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Migrationspakt
"In vielen Ländern der Welt ist Migration ein positives Phänomen"

Der stellvertretende UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Volker Türk, hat den Migrationspakt verteidigt. Er sagte im Dlf, damit werde zum ersten Mal für alle UN-Mitgliedsstaaten zusammengefasst, was Migration bedeute und wie man sie besser regeln könne. Er betonte, dass die meisten Migrationsbewegungen nicht nach Europa führten.

Volker Türk im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Volker Türk, stellvertretender UNO-Flüchtlingshochkommissar.
    Volker Türk, stellvertretender UNO-Flüchtlingshochkommissar. (picture alliance/dpa - Martial Trezzini)
    Der Großteil der weltweiten Migration finde im globalen Süden statt, so Türk. Besonders wichtiger Bestandteil des Paktes sei die Unterstützung für diejenigen Länder, die besonders viele Migranten aufnähmen. Deswegen sei er auch für Deutschland besonders wichtig.
    Türk betonte, dass Deutschland in den vergangenen 24 Monaten an den Verhandlungen für den Pakt beteiligt gewesen sei. Er verteidigte die Formulierung im Pakt, dass Migration "Quelle für Wohlstand und Innovation" sei. In vielen Ländern der Welt sei Migration ein positives Phänomen. De facto habe die Migration die Entwicklung in vielen Ländern vorangetrieben. Gleichzeitig gehe es im Pakt aber auch um die Bekämpfung von Ursachen illegaler Migration, so Türk. Es brauche mehr reguläre Möglichkeiten der Migration.
    Auch wenn der Pakt nicht rechtsverbindlich sei, habe er eine Bedeutung: "Es geht auch darum, dass die Mitgliedsstaaten mehr zusammen arbeiten und gemeinsame Lösungen finden". Das Abkommen soll helfen, Flucht und Migration besser zu organisieren. Mehrere Länder - darunter die USA und Österreich - wollen sich der Vereinbarung nicht anschließen. Die USA hätten lediglich aus innenpolitischen Gründen der genauen Wortwahl des Paktes nicht zustimmen wollen, sagte Türk.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es gibt jetzt doch noch einmal Streit in der CDU über den globalen Migrationspakt der Vereinten Nationen. Jens Spahn, einer der drei Kandidaten für den Parteivorsitz bei der CDU, er will jetzt über das Papier noch einmal abstimmen lassen, und zwar beim Parteitag im Dezember, und er zieht mit dieser Forderung schon jetzt eine Menge Kritik auf sich.
    Wir wollen das Ganze besprechen mit einem Mann, der sich auskennt mit Migrations- und Fluchtbewegungen in Europa und auch weltweit. Am Telefon ist der stellvertretende Hochkommissar für Flüchtlinge bei den Vereinten Nationen, Volker Türk. Schönen guten Morgen!
    Volker Türk: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Türk, musste das sein, dass die UNO jetzt noch mal Streit in die deutsche Flüchtlingsdebatte bringt?
    Türk: Es ist erst einmal sehr wichtig, dass man feststellt, dass wir die letzten 24 Monate einen globalen Pakt für Flüchtlinge mit den Mitgliedsstaaten ausgehandelt haben. Es gibt zwei Pakte, den Migrationspakt und auch diesen Flüchtlingspakt, und dieser Pakt ist für Deutschland ganz besonders wichtig, weil er nämlich die Aufnahmeländer, die auf der Welt ganz besonders von Fluchtbewegungen betroffen sind, tatkräftig unterstützen will, und das ist natürlich auch ein Interesse, das Deutschland hat. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir das hervorstreichen.
    Armbrüster: Da können wir sicher gleich noch mal drüber reden. Die Frage, die jetzt zunächst mal im Raum steht – und da würde mich schon die Sicht aus der UNO mal interessieren: Hat die Bundesregierung bei der Veröffentlichung, bei der Kommunikation dieses Papiers alles richtig gemacht?
    Türk: Sie fragen mich konkret zum Migrationspakt?
    Armbrüster: Genau.
    Türk: Es gibt diese beiden. Der Migrationspakt ist auch sehr wichtig, weil er das erste Mal für die Vereinten Nationen, für alle Mitgliedsstaaten der Welt zusammenfasst, was Migration bedeutet, wie man das besser regeln kann, wie man damit ordnungsgemäßer umgehen kann, und das ist ein ganz besonders wichtiges Dokument, weil die meisten Migrationsbewegungen nicht nach Europa kommen, sondern sie vor allem im globalen Süden stattfinden, und viele Staaten der Welt finden, dass sie da unterstützt werden wollen. Das ist auch das, was der Migrationspakt macht.
    Deutschland war Teil der Verhandlungen, die in den letzten acht Monaten in New York stattgefunden haben, und ich glaube, es ist sehr wohl im Interesse Deutschlands, nicht diesen Pakt zu unterzeichnen, weil da gibt es nichts zu unterzeichnen, aber auch mit dazu beizutragen, dass Migration auf der Welt in mehr reguläre Formen gegossen wird und auch tatsächlich ein internationales Problem ist, oder ein internationales Phänomen ist, mit dem man sich besser beschäftigen kann.
