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Michailowa: Wir wollen keine Gewalt

Nach den Demonstrationen in Moskau sieht Galina Michailowa von der russischen Oppositionspartei Jabloko düstere Zeiten auf ihr Land zukommen. Die Bewegung wisse nicht, was sie eigentlich wolle. Was sie vereine, sei die Unzufriedenheit, sagte Michailowa.

Galina Michailowa im Gespräch mit Silvia Engels | 13.06.2012
    Silvia Engels: Gestern versammelten sich in Moskau Zehntausende Menschen, um zum ersten Mal seit der Wiederwahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten gegen dessen autoritäre Politik zu demonstrieren. Besonders setzten sie sich gegen die jüngst beschlossenen Regelungen zur Wehr, die Versammlungen in Russland erschweren.
    Wir wollen das Thema vertiefen und erreichen heute früh Galina Michailowa. Sie ist Exekutivsekretärin des politischen Komitees der Oppositionspartei Jabloko. Guten Morgen, Frau Michailowa.

    Galina Michailowa: Guten Morgen.

    Engels: Wie haben Sie diese Demonstration gestern erlebt?

    Michailowa: Na ja, ich habe unsere Kolonne geführt. Wir beteiligten uns an der Demo. Bloß das ist hier ein wenig kompliziert, das ist nicht so einfach, weil an der Demo unterschiedliche Kräfte teilgenommen haben. Da waren auch Nationalisten dabei und da waren Kommunisten dabei und ganz radikale Kommunisten waren auch dabei und es gab auch zwischendurch Störungen. Zum Beispiel die Nationalisten wollten zu der Tribüne kommen und haben alle runtergetrampelt, die da standen. Also das ist hier eine Bewegung, man soll das so beurteilen, das sind die Leute, die mit der Entmachtung zufrieden sind. Aber was sie wollen, das wissen sie nicht so richtig.

    Engels: Das heißt, die Demonstration zeigt auch neben ihrer Wirkmächtigkeit über die große Zahl von Menschen die Zerrissenheit der russischen Opposition gegen Putin?

    Michailowa: Wissen Sie, es wird ja immer über die Zerrissenheit der Opposition gesprochen. Aber wie können die Kommunisten und die Nationalisten und die Liberalen miteinander irgendetwas zusammen machen? Wie können sie sich miteinander vereinigen, wenn sie ganz unterschiedliche Vorstellungen, wenn überhaupt, über die Zukunft des Landes haben? Was diese sozusagen Opposition vereinigt, das ist die Unzufriedenheit. Das ist alles. Das ist unser Problem!

    Engels: Dann schauen wir auf die Rahmendaten dieser Demonstration. Dort war es ja immerhin so, dass sich wohl im Großen und Ganzen, auch wenn Sie sagen, es gab etwas Unruhe auch während der Demonstration, dass sich aber im Großen und Ganzen Polizei und Demonstranten zurückhaltend gezeigt hatten, es nicht zu Ausschreitungen kam. Ist das nicht auch ein Erfolg und zeigt, dass das Demonstrationsrecht noch möglich ist in Russland?

    Michailowa: Das ist nur die Entscheidung der Machthaber, dass es ohne Ausschreitungen gelaufen ist. Vorher haben sie die Durchsuchungen bei den bekannten Leuten durchgeführt, vorher gab es Verhaftungen, als wir gegen das Gesetz über die Kundgebungen demonstriert haben. Ich wurde auch verhaftet. Also unsere Macht macht es so, mal so, mal so, mal freundlich, mal ganz bedrohend, und trotzdem wird es ja ziemlich schwierig, dann weiter die oppositionelle Einstellung zu zeigen.

    Engels: Jabloko, Ihre Partei, Sie haben es angesprochen, hat sehr scharf gegen die jüngste Verschärfung der Versammlungsfreiheit protestiert. Wie haben Sie denn seitdem oder im Vorfeld den generellen Umgang der Behörden mit der Opposition erlebt, seitdem Putin wieder im Amt ist?

    Michailowa: Es ist so, dass die versuchen, den Leuten einfach Angst zu machen, Angst zu machen, dass sie nicht auf die Straße gehen. Deswegen haben die so ein Gesetz verabschiedet. Und das wird dazu führen, dass die radikalen Leute noch mehr radikal und radikaler werden, und die Leute, die bereit sind, irgendwie ansprechbar zu sein, irgendwie mit den Machthabern sprechen zu können, die werden ausgeschlossen. Das betrifft unsere Partei, weil wir nämlich ganz klare Vorstellungen haben, wie Russland sich entwickeln soll, in welche Richtung, und zwar in europäische Richtung, und unsere Position ist deswegen ziemlich schwierig. Wir wollen keine Auseinandersetzungen, wir wollen keine Gewalt. Unser Land hat schon so viele Male Gewalt erlebt, und das bringt ja gar nichts. Deswegen wollen wir auf einem konzeptionellen Weg das Land reformieren.

    Engels: Was erwarten Sie für die nächsten Wochen und Monate? Denken Sie, dass dieser von Ihnen beschriebene Einschüchterungsversuch der Regierung, die Menschen nicht mehr auf die Straße treiben zu wollen, durch Einschüchterung also die Protestbewegung auf diesem Wege abzumildern, Erfolg hat, oder rechnen Sie mit weiteren Massenprotesten?

    Michailowa: Einen Erfolg kann das nicht haben. Es gibt hier immer eine Schicht – das ist zwar eine relativ dünne Schicht, aber die gibt es – von Leuten, die bereit sind, in jeder Situation zu protestieren. Die sind einfach so aktiv und so bereit, solche Leute gibt es in jeder Gesellschaft. Und außerdem erwarten wir, dass im Laufe des Sommers sehr viele Gesetze in Kraft treten, und diese Gesetze werden mit Sicherheit die Lage der Leute erschweren, und zwar die materielle Lage. Und wenn zu diesen politischen Protesten dann die sozialen Proteste hinzukommen, dann wird das für unsere Macht ziemlich schwierig sein.

    Engels: Frau Michailowa, Sie warnen vor einer Radikalisierung. Haben Sie denn abseits von der Ebene von Wladimir Putin auch vielleicht Stimmen innerhalb des Regierungslagers, die sich einen gemäßigteren Kurs wünschen?

    Michailowa: Ja. Es gab schon unter Medwedew solche Leute bei uns im Lande und auch im Ausland haben viele erwartet, dass es zu einer Legalisierung und Modernisierung kommt. Und das haben wir jetzt? Wir haben das Gegenteil davon. – Das glaube ich nicht, ich sehe das ziemlich düster, ich glaube, es wird so gehen, dass es zu einer dann Radikalisierung kommt, und es ist nicht zu hoffen, dass unser Präsident dann bereit sein wird, auf die Leute zuzugehen.

    Engels: Galina Michailowa, sie gehört der Oppositionspartei Jabloko an, wir haben sie direkt in Russland erreicht. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.