
Ein Studie macht Betroffenen von Migräne Hoffnung: Es gibt Hinweise darauf, dass das Medikament Ubrogepant schon gegen Vorboten der Kopfschmerzattacken wirken könnte. Welche Rolle die Arzneimittel in der breiten Versorgung spielen werden, ist aber noch unklar.
Inhalt
- Was passiert bei Migräne im Gehirn?
- Welche Beschwerden können vor einer Migräne-Attacke auftreten?
- Wann beginnen Prodromal- und Aura-Phase?
- Wie gut wirkt das Medikament Ubrogepant gegen die frühen Beschwerden?
- Hilft Ubrogepant auch gegen die Migräne-Schmerzen?
- Mit welchen Nebenwirkungen ist bei der Wirkstoffgruppe der Gepante zu rechnen?
- Können die Gepante herkömmliche Migräne-Medikamente ersetzen oder ergänzen?
Was passiert bei Migräne im Gehirn?
Migräne ist eine neurobiologisch bedingte Funktionsstörung des Gehirns, bei der die erbliche Veranlagung eine Rolle spielt. Die genauen Ursachen und Mechanismen dahinter werden immer noch erforscht. Vermutlich sind entzündliche Vorgänge an Blutgefäßen und eine veränderte Verarbeitung von Schmerzsignalen im Gehirn ausschlaggebend.
Als konkrete Auslöse- oder Triggerfaktoren, die eine Migräne begünstigen, gelten unter anderem Stress, ein unregelmäßiger Tagesablauf, hormonelle Veränderungen (zum Beispiel während des Zyklus), bestimmte Nahrungsmittel oder Wetterveränderungen.
Welche Beschwerden können vor einer Migräne-Attacke auftreten?
Bei etwa einem Drittel der Migräne-Betroffenen, manche Schätzungen liegen auch höher, macht sich eine Kopfschmerzattacke schon im Vorfeld bemerkbar. In der sogenannten Prodromal-Phase können unterschiedliche psychische und körperliche Frühsymptome auftreten.
Betroffene reagieren zum Beispiel besonders empfindlich auf Licht und Geräusche, sind unruhig und gereizt oder fühlen sich erschöpft, haben Konzentrationsschwierigkeiten und Nackenschmerzen. Bei etwa 15 bis 20 Prozent der Patientinnen und Patienten tritt kurz vor dem Einsetzen der Kopfschmerzen auch eine Aura-Phase auf. Charakteristisch dafür sind vorübergehende neurologische Symptome, zum Beispiel Seh- und Sprechstörungen, Gefühlsstörungen auf einer Körperseite oder ein Kribbeln im Gesicht.
Wann beginnen Prodromal- und Aura-Phase?
Die Prodromal-Phase wird auch Vorboten- oder Ankündigungsphase genannt. Sie markiert den frühesten Abschnitt einer Migräne-Attacke. Sie tritt meist mehrere Stunden bis zu zwei Tage vor den eigentlichen Kopfschmerzen auf. Die Aura-Phase setzt deutlich später ein. Sie entwickelt sich über Minuten und ist meist nach maximal einer Stunde wieder zu Ende. Die Kopfschmerzen beginnen in den meisten Fällen erst danach. Manchmal überlappen sich Aura-Phase und Kopfschmerz-Attacke aber auch.
In der Vorboten-Phase kommt es zuerst zu einer veränderten Aktivität im Hypothalamus, ein Abschnitt des Zwischenhirns, erklärt der Neurologe Charly Gaul vom Kopfschmerzzentrum. Wenn dann die Kopfschmerzen einsetzen, würden Botenstoffe ausgeschüttet, die den Schmerz vermitteln. Laut Charly Gaul wäre es wünschenswert, wenn es gelänge, diese Abläufe bereits in der Prodomal-Phase zu unterbrechen und so das Auftreten der Migräneattacken zu verhindern oder abzuschwächen.
Wie gut wirkt das Medikament Ubrogepant gegen die frühen Beschwerden?
Bisher gibt es keine gezielte Therapie für die Symptome der Prodromal- und der Aura-Phase. Das Ziel der Behandlung ist also bislang, die Kopfschmerzen während der eigentlichen Attacke zu lindern, beziehungsweise ihnen vorzubeugen. Eine Studie im Fachmagazin „Nature Medicine“ vom Mai 2025 gibt jetzt Hinweise darauf, dass das Medikament Ubrogepant nicht nur gegen die Kopfschmerzen helfen, sondern auch schon gegen die frühen Symptome in der Prodromal- oder Vorboten-Phase wirken könnte.
Ubrogepant zählt zur neuen Wirkstoffklasse der Gepante. Die Medikamente werden als Tabletten eingenommen. Sie blockieren die Andockstelle für einen Botenstoff im Gehirn – das Neuropeptid CGRP. Das Kürzel steht für Calcitonin Gene-Related Peptide. Dockt dieses Peptid an bestimmte Rezeptoren in Gehirn an, führt das zu Entzündungsreaktionen und einem gesteigerten Empfinden von Schmerz. Die Gepante behindern diese Reaktion und mildern so die Migräneattacke. Der Name Gepant leitet sich von dieser Funktion ab: Calcitonin Gene-Related Peptide-Rezeptorantagonist.
