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Middelberg (CDU) zu Unionsstreit
"Ich glaube, dass die Gegensätze überwindbar sind"

Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), rechnet damit, dass der unionsinterne Streit um die Flüchtlingspolitik beigelegt werden kann. Die Positionen lägen nicht so weit auseinander, sagte er im Dlf. In der CDU gebe es durchaus Verständnis für das Anliegen der CSU.

Mathias Middelberg im Gespräch mit Stefan Heinlein | 15.06.2018
    Das Bild zeigt Mathias Middelberg (CDU) im Deutschen Bundestag.
    Mathias Middelberg (CDU) glaubt, dass sich die Union in der Flüchtlingsfrage einigen kann (dpa / Christophe Gateau)
    Stefan Heinlein: Der Machtpoker geht weiter. Darüber möchte ich jetzt reden mit dem innenpolitischen Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Mathias Middelberg (CDU). Guten Morgen, Herr Middelberg.
    Mathias Middelberg: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Heinlein: Spielt die CSU mit dem Feuer?
    Middelberg: Die CSU hat ein, finde ich, berechtigtes Anliegen, dass sie entschiedene und entschlossene Lösungen in der Asylpolitik anstrebt, und Horst Seehofer hat dafür ja einen Masterplan vorgelegt, den wir in den einzelnen Punkten noch nicht vollständig kennen, aber vieles ist bekannt. Der Masterplan enthält wohl 63 Maßnahmen und eine von diesen Maßnahmen ist jetzt zwischen CDU und CSU streitig. Ich würde es noch für überschaubar halten und ich halte am Ende die Sache auch weiterhin für einigungsfähig.
    Heinlein: Versucht die CSU, diese berechtigten Forderungen, diesen Masterplan mit richtigen, mit berechtigten Mitteln durchzusetzen, indem sie der Kanzlerin jetzt ein Ultimatum bis zum Montag setzt?
    Middelberg: Darüber kann man streiten. Ich bin der Meinung, wenn die Kanzlerin uns bittet, und wir haben ja gestern mit ihr auch stundenlang jedenfalls im CDU-Teil der Fraktion gesprochen, da hat sie uns ihr Vorhaben, ihre Planung auseinandergesetzt und hat uns gebeten, gebt mir die 14 Tage Zeit bis zum europäischen Gipfel am Ende des Monats. Da wird auch die Flüchtlingsthematik auf der Agenda stehen. Aber auch bis dahin will sie bilateral, mit anderen einzelnen Ländern Gespräche führen und dann zu Lösungen kommen. Die 14 Tage würde ich ihr in jedem Fall geben, denn wir haben danach ja weiterhin alle Möglichkeiten. Wir können dann auch immer noch beschließen, dass wir Zurückweisungen an der Grenze vornehmen oder irgendwelche anderen Maßnahmen. Wir nehmen uns keine Option, wenn wir der Kanzlerin die 14 Tage geben.
    "Die Positionen liegen nicht so weit auseinander"
    Heinlein: Sie wollen der Kanzlerin 14 Tage geben. Markus Söder – Sie haben ihn gestern gehört – will der Kanzlerin nicht diese Zeit geben. Er will sich die Rückendeckung der Partei holen. Und dann am Montag will eventuell Horst Seehofer im Alleingang seinen Masterplan, Teile seines Masterplanes durchsetzen. Steht die Union, steht die Unions-Fraktionsgemeinschaft vor dem Bruch?
    Middelberg: Ich meine, dass es sinnvoll ist, diese Auseinandersetzung mal auf den Kern zurückzuführen. Es geht ja um eine Meinungsverschiedenheit in einer ganz konkreten Sache, und da liegen die Lösungen oder die Alternativen auf dem Tisch, und die sind gar nicht so unterschiedlich. Die CSU möchte direkt zurückweisen an der Grenze, die Menschen, die schon in einem anderen Land registriert wurden, und gewissermaßen diese anderen Länder sind dann zuständig für diese Menschen, um das Asylverfahren durchzuführen. Die Kanzlerin hat uns jetzt gestern vorgeschlagen, dass sie durch bilaterale Verträge mit Italien, mit Österreich, mit Bulgarien, mit anderen Ländern erreichen möchte, was jetzt schon stattfindet zwischen Italien und Frankreich, dass es dort nämlich nicht zu Zurückweisungen, aber zu schnellen Rücknahmen von Flüchtlingen kommt. Das ist aus meiner Sicht, wenn es gelänge, fast noch eine bessere Lösung als die Zurückweisung. Ich glaube, dass der Streit in der Sache - wenn man sich wirklich mal die Sache selbst anguckt, liegen die Positionen nicht so weit auseinander.