    Eine Frau trägt ein Bündel auf ihrem Kopf. Im Hintergrund stehen bewaffnete Blauhelmsoldaten. 
    Neueste Umfragen in afrikanischen Ländern zeigen, dass bis zu zwei Drittel der Einwohner auswandern wollen. (AFP/Albert Gonzalez Farran)
    Armbrüster: Jetzt heißt es in diesem Pakt aber unter anderem auch - ich greife da einfach mal eine Stelle raus -, Migration sei schon immer, so wörtlich, "Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung gewesen." Da sagen jetzt viele, das ist Schönfärberei.
    Türk: Es ist so, dass man, wenn man sich die Studien in den letzten Jahren genauer ansieht - ich weiß von vielen Ländern auch im globalen Süden, die beispielsweise von Migration sehr stark profitiert haben. Ich war selber in Malaysia, vier Jahre lang, und ich kann Ihnen sagen, Malaysia hat Migration vor allem, was jetzt die Arbeitsplätze betrifft. Die haben vor allem Migration aus Indonesien gehabt, auch aus den Philippinen. Die haben davon profitiert.
    Leider waren auch sehr viele Migrantinnen und Migranten oft in einem Zustand der Ausbeutung, wenn die Arbeitsverhältnisse beispielsweise nicht gestimmt haben. Was dieser Migrationspakt tut ist: Er fasst alles zusammen, was Migration betrifft.
    "In vielen Ländern der Welt ist Migration ein positives Phänomen"
    Armbrüster: Aber negative Seiten oder mögliche negative Seiten der Migration werden dabei völlig ausgeblendet. Und wenn Sie so einen Satz - ich wiederhole es noch einmal: Migration sei schon immer Quelle des Wohlstands, der Innovation gewesen -, wenn Sie so einen Satz vielen Menschen in Deutschland vorlesen, die würden den Kopf schütteln. Die sagen, es hat uns tatsächlich in den vergangenen Jahren nicht nur Wohlstand und Innovation gebracht.
    Türk: Ja. In dem Pakt steht ja viel mehr drin. Es steht ja auch drin, dass es beispielsweise auch darum gehen muss, mehr reguläre Möglichkeiten der Migration zu finden, dass es auch darum gehen muss, die Ursachen der illegalen, der irregulären Migration anzugehen. Da steht sehr viel anderes auch drin, was natürlich das Ganze zu einem ausgewogen Text macht.
    Sie zitieren jetzt einige Aspekte, die ja auch stimmen. In vielen Ländern der Welt ist Migration ein positives Phänomen, wird als solches wahrgenommen, hat Entwicklung vorangetrieben. Das ist auch eine Tatsache. Dafür gibt es sehr viele Studien, die das belegen. Und wie immer bei Texten muss man ein sehr ausgewogenes Bild eines internationalen Phänomens darstellen, und das ist genau das, was der Migrationspakt tut.
    Armbrüster: Jetzt ist das Ganze aber überhaupt nicht verbindlich, heißt es zumindest bei der UNO. Warum braucht man so ein Papier dann überhaupt?
    Türk: Wissen Sie, man muss unterscheiden zwischen einer Rechtsverbindlichkeit, und das stimmt: Dieser Migrationspakt ist nicht rechtsverbindlich. Auf der anderen Seite geht es auch darum, dass Mitgliedsstaaten mehr zusammenarbeiten, sich mehr darum bemühen, gemeinsame Lösungen zu finden.
    Deshalb verhandelt man ja auch dann über eine gewisse Zeit hinweg dieses Phänomen und versucht, zu diesen gemeinsamen Lösungen zu kommen. Das ist genau das, was dieser Pakt auch tut. Und das macht man nicht, indem man irgendeinen Text aufschreibt, sondern indem man den verhandelt mit allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Das hat einen sehr starken Sinn, weil da kommen alle zusammen, dann hört man sich alle Perspektiven an und dann kommt dieses Ergebnis heraus. Aber wie gesagt, das ist der Migrationspakt, und der Flüchtlingspakt aus unserer Sicht ist auch - und ich möchte ganz gerne dazu auch was sagen - ganz besonders wichtig für Deutschland, weil er die großen Aufnahmeländer der Welt ganz besonders unterstützt.
    Armbrüster: Nämlich wie?
    Türk: Und zwar ganz konkret. 90 Prozent der Fluchtbewegungen finden im globalen Süden statt. Das ist Uganda, das ist Äthiopien, das sind Länder wie Libanon, Jordanien, Türkei. Diese Länder, wenn die Millionen von Flüchtlingen aufnehmen, brauchen die Unterstützung von anderen Ländern. Die müssen unterstützt werden, was den Zugang zur Bildung betrifft, was das Gesundheitswesen betrifft, damit die diese Flüchtlinge aufnehmen können.
