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Micus: Rechtspopulisten profitieren von der Spaltung der Gesellschaft

"Die große Schwäche der großen Volksparteien ist Voraussetzung des Aufstiegs der Rechtspopulisten", sagt Matthias Micus vom Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen. Die Partei von Geerts Wilders stelle sich zudem als Bewahrer der christilich-abendländischen Tradition da.

Matthias Micus im Gespräch mit Jasper Barenberg | 04.10.2010
    Jasper Barenberg: Den Koran nennt Geert Wilders ein faschistisches Buch. Der niederländische Rechtspopulist, er will es verbieten lassen. "Stoppt die Zuwanderung aus muslimischen Ländern", "Verbietet den Bau neuer Moscheen", "Verbietet die Burka", "Stoppt die Islamisierung", das hat Wilders vor zwei Jahren gesagt im Parlament von Den Haag, alle waren empört, jetzt werden wohl einige Forderungen Wirklichkeit. Das Burkaverbot zum Beispiel, denn am Wochenende haben die Christdemokraten mit großer Mehrheit eine Zusammenarbeit mit Wilders islamfeindlicher Partei für die Freiheit abgesegnet. Wilders soll der geplanten Minderheitsregierung von Christdemokraten und Rechtsliberalen die Mehrheit sichern.

    Rechtspopulismus und Islamfeindschaft auf dem Vormarsch in den Niederlanden und darüber hinaus? – Darüber wollen wir in den kommenden Minuten mit Matthias Micus sprechen, der sich am Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen gerade unter anderem mit den politischen Verhältnissen in den Niederlanden beschäftigt. Einen schönen guten Morgen, Herr Micus.

    Matthias Micus: Guten Morgen.

    Barenberg: Wilders Freiheitspartei ist bei den Wahlen vor fast vier Monaten ja drittstärkste politische Kraft geworden. Wie sehr hat der Rechtspopulist dabei auch von der Schwäche der großen Parteien profitiert?

    Micus: Ja, die große Schwäche der großen Volksparteien ist Voraussetzung des Aufstiegs der Rechtspopulisten. Die Zeit der Volksparteien scheint unwiderruflich abgelaufen zu sein. Volksparteien sind, wenn man so will, Phänomene der Industriegesellschaft. Auch Massengewerkschaften und Volkskirchen verlieren ja Mitglieder und angehörige, auch diese befinden sich in der Ära, wie es soziologisch heißt, der dienstleistungsbasierten Wissensgesellschaft mit ihren kleinen Einheiten und flachen Hierarchien in der Defensive. Volksparteien konnten ihre breiten Integrationsbögen, wenn man so will, zweitens nur spannen durch eine Verteilungspolitik nach dem Gießkannenprinzip, in Phasen also der Hochkonjunktur. Volksparteien basieren insoweit auf einer breit gefächerten materiellen Interessenbefriedungspolitik, auch diese Grundlagen sind weggebrochen.

    Kurzum: den Volksparteien gelingt es immer weniger, ihren volksparteilichen Anspruch einzulösen, Abbild der Gesellschaft im kleinen zu sein. Sie verlieren nach allen Seiten.

    Und die niederländischen Rechtspopulisten sind ganz deutlich sichtbar der Nutznießer eben dieser Integrationsprobleme der einstigen Großen. Sie wurden einerseits überdurchschnittlich gewählt von Arbeitern, also der klassischen Kernklientel der Sozialdemokraten, und erzielten andererseits ihre besten Ergebnisse in Nordbrabant und Limburg, also den alten katholischen Hochburgregionen der Niederlande. Insofern klare Sache: Die Krise der alten Großparteien ist Voraussetzung des Aufstiegs des Rechtspopulismus.

    Barenberg: Und dann kommt ja noch sozusagen ein inhaltlicher Aspekt dazu. Warum ist ausgerechnet eine sehr schroffe Haltung gegenüber Einwanderern, vor allem muslimischen Einwanderern, dann so erfolgreich in dieser Situation?

    Micus: Nun, rechtspopulistische Parteien – das machen sie traditionellerweise – richten sich gegen alles Fremde, alles, was bedrohlich aussieht, dem kleinen Bürger, den kleinen Leuten bedrohlich erscheint, und da bieten sich Muslime in gewisser Weise an, also gerade jedenfalls diese Typen von Muslimen, die Rechtspopulisten ja nun in den Vordergrund schieben, die verschleierten Frauen, am besten noch in Burka, nur mit so einem Augenschlitz. Insofern ist also diese Islamfeindschaft nicht so erstaunlich.

    Das Interessante daran ist nur: Rechtspopulisten sind schon seit den 80er-, 90er-Jahren als Protestparteien und Empörungsparteien Parteien der kleinen Leute, also der Arbeiter, der modernen Unterschicht. Das Neue ist nun, dass sie sich im Zuge ihrer Anti-Islam-Kampagnen als Bewahrer auch zunehmend der christlich-abendländischen Kultur präsentieren, also zunehmend auch es schaffen, in alte katholische, christliche Segmente einzudringen, oder jedenfalls für diese attraktiv zu werden, weil eben dieser Gegensatz aufgebaut wird, Islamisierung der Kultur, christlich-abendländische Traditionen und Rechtspopulisten als Bewahrer eben dieser Traditionen. Das ist so das Neue, was auch durch das neuartige in den Vordergrund rücken der Islamfeindschaft, der Islamproblematik den Rechtspopulisten gelingt.