    Heinlein: Über die Sache können wir gleich noch reden. Aber ich habe Ihre Antwort nicht ganz verstanden, Herr Middelberg. Ja oder nein, steht die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU vor dem Bruch?
    Middelberg: Das kann man am Ende nicht ganz ausschließen. Aber ich gehe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht davon aus und ich halte die Sache auch weiterhin durchaus für einigungsfähig.
    Heinlein: Wie laut ist denn in Ihren Reihen, in den Reihen der CDU die Kritik am Verhalten der Schwesterpartei CSU?
    Middelberg: Wie gesagt, ich habe für das Anliegen der CSU, zu, ich sage mal, wirklich greifenden Lösungen zu kommen, absolut Verständnis. Aber ich glaube, dass man von dieser Zurückweisungsthematik einfach zu viel erhofft. Es wird nicht so einfach sein, Menschen an der Grenze zurückzuschicken, und die kommen dann einfach nicht wieder. Die werden dann auf anderen Wegen, über andere Grenzübergänge, über andere Länder oder des Nachts durch unkontrollierte Grenzen am Ende auch den Weg nach Deutschland suchen, und dann ist es nichts mehr mit Zurückweisung. Zurückweisen kann ich nur, wenn ich jemanden direkt an der Grenzlinie antreffe. Wenn er schon deutschen Boden betreten hat, dann ist er eingereist und dann funktioniert eine Zurückweisung nicht mehr.
    Ich bin auch skeptisch, wenn wir jetzt einseitig – und da geht es ja um die Frage der europäischen Lösung -, wenn wir jetzt einseitig zurückweisen und sagen, es interessiert uns eigentlich nicht, was die Österreicher, die Italiener, Bulgaren und andere dann von uns denken, oder ob wir mit denen irgendwelche Abkommen haben. Dann werden die einfach sagen, okay, dann nehmen wir jetzt die Asylanträge dieser Petenten gar nicht mehr entgegen und wir werden die auch nicht mehr registrieren in diese sogenannte Eurodac-Kartei. Ich bin der Meinung, dass, wenn wir einseitig handeln, am Ende die anderen auch einseitig handeln werden. Ob das dann auf lange Sicht für uns der, ich sage mal, Profit ist, da bin ich sehr skeptisch. Deswegen habe ich Verständnis für das Anliegen der CSU. Ich glaube aber nicht, dass diese Zurückweisungsgeschichte quasi die Traumlösung ist, die sich viele vorstellen.
    "In der Sache selbst hat die CSU ein berechtigtes Anliegen"
    Heinlein: Sie haben Verständnis für die Haltung der CSU. Ich hatte aber gefragt, wie laut die Kritik in den Reihen Ihrer Partei, der CDU ist am Verhalten der Schwesterpartei CSU, speziell am Verhalten von Markus Söder und Horst Seehofer.
    Middelberg: Ich glaube, dass am Ende trotz alledem viele Verständnis haben auch für die CSU. Man mag da die Art, und das haben auch manche kritisiert, die Art und Weise, wie die CSU vorgeht, kritisieren. Das halte ich selber auch für überzogen und übertrieben. Aber in der Sache selbst hat die CSU ein berechtigtes Anliegen und auch das ist gestern in unserer Fraktionssitzung deutlich geworden, dass das viele durchaus sehen und akzeptieren.
    Heinlein: Keine hundertprozentige Unterstützung für die Kanzlerin von der CDU-Fraktion=
    Middelberg: Doch, doch! Die Kanzlerin hat für ihre Lösung erbeten 14 Tage, und da gab es eine ganz große Mehrheit im CDU-Teil, die da die Position der Kanzlerin gestützt hat.
    Heinlein: Die CSU hat angekündigt, Markus Söder, dass Innenminister Seehofer in eigener Verantwortung die geforderte Zurückweisung an der Grenze durchsetzen könnte, spätestens am Montag, Teile seines Masterplans dann im Alleingang umsetzt, gegen die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin Welche Folgen hätte das für die Fraktion und für die Koalition?
