Samstag, 23. September 2023

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Migrationsexperte hält Einwanderung auf Zeit für fördernswert

Der Migrationsexperte Peter Schatzer hält das Angebot einer zeitlich begrenzten Aufnahme afrikanischer Einwanderer in Europa für sinnvoll. Die meisten der Migranten wollten wieder in ihre Heimat zurück, wenn sich dort die wirtschaftlichen Bedingungen für sie verbessern, sagte der Leiter der italienischen Mission der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Allerdings dürfe man nicht davon ausgehen, dass alle das Land nach Ablauf der Frist wieder verlassen.

Moderation: Christoph Heinemann | 22.11.2006

    Christoph Heinemann: In Libyen treffen heute Vertreter der Afrikanischen und der Europäischen Union zusammen, um miteinander über Migration und Einwanderung zu sprechen. Der Ort ist nicht willkürlich gewählt, die Staaten Nordafrikas sind Transitländer, in denen viele Schwarzafrikaner auf die Fahrt über das Mittelmeer warten.

    An dieser Konferenz nimmt auch Peter Schatzer teil. Wir haben ihn vor dieser Sendung in Tripolis erreicht. Peter Schatzer leitet in Rom das Büro der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Dies ist eine zwischenstaatliche Organisation der 118 Länder angehören. Ich habe ihn zunächst gefragt, was er von dieser Konferenz erwartet.

    Peter Schatzer: Nun, zunächst einmal eine Signalwirkung, dass zum ersten Mal Minister von Afrika und von Europa, und zwar von ganz Afrika und von der gesamten Europäischen Union, sich treffen und das Thema Migration und Entwicklung und Zusammenarbeit zum Thema Migration besprechen werden. Und dann doch auch einige konkrete Vorschläge für Maßnahmen, die man treffen kann, um die Probleme und Schwierigkeiten, die in diesem Zusammenhang bestehen, zu lösen.

    Heinemann: Vorschläge welcher Art?

    Schatzer: Nun, zunächst einmal Zusammenarbeit bei der technischen Hilfe für Länder im Süden, die nicht genau wissen und nicht die Fähigkeit haben und nicht die Mittel haben, Migration zu verwalten, Migrationsprobleme anzugehen, wie Grenzkontrollen zum Beispiel, was ja auch auf hoher See nicht so einfach ist. Gemeinsame Herausforderungen wie Rückführung von Migranten, die nicht die Möglichkeit haben, im Aufnahmeland zu bleiben, aber auch vielleicht Lösungen für die Verbilligung von Überweisungen der Mittel, die Migranten im Ausland erarbeiten. Das kann ja bis zu zehn, zwölf Prozent des Betrages ausmachen. Das heißt also, ein Migrant arbeitet praktisch einen Monat im Jahr nur für das Bankensystem, damit er das Geld nach Hause schicken kann. Vielleicht auch etwas bessere Möglichkeiten, um den Migranten es zu ermöglichen, mit ihrem Kapital in den Heimatländern Firmen zu gründen, dass die Bürokratie dort etwas geringer wird und daher dies möglich, oder auch der Zugang zu Krediten und zum Bankensystem erleichtert wird, dass die bürokratischen Hürden und vielleicht auch die Korruption etwas weniger werden, die das heute oft verhindern. Es gibt also viele Bereiche, es ist im wirtschaftlichen Bereich, im politischen Bereich, es geht auch um die gemeinsame Landwirtschaftspolitik. Das ist noch eine Forderung der Afrikaner, die derzeit noch diskutiert wird, die noch nicht angenommen wird, dass mehr Zugang für afrikanische Produkte zu europäischen Märkten, vor allem Landwirtschaftsprodukte, ermöglicht wird und damit auch der Migrationsdruck gesenkt wird, weil man mehr Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schafft.

    Heinemann: Wie sind die Bedingungen in den Transitländern, zum Beispiel in Nordafrika?

    Schatzer: Das ist unterschiedlich. Es gibt einige Länder, die - auch aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit Europa, wie beispielsweise Marokko - jetzt relativ schwierig zu transitieren sind. Daher ist Marokko heute auch nicht mehr so häufig das Ziel von Migranten, die dann aus Afrika, südlich der Sahara, die dann nach Europa weiter wollen. Es gibt Länder wie Algerien, wo wir nicht sehr viel wissen, was dort im Moment geschieht. Und dann gibt es Länder wie Libyen, die offen um Hilfe ersuchen, oder auch Niger bei der Bewältigung des Transitproblems, die selbst verlangen, dass man ihnen hilft beim Aufbau von Transitzentren, Zentren, aus denen die Leute dann auch freiwillig zurückgehen können unter Umständen. Also da muss noch einiges gemacht werden, und auch da gibt es jetzt schon im Rahmen dieser Konferenz gewisse Forderungen, dass internationale Hilfe da angenommen würde.