    Barenberg: Nun bestürzen diese Entwicklungen ja vor allem die Vertreter der muslimischen Organisationen auch in den Niederlanden. Das spaltet unsere Gesellschaft, sagen aber nicht nur sie, sagen auch andere. Treibt Wilders mit seiner Partei denn einen tiefen Keil in die Bevölkerung?

    Micus: Ja, natürlich. Man muss, würde ich jetzt aus Sicht eines aufgeklärten Demokraten sagen, oder als Mitarbeiter eben eines Instituts für Demokratieforschung, schon immer sehr wachsam sein, was solche Phänomene angeht. Tatsache ist allerdings, das darf man eben nicht vergessen, dass populistische Parteien wie eben Wilders nicht aus dem luftleeren Raum heraus entstehen, sondern das, was sie formulieren und was sie auch weiter fördern, forcieren, hat seine Grundlagen schon in vorhandenen Spaltungen in der Gesellschaft. Insofern geht es natürlich auch für die etablierten Parteien darum, nicht so sehr einfach nur anzusetzen an den rechtspopulistischen Wahlerfolgen oder in der Agitation wiederum gegen rechtspopulistische Parteien, sondern tatsächlich, wenn man so will, an der Wurzel des Übels, und das ist die zunehmende Spaltung der Gesellschaft auch sozial.

    Barenberg: Rechtspopulisten erleben ja nicht nur in den Niederlanden Zuspruch, sondern auch anderswo in Europa. Auf der anderen Seite zeigt beispielsweise Jörg Haiders freiheitliche Partei in Österreich, dass einmal an der Macht eine solche Partei auch rasch in die Krise geraten kann. Was gefährdet den Erfolg solcher Rechtspopulisten auf Dauer?

    Micus: Ja. Die Erfahrungen mit Rechtspopulisten im Ausland, etwa eben, wie Sie sagten, in Österreich, aber auch in den Niederlanden selbst, liegen gerade für Gegner dieser rechten Parteien eine paradoxe Strategie nahe, nämlich Schwäche oder Schwächung durch Zusammenarbeit, durch Beteiligung dieser Rechtspopulisten an der Regierung. In Österreich versuchten es ja die Volksparteien jahrzehntelang mit strikter Ausgrenzung der rechtspopulistischen sogenannten Freiheitlichen und eben von Jörg Haider. Das Resultat war aber bloß, dass die FPÖ nur umso glaubwürdiger sich als Anti-Establishment-Partei und Partner der kleinen Leute im Kampf gegen die abgehobene politische Klasse gerieren konnte und bei Wahlen beständig anwuchs. Wo dagegen rechte Parteien in die Regierung aufgenommen wurden und Minister stellten, entzauberten sie sich meist rasch. Das gilt für die FPÖ eben zwischen 2000 und 2006 und das gilt noch klarer für die Wilders-Vorgänger von der Liste Pim Fortuyn, die sich nach dem Regierungsantritt binnen weniger Monate schon selbst zerlegten.

    Das hat eine ganz einfache Ursache: Die Kompromisse, die in der Regierung gebildet werden müssen, stehen einfach im Widerspruch zur, wenn man so will, Rigorosität des rechtspopulistischen politischen Sprechs. Großteile der Wähler wenden sich dann frustriert ab und es fehlen außerdem oder vielleicht sogar vor allem bei den Rechtspopulisten häufig erfahrene und ministrable, auch charakterlich gefestigte, nicht bei erster Gelegenheit gleich korrumpierbare Repräsentanten.

    Barenberg: Nun will ja Geert Wilders auch in Deutschland für seine Ideen trommeln. Er hat einen Vortrag gehalten am Wochenende in Berlin, wir haben heute Morgen schon darüber berichtet. Bisher galt ja in Deutschland die Regel, dass die SPD den linken Rand bindet und die CDU den rechten. Ist es jetzt in Deutschland trotzdem so, dass es Platz gibt und Wähler für eine Sammlungspartei rechts von der Union?

    Micus: Ja, grundsätzlich schon. Dass die SPD den linken Rand nicht mehr bindet, sieht man ja am Aufkommen der Linkspartei, und bei der Union ist es ähnlich. In Deutschland haben es aber Rechtsparteien aufgrund der NS-Vergangenheit und der besonderen Tabus, mit denen dadurch rechte politische Positionen immer noch belegt sind, besonders schwer, auch heute noch. Außerdem – Stichwort Die Linke – gibt es in Deutschland bereits die populistische Partei, die den Prozess gegen die etablierten aufsaugt, wo hingegen eben in Österreich und den Niederlanden, auch in anderen europäischen Ländern vielfach eben rechte Parteien das Erbe gerade auch der in die Mitte gerückten Sozialdemokraten bei den modernen Unterschichten angetreten sind.

    Barenberg: ... , sagt Matthias Micus vom Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Vielen Dank, Herr Micus, für dieses Gespräch.

    Micus: Okay!