Die Studie, die Ubrogepant auch als Mittel gegen die Migräne-Vorboten ins Spiel bringt, ist eine Nachauswertung von Daten zu etwa 500 Migräne-Patienten. Die hatten entweder Ubrogepant oder ein Placebo eingenommen, sobald Vorboten-Symptome auftraten und sie Kopfschmerzen in den folgenden ein bis sechs Stunden erwarteten. Die Studie sollte zeigen, ob das Medikament die Kopfschmerzen schon vor dem Entstehen verhindern kann. Das Ergebnis: Ubrogepant konnte tatsächlich einen Teil der Attacken unterbinden.
Eine Analyse von zusätzlich aufgenommenen Daten zeigte jetzt außerdem: Bei den Betroffenen, die Ubrogepant eingenommen hatten, verbesserten sich auch die Vorboten-Symptome wie Lichtempfindlichkeit (19,5 versus 12,5 Prozent symptomfrei), Müdigkeit (27,3 versus 16,8 Prozent symptomfrei) und Nackenschmerzen (28,9 versus 15,9 Prozent symptomfrei) deutlich öfter als in der Placebo-Gruppe.
Die Ergebnisse deuten laut den Studienautoren darauf hin, dass Ubrogepant gegen häufige Vorboten-Symptome bei Migräne wirken könnte. Allerdings plädieren nicht beteiligte Fachleute ebenso wie die Forschenden selbst für eine Folgestudie, die nicht nachträglich analysiert, wie Ubrogepant die Vorboten-Symptome bei Migräne beeinflusst, sondern den Zusammenhang gezielt untersucht. Unklar ist zudem, ob auch andere Gepante ähnlich früh wirken könnten. Die Studie hat auch nicht untersucht, ob Ubrogepant gegen Symptome in der Aura-Phase hilft.
Hilft Ubrogepant auch gegen die Migräne-Schmerzen?
Im Dezember 2019 hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA das Medikament Ubrogepant zugelassen, um eine akute Migräne mit oder ohne Aura bei Erwachsenen zu behandeln. Vertrieben wird es dort unter dem Handelsnamen Ubrelvy in Form von Tabletten. Die Wirksamkeit wurde in zwei Studien gezeigt. Demnach sorgte Ubrogepant dafür, dass signifikant mehr Betroffene schmerzfrei waren, die das Medikament anstelle eines Placebo-Wirkstoffes einnahmen.
Mit welchen Nebenwirkungen ist bei der Wirkstoffgruppe der Gepante zu rechnen?
Übelkeit und Verstopfung zählen zu den häufigsten Nebenwirkungen von Gepanten in klinischen Studien. Manche Patienten berichten auch von Müdigkeit, Überempfindlichkeitsreaktionen, Schwellungen im Gesicht oder Gewichtsverlust. Laut dem Neurologen Charly Gaul vom Kopfschmerzzentrum Frankfurt zeigten die Gepante in den Studien aber insgesamt eine sehr gute Verträglichkeit.
Dagny Holle-Lee, Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums und Oberärztin für Neurologie am Universitätsklinikum Essen, wies gegenüber dem Science Media Center außerdem darauf hin, dass die Gepante vermutlich keinen Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch auslösen.
Können die Gepante herkömmliche Migräne-Medikamente ersetzen oder ergänzen?
„Ergänzen ist das richtige Wort“, sagte der Neurologe Charly Gaul. Welche therapeutische Rolle die Gepante künftig hierzulande spielen werden, ist aus mehreren Gründen noch unklar. Zunächst einmal sind nicht alle Medikamente der Wirkstoffklasse in Deutschland erhältlich. Ubrogepant ist derzeit nicht in Europa zugelassen und laut Fachleuten ist unklar, ob und wann sich das ändern könnte. Ebenso wenig zugelassen ist Zavegepant, ein Gepant-Nasenspray.
In Europa zugelassen sind Atogepant und Rimegepant. Atogepant soll dazu dienen, Migräneattacken bei Erwachsenen vorzubeugen und muss dafür täglich eingenommen werden. Rimegepant ist zur akuten Behandlung und zur Prophylaxe episodischer Migräne zugelassen, wird aber voraussichtlich erst im Sommer 2025 in Deutschland verfügbar sein. Zudem sind noch weitere klinische Studien nötig, um die Wirksamkeit der Medikamente zum Beispiel in der Vorboten-Phase zu bestätigen.
Grundsätzlich begrüßen Fachleute den neuen Wirkansatz der Gepante, weil er die Therapiemöglichkeiten für Migräne-Patienten erweitert. Laut Charly Gaul könnten die Gepante zum Beispiel bei Patienten wirksam sein, die keine Wirkung von Triptanen (eine andere Gruppe von Migräne-Medikamenten) verspüren oder auf diese mit Nebenwirkungen reagieren.
„Bisher können wir nicht allen Menschen helfen“, so die Neurologin Dagny Holle-Lee. „Bei jedem neuen Präparat haben wir immer die Hoffnung, wieder ein paar mehr Betroffenen das Leben erleichtern zu können.“
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