    Heinemann: Herr Schatzer, es gibt das Modell einer saisonalen Einwanderung. Das heißt Einwanderung auf Zeit mit dem Recht zu arbeiten und Geld zu verdienen, um dann nach einer gewissen Frist mit dem Ersparten im Heimatland einen Laden zu eröffnen oder ein Stück Land bewirtschaften zu können. Was halten Sie von diesem Ansatz?

    Schatzer: Ja, das ist kein neues Modell, das gibt es schon seit Jahrzehnten. Man muss nur nicht glauben, dass jeder der temporär kommt, oder mit der Absicht temporär zu bleiben, dann wirklich nach Hause geht. Es gibt im Englischen einen Satz der sagt, es gibt nichts permanenteres als temporäre Migration. Aber im Grunde genommen ist das ein Modell, das Sinn macht, weil die meisten der Migranten, die wir kennen - wenn es nicht gerade Leute sind, die aus Verfolgungsgründen geflohen sind - wieder in ihre Heimat zurück wollen, sollten sich die wirtschaftlichen Bedingungen dort für sie verbessern. Und da kann natürlich ein bisschen Kapital, oder auch die Erfahrung, die man durch Arbeit im Ausland gesammelt hat, schon sehr nützlich sein. Also temporäre Modelle sind sicherlich fördernswert. Und heute, in einer Zeit wo man ja ohne weiteres in mehr als einer Gesellschaft leben kann, durch die moderne Kommunikation, durch die vereinfachten Reisemöglichkeiten und so weiter, macht es durchaus Sinn.

    Heinemann: Gibt es Länder, in denen diese temporären Modelle funktionieren?

    Schatzer: Gut, also die Schweiz hat das schon seit vielen Jahrzehnten mit dem Saisonnierstatut gezeigt, wo Leute für einige Monate, acht, zehn Monate, ins Land kommen. Spanien macht das auch, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich, ebenso Italien. Das funktioniert schon, man muss sich natürlich die Art der Arbeit ansehen, die da verrichtet werden muss. Es muss eine Arbeit sein die nur saisonal Bedarf hat. Der Tourismus gehört natürlich auch dazu. Wenn ich da an andere Bereiche denke, wo permanente Präsenz notwendig ist, da ist das wahrscheinlich nicht möglich.

    Heinemann: Herr Schatzer, eine Rückführung eines illegal Eingewanderten per Flugzeug kostet heute rund 11.000 Euro. Unter welchen Bedingungen sollten Rückführungen überhaupt durchgeführt werden?

    Schatzer: Nun ja, also zunächst einmal sind Rückführungen ein leider notwendiges Mittel beim Management von Migration, weil, wenn es überhaupt keine Androhung von Konsequenzen für irreguläre Einwanderung gibt, dann verliert natürlich jede Politik ihre Zähne. Aber man sollte schauen, dass man möglichst Mittel, die für Polizeimaßnahmen eingesetzt werden müssten, besser verwendet, also für die Förderung der Rückkehr, für die Wiedereingliederung, für das Angebot an freiwilliger Rückkehr, weil: Wenn man jemanden davon überzeugen kann mit dem selben Aufwand, vielleicht sogar etwas weniger Geldaufwand, freiwillig zurückzukehren, aber dafür eine Förderung zu bekommen beim Aufbau einer wirtschaftlichen Aktivität, dann macht es viel mehr Sinn, auch weil dann wahrscheinlich der Wunsch wieder auszuwandern geringer ist, als bei denen, die ins Nichts gebracht werden mit Polizeimaßnahmen.

    Heinemann: Herr Schätzer, Sie arbeiten in Rom. Wie bewältigt Italien die Aufnahme der vielen Flüchtlinge.

    Schatzer: Nun, zunächst einmal, der Großteil der Migranten die nach Italien kommen und auch nach Österreich und überhaupt nach Europa sind keine Flüchtlinge, sondern sind eindeutig Wirtschaftsmigranten, die sich ein besseres Leben für sich selbst und ihre Kinder wünschen und dieses suchen, was ja nicht verwerflich ist, das ist ja auch eine durchaus gültige Motivation. Aber Italien nimmt einen großen Teil von diesen Leuten auf, weil es einen sehr großen Arbeitsmarkt im informellen Bereich hat. Ein guter Teil der Leute wandert dann wahrscheinlich auch weiter in andere europäische Länder. Und Italien, sowie Spanien auch, regularisiert dann die Situation dieser irregulären Migranten ungefähr alle vier Jahre durch Quoten oder sonstige Maßnahmen. Und damit werden die Leute, die einen Arbeitsplatz gefunden haben, Mitglieder der Gesellschaft und langsam auch eingegliedert. Das ist das südeuropäische Modell. Es gibt dann eben auch noch das nordische Modell und das anglosaxonische Modell, die etwas anders vorgehen. Aber in Italien funktioniert das bisher einigermaßen gut, auch weil Italien natürlich noch ein relativ junges Einwanderungsland ist und daher die Probleme der zweiten Generation, die es in anderen europäischen Staaten gibt, noch nicht vorhanden sind.

    Heinemann: Peter Schatzer, der Leiter des römischen Büros der Internationalen Organisation für Migration IOM. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.