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Michaele Schreyers Plan für europäische Staatsanwaltschaft

Simon: Die europäische Kommission ist ein Apparat, der mit vergleichsweise wenig Personal riesige Etats verwaltet. Das heißt auch, dass nicht alles so kontrolliert werden kann wie es eigentlich sollte. Dass die Kommission durch Zoll- und Subventionsbetrug jedes Jahr um Milliarden geschädigt wurde, hat man in Brüssel lange stillschweigend hingenommen. Erst nach anhaltendem Druck des Haushaltsausschusses des Europäischen Parlamentes ist die Antibetrugseinheit Olaf eingerichtet worden. Aber deren Arbeit bleibt mühsam, denn Olaf ist angewiesen auf die Staatsanwälte, die Zollfahnder und die Polizei in den Mitgliedsländern der EU. Und es gibt keine zentrale Koordination bei den Ermittlungen. Die EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer und ihr Justizkollege Vitorino wollen das ändern und werden nach der Sommerpause im September der EU-Kommission die Einrichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft vorschlagen. Diese europäische Staatsanwaltschaft soll Ermittlungen wegen Betrügereien zu Lasten des EU-Haushalts koordinieren, auch in den Mitgliedsstaaten. - Am Telefon begrüße ich Detlev Samland, Europaminister des Landes Nordrhein-Westfalen und lange Jahre Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Europaparlamentes. Herr Samland, was halten denn Sie von dem Vorschlag einer europäischen Staatsanwaltschaft?

    Samland: Wer A sagt muss auch B sagen. Das bedeutet, wir können nicht nur beklagen, dass wir Betrügereien in der Europäischen Union haben, sondern wir müssen auch Instrumente dafür schaffen, um sie zu bekämpfen. Insoweit bin ich für diese Idee, für diesen Ansatz, der dort formuliert wird. Allerdings gibt es dabei eine Reihe von Auflagen und Bedingungen, die man dazu heranziehen muss.

    Simon: Was zum Beispiel?

    Samland: Zuerst einmal muss man sich die Frage stellen, die Europäische Union organisiert eine solche Tätigkeit bisher eigentlich auf der Basis der dritten Säule. Ganz kompliziert, aber wir haben den Vertrag und wir haben bestimmte Tätigkeiten. Die werden in zwischenstaatlicher Vereinbarung getroffen, und zwar zwischen den Regierungen. Wenn man eine solche Einrichtung mittel- und langfristig schaffen will, dann wird man sie nur schaffen können, wenn man das Europäische Parlament, das gewählte Organ, in einem solchen Verfahren beteiligt. Das geht eben nur, wenn es in der ersten Säule, also wenn es auf der Basis des Vertrages realisiert wird. Der Vertrag lässt heute aber nur zu, dass man sehr eingeschränkte Tätigkeiten für eine solche europäische Staatsanwaltschaft schaffen könnte.

    Simon: Das heißt Sie meinen, da wird etwas getan, bevor überhaupt die Grundlage vorhanden ist. Man müsste vielleicht bei der Gelegenheit auch noch auf einen grundsätzlichen Haken zu sprechen kommen. Der liegt beim Ministerrat. Die europäische Kommission kann ja eine Staatsanwaltschaft so oft beschließen wie sie will. Wenn die Mitgliedsländer der EU nicht zustimmen, dann wird es diese zentrale Ermittlungsstelle nicht geben. Großbritannien, Dänemark und Schweden haben ja schon protestiert. Für wie stichhaltig halten Sie denn deren Souveränitätsargumente?

    Samland: Das ist eine ganz schwierige Frage. Die Kommission versucht ja, die Zuständigkeit sehr einzuschränken, damit sie überhaupt eine Chance hat, diesen ersten Schritt zu machen. Sie will begrenzen auf die Bekämpfung der Kriminalität, der Verstöße durch eigene Mitarbeiter der Europäischen Gemeinschaft, also der Kommission, nicht durch Mitarbeiter der Mitgliedsstaaten. Wenn sie diesen ersten Schritt nicht tun würde, würde sie sofort das Land unter den Füßen verlieren und sie würde keinen Schritt weiter kommen. Das kann dann aber nur ein Anfang sein, denn wenn natürlich auch eine Strukturfonds-Maßnahme eingeleitet wird - nehmen wir jetzt mal den Fall der Bundesrepublik Deutschland - und es betrügt zum Beispiel ein Beamter aus dem Land Nordrhein-Westfalen, dann muss die Kommission die Möglichkeit haben, auch diese Verfolgung vorzunehmen und dann diesen Menschen vor dem deutschen Gericht durch diese Staatsanwaltschaft zur Anklage zu bringen. Bis heute wäre es so, dass die nordrhein-westfälische Justiz diesen Fall verfolgen müsste und zur Klage bringen müsste. Das führt zu wahnsinnig langen Vorgängen, selbst wenn alle willig sind und verfolgen wollen. Bis dann der Täter wirklich vor Gericht zur Rechenschaft gezogen wird, das sind dann meistens vier, fünf, sieben, acht Jahre gegenüber dem Erkennen des Vorfalls und der Umsetzung.