    Dieser Flüchtlingspakt, der ist anders. Den muss man ganz konkret unterscheiden von diesem Migrationspakt. Der nimmt konkrete Schritte, dass diese Länder mit besserer Finanzierung unterstützt werden, dass diese Länder es auch schaffen, dass beispielsweise die Weltbank sich stärker engagiert, dass die ganz konkret solidarisch unterstützt werden, damit die Menschen vor Ort Hilfe bekommen.
    "Libanon hat jahrelang nicht genug Unterstützung bekommen"
    Armbrüster: Und, Herr Türk, wird dieser Flüchtlingspakt, dieser zweite Pakt, wird der denn rechtsverbindlich sein?
    Türk: Nein, der ist auch nicht rechtsverbindlich. Der basiert auf einer Erfahrung von fast 70 Jahren, vor allem im Feld vor Ort, und der hat eine große politische Signalwirkung, weil man nämlich den Aufnahmeländern im globalen Süden ganz stark das Signal senden will, wir sind für euch da, wir helfen euch, wir schauen, dass wir euch tatkräftig unterstützen können.
    Armbrüster: Herr Türk, Sie sagen jetzt, Signalwirkung. Ich glaube, viele, die uns zuhören, die denken jetzt: Aha, da hofft wahrscheinlich die UNO, dass früher oder später das Ganze dann doch Einzug findet in die nationalen Gesetze, sprich, dass es früher oder später alles doch verbindlich wird und dass es dann Regeln geben wird, an die sich alle halten müssen.
    Türk: Nein. Es ist so: Der globale Flüchtlingspakt basiert ja auf dem existierenden Völkerrecht. Da gibt es ja die Genfer Flüchtlingskonvention beispielsweise. Mehr als 150 Staaten haben die unterzeichnet. Was dieser Pakt konkret macht, ist praktisch umzusetzen, Länder wirklich konkret zu unterstützen, wenn die vor große Herausforderungen gestellt sind, wenn, wie beispielsweise Libanon oder Türkei, die über die Jahre eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen haben, wie es der Fall beim Libanon ist.
    Libanon hat jahrelang nicht genug Unterstützung bekommen. Jetzt durch diesen Pakt ist es so, dass man für alle Mitgliedsstaaten der gesamten Welt sich anschaut, was kann man konkret tun durch freiwillige Versprechungen, damit so ein Land unterstützt wird in der Zukunft.
    Eine Frau mit Kind hängt in einem illegalen Flüchtlingslager bei Beirut Wäsche auf.
    Mehr als eine Million syrischer Flüchtlinge sind im Libanon untergekommen. Dabei hat das Land selbst nur vier Millionen Einwohner. (AFP / Joseph Eid)
    Armbrüster: Jetzt sehen wir allerdings, dass Ihnen bei beiden dieser Pakte, beim Flüchtlingspakt und auch beim Migrationspakt, die Staaten davonlaufen. Bei beiden Pakten sind zum Beispiel die USA nicht dabei. Das wäre ja durchaus ein wichtiger Player. Die sind schon ausgetreten. Muss man sagen, da hat die UNO etwas falsch gemacht bei der Ausarbeitung dieses Dokuments in den vergangenen Jahren?
    Türk: Ich glaube, es ist ganz wichtig festzustellen, dass die große Mehrheit der UNO-Mitgliedsstaaten den Flüchtlingspakt unterstützen. Die USA hat bei Abstimmungen im Dritten Komitee in New York gesagt, dass für sie aufgrund von innenpolitischen Gründen es besser ist, dass sie die Wortwahl schwächen – von der Resolution, nicht vom Pakt. Die haben auch ganz klar gesagt: Wir unterstützen den Pakt. Wir finden das gut. Sie haben aus innenpolitischen Gründen jetzt nicht die ganz konkrete Wortwahl unterstützen können. Das ist ein Staat von 193.
    Armbrüster: Aber ein durchaus wichtiger. Deshalb noch mal die Frage: Ist da was schiefgelaufen, dass die und auch einige andere jetzt nicht dabei sind und dass es jetzt auch in Deutschland diesen Streit gibt?
    Türk: Der Migrationspakt ist etwas anderes. Beim Flüchtlingspakt ist es nur ein Land. Die USA haben uns versichert und mehrmals, dass sie weiterhin den Flüchtlingspakt unterstützen werden. Sie haben sich nicht davon verabschiedet und es ist wichtig, das hervorzustreichen. Die bleiben nach wie vor dabei und wir können weiterhin mit den USA die als sehr wichtigen Partner sehen, auch wenn sie jetzt konkret in diesem Rahmen das nicht so ausgedrückt haben. Aber sie haben gleichzeitig eine Stellungnahme abgegeben, die das ganz klar macht, dass sie dabei bleiben.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das der stellvertretende Hochkommissar für Flüchtlinge bei den Vereinten Nationen, Volker Türk. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Zeit.
    Türk: Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.