man das Gefühl, dass es eine ambivalente Entwicklung gibt. Es werden Interessen gebündelt, doch eigentbrötlerische Standpunkte, nicht rubrizierbare Standpunkte und Erzählungen lassen sich nur schwer artikulieren, wenn alles über Hashtags läuft. Insofern würde ich relativieren, ob Hashtags die Debatte voranbringen."