    Simon: Aber was heißt das denn? Sie sagen gerade selber, es sind wahnsinnig schwierige Verfahren zur Zeit. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, so wie sie bisher praktiziert wird, eben von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in den Ländern, die funktioniert nicht. Zugleich blockieren aber jetzt schon einige Mitgliedsländer, wenn es heißt, wir machen wenigstens nur für Betrügereien, die von unseren EU-Beamten gemacht werden, eine Staatsanwaltschaft, und sagen, das wollen wir nicht. Was steht dahinter?

    Samland: Dahinter hängt der Souveränitätsvorbehalt, dass wir damit eigentlich den Einstieg in eine Strafrechtszuständigkeit der Europäischen Union machen. Denn Sie müssen sehen, wenn wir einen ersten Schritt auf diesem Feld machen, was bisher immer abgelehnt worden ist, bedeutet das, wir übertragen auch Kompetenzen im Strafrecht auf die Gemeinschaft. Da muss man natürlich auch ganz vorsichtig sein. Das muss demokratisch kontrolliert sein, denn immerhin kann ihnen dann auch passieren, dass sie durch die europäische Staatsanwaltschaft vor ein deutsches Gericht gezogen werden. Dieser Schritt, solche Rechte auf europäische Ebene zu übertragen, kann nur gehen, wenn diese Rechte dort demokratisch legitimiert sind. Das bedeutet zum Beispiel auch demokratische Kontrolle. Das bedeutet auch parlamentarische Kontrolle.

    Simon: Das heißt aber, dass bis dahin - und das kann ja noch ewig und drei Tage dauern - einfach alles hinzunehmen ist, dass durch Betrug jedes Jahr Milliarden verloren gehen, Milliarden, die Steuerzahler in allen EU-Ländern aufbringen?

    Samland: Das muss man nicht. Deshalb hat die Kommission ja den Versuch gemacht, zuallererst einmal den Kampf gegen die Betrügereien in der Kommission und gegen die eigenen Mitarbeiter vorzunehmen, denn dort hat sie über einen Artikel im Vertrag die Möglichkeit, einen ersten Schritt vorwärts zu machen, auch allerdings nur, wenn alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zustimmen. Ich gebe Ihnen aber zum zweiten Recht: Wenn die Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, diesen kleinen Schritt zu machen, dann verlieren sie auch das Recht, die europäische Kommission Jahr für Jahr zu kritisieren, wenn auf Betrügereien hingewiesen wird. Denn wenn man denen keine Instrumente gibt, dann können sie auch den Betrug nicht bekämpfen.

    Simon: Glauben Sie, dass es in manchen Ländern auch ein gezieltes Desinteresse an solcher Aufklärung gibt, denn es gibt ja auch Länder, die profitieren durchaus davon, wenn in der Landwirtschaft Subventionsbetrug gemacht wird?

    Samland: Sie haben gerade die Länder genannt, die schon jetzt die Fahnen hochgezogen haben und gesagt haben, wir wollen dieses nicht. Großbritannien zum Beispiel oder die nordischen Länder. - Nein, das glaube ich nicht. Es sind Länder, in denen nach unseren Erfahrungen die Betrügereien gerade in der Landwirtschaftspolitik außerordentlich klein sind. Großbritannien partizipiert ja an der europäischen Landwirtschaftspolitik nur in sehr eingeschränktem Maße, dadurch dass es relativ wettbewerbsfähige Landwirtschaft hat und deshalb von den Zuschüssen der Landwirtschaft nicht partizipieren muss. Nein, ich glaube das nicht. Es ist eher der Vorbehalt, dass jetzt auch noch die Europäische Union in die Fragen des Strafrechtes und dann befürchtet man doch sofort auch in die Fragen des Zivilrechtes eingreift und dort Zuständigkeiten bekommt. Dies ist mehr der ideologische Grund, warum man dort abwehrt.

    Simon: Was wird aus diesem Vorschlag werden? Ist es eine Eintagsfliege?

    Samland: Nein, es ist bestimmt keine und ich hoffe, dass damit eine Diskussion losgetreten wird, bei der wir auch die Menschen ein Stück gewinnen können. Sie wissen, der europäische Integrationsprozess ist kein Plan, keine Blaupause, sondern es ist eine Bewegung, die in Wellen verläuft. Sie kriegen nur Druck für solche Entscheidungen, wenn sie auch öffentlichen Druck haben. Wenn die Menschen sagen, ich sehe das nicht ein, da werden meine Steuergelder eingenommen, da werden Steuergelder hinterzogen und es gibt kein ausreichendes Instrument, diesen Betrug zu bekämpfen, wenn das die Menschen begreifen und verstehen, gerade bei so einem komplizierten Thema, und dadurch öffentlicher Druck entsteht, wird auch Druck auf diese Mitgliedsstaaten entstehen, die sich heute noch diesem Prozess verweigern. Insoweit ist der Schritt völlig richtig. Er kommt vielleicht sogar schon einige Jahre zu spät.

    Simon: Die europäische Kommission plant die Einrichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von EU-Betrug. - Das war ein Gespräch mit Detlev Samland, Europaminister des Landes Nordrhein-Westfalen

    Link: Interview als RealAudio