    Middelberg: Er könnte das, weil das in seine Ministerkompetenz fällt. Dann ist die nächste Frage, ob es überhaupt unter die Richtlinienkompetenz fiele, ob gewissermaßen diese Entscheidung dann die Kanzlerin an sich ziehen könnte. Das sind zunächst mal auch juristische Fragen. Und unbeschadet dessen würde es natürlich die Stimmung innerhalb der Koalition und vor allen Dingen auch innerhalb der Union beeinträchtigen. Darüber kann man gar nicht hinwegreden. Am Ende müssen wir geschlossen handeln. Das ist gar keine Frage. Ein separiertes Vorgehen eines Teils der Fraktion kann es nicht geben.
    "Ich glaube, dass die Gegensätze überwindbar sind"
    Heinlein: Die Stimmung beeinträchtigen, Herr Middelberg, das hört sich sehr charmant an. Hat denn Angela Merkel, die Kanzlerin eine andere Wahl, als Horst Seehofer zu entlassen, wenn er gegen die Anweisung der Kanzlerin agiert und seinen Masterplan in eigener Regie umsetzt?
    Middelberg: Da das eine hypothetische Konstellation ist, und ich sage auch ganz ehrlich, ich gehe zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass sie hypothetisch bleibt, deswegen ist es, glaube ich, nicht so sinnvoll, sich damit zu beschäftigen. Ich gehe nach wie vor davon aus, vor allen Dingen angesichts der Sache, weil beide Positionen sind nicht so weit auseinander, und deswegen denke ich, sollten wir alles daran setzen, übers Wochenende und am Montag doch noch zu einer Einigung und zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Ich glaube, dass die Gegensätze überwindbar sind.
    Heinlein: Die Gegensätze sind überwindbar, sagen Sie. Eine Einigung ist möglich. Wolfgang Schäuble soll vermitteln am Wochenende. Mit wem wird er sprechen?
    Middelberg: Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Das ist mir auch unbekannt.
    Heinlein: Wie kann denn ein Kompromiss aussehen? Wie kann denn eine Einigung aussehen, ohne dass die eine oder andere Seite letztendlich ihr Gesicht verliert?
    Middelberg: Ich halte eine Lösung, wie die etwa zwischen Frankreich und Italien gehandhabt wird, und dort funktioniert sie im Übrigen auch nicht ganz einfach, muss man ehrlicherweise sagen, aber ich halte so eine Lösung für möglich, weil sie auch vertraglich dann abgesichert ist, weil die verschiedenen Beteiligten nicht vor den Kopf gestoßen werden, weil man es nicht einseitig macht, sondern weil man es vertraglich vereinbart. Ich halte so eine Lösung für durchaus machbar. Darüber haben wir auch gestern gesprochen und das kommt Zurückweisungen an der Grenze jedenfalls gleich, ist sogar im konkreten Fall viel effizienter. Das wäre, glaube ich, auch das, was am Ende die CSU sich vorstellt, oder damit, denke ich, könnte sie sehr gut leben. Wenn das die Kanzlerin erreichen könnte, im Kontext mit einzelnen unserer Nachbarstaaten, dann wäre das, glaube ich, schon ein erheblicher Schritt nach vorne.
    Merkel wird "bis zum letzten Meter kämpfen"
    Heinlein: Frage zum Schluss. Sie kennen die Kanzlerin, Sie kennen Angela Merkel schon seit längerem. Wie groß ist nach Ihrer Einschätzung die Gefahr, dass jetzt Angela Merkel irgendwann die Brocken hinschmeißt und sagt, damit möchte ich jetzt nichts mehr zu tun haben?
    Middelberg: Ich glaube, dass sie bis zuletzt versuchen wird, die Sache zu einigen, weil sie sich ihrer Verantwortung gerade auch in diesem Thema verpflichtet sieht und weil sie auch uns gestern noch einmal deutlich gemacht hat, nicht nur wie wichtig ihr, sondern wie wichtig uns das sein muss, dass wir am Ende auch eine europäische Lösung finden müssen. Wir werden nicht nur das Thema Flüchtlinge, sondern auch alle anderen Themen von Gewicht nur lösen können im europäischen Kontext, mit den Partnern in der EU.
    Das Flüchtlingsthema lösen wir am Ende nur an den Außengrenzen, durch Bekämpfung der Fluchtursachen, und auch viele andere Themen wirtschaftlicher Art werden wir nur im europäischen Kontext lösen. China wird Deutschland nicht ernst nehmen, aber allenfalls Europa, um das mal international vom Gewicht her auch deutlich zu machen. Das ist ein Kernanliegen, ein Herzensanliegen der Kanzlerin und dafür wird sie, glaube ich, bis zum letzten Meter kämpfen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.