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Milbradt befürchtet Startprobleme bei Arbeitslosengeld II

Jürgen Liminski: Die vergangene Woche war geprägt von der Debatte um Hartz IV, genauer um den Auszahlungstermin des Arbeitslosengeldes II, das richtiger Sozialhilfegeld II heißen müsste. Denn die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist de facto eine Kürzung des Arbeitslosengeldes auf das Niveau der Sozialhilfe. Dagegen protestieren die Menschen vor allem in Ostdeutschland. Einer, der im Vermittlungsausschuss gegen Hartz IV gestimmt hat, ist der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt. Guten Morgen, Herr Milbradt.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Georg Milbradt: Guten Morgen.

    Liminski: Zur Erinnerung, Herr Milbradt, warum haben Sie gegen Hartz IV gestimmt?

    Milbradt: Der Ansatz war ja Verbesserung am Arbeitsmarkt, Fordern und Fördern und für Ostdeutschland ist insbesondere der Teil Fördern von Wichtigkeit, denn die Menschen, die arbeitslos sind, arbeiten ja nicht deswegen nicht, weil sie nicht genug gefordert werden, sondern weil zuwenig Arbeitsplätze da waren. Und das war im Sommer, also konkret Ende Juni, erkennbar und dass die Bundesregierung dieses Thema Fördern auf die leichte Schulter genommen hat, dass nicht mehr Arbeitsplätze da sind, dass die Vorbereitung für diese große Umstellung kaum bis dahin gediehen war und dass ein Chaos zu erwarten war. Und das war der Grund, warum ich damals gesagt habe, ich sehe zwar ein, dass Reformen notwendig sind und wir müssen an den Regeln etwas tun, aber der Versuch, es kurzfristig durchzudrücken, vor allen Dingen mit der Bundesanstalt, jetzt Bundesagentur, die in einer schwerwiegenden Umstrukturierung begriffen ist, wird nicht funktionieren. Dieser Vorschlag ist aber von der Bundesregierung abgelehnt worden.

    Liminski: Fördern und Fordern, nun herrscht weitgehend Konsens unter den Arbeithabenden, mehr Druck auf die Arbeitslosen auszuüben, auch Hartz IV übt sich in dieser Disziplin, ist das nun Sozialabbau oder Hinführung zum Arbeitsmarkt?

    Milbradt: Das kommt darauf an. Wenn es nur Kürzung ist, ohne dass die Betroffenen dann wirklich in den Arbeitsmarkt integriert werden, dann ist es einfach eine Kürzungsarie oder aus der Sicht der Leute eine Abzocke. Wenn ihnen eine neue Chance geboten wird, dann kann man Kürzungen der Transfers rechtfertigen, denn ich kann ja dann versuchen und dann auch mit Erfolg, wenn die entsprechenden Möglichkeiten gegeben sind, eigenes Einkommen zu erzielen. Und ich glaube, dass die Mehrzahl der Arbeitslosen es vorziehen würde, eigenes Einkommen zu erzielen, als vom Staat und seinen Transferzahlungen abhängig zu sein. Und wenn es eben nicht gelingt, genügend Geld zu verdienen, weil zum Beispiel der Lohn, der jetzt zusätzlich gebotenen Arbeit relativ niedrig ist, dann muss man eben den Lohn aufstocken. Und deswegen war meine Forderung eben ein System von Lohnkostenzuschüssen, aber nicht nur auf dem zweiten Markt sondern auf dem ersten Arbeitsmarkt zu etablieren. Das kostet natürlich Geld, vor allen Dingen in der ersten Runde, das aber offensichtlich jetzt nicht mehr vorhanden ist. Wenn es nur darum geht, den Bundeshaushalt zu sanieren, wird man die Zustimmung der Betroffenen nicht bekommen, vor allen Dingen wenn sie zum Zeitpunkt der Diskussion ja überhaupt nicht aufgeklärt waren. Wenn man sich den Fragebogen ansieht, dann weiß man, worüber ich spreche.
    Liminski: Heute ist Montag, die so genannten Montagsdemos leben wieder auf und gegen diesen Begriff und Anwendung auf die Reform wehrte sich auch Arbeitsminister Clement zweifellos zu recht. Aber in der Sache gibt es noch keine Änderung, Sie haben sich für eine Verschiebung der Reform ausgesprochen, hoffen Sie mit der Verschiebung, die Änderung von der Sie gerade sprachen, zu erreichen?

    Milbradt: Ja, denn es gibt ja viele Einzelfragen, die ja auch zum öffentlichen Protest geführt haben. Das fängt mit den Datschen an, geht über die Sparbücher der Kinder und ähnliches. Vieles beruht ja auch auf Unkenntnis, teilweise auch Unkenntnis der entsprechenden Behörden, die ja bisher nur unvollständig informiert worden sind und wo zum Teil gar keine Verwaltungsvorschriften vorliegen. Und wenn man die Sache in Ruhe angeht, wird man auch die besonderen Härten aus der Sache herausbekommen. Ich befürchte, dass man sonst die Reform, die notwendig ist, im Grunde genommen nicht richtig einspielt. Und dass es dann außerordentlich schwer werden wird, die Bevölkerung bei weiteren Reformen, die ja notwendig sind, das wissen wir alle, mitzunehmen. Man kann Reformen auf Dauer nur mit der Bevölkerung, mit den Betroffenen durchsetzen nicht gegen sie. Und an den Anfang jeder Reform gehört die Aufklärung, gehört eine Kommunikationskampagne und die hat hier sowieso schon gefehlt.

    Liminski: Sie glauben also nicht, dass die Ämter das termingerecht schultern können?

    Milbradt: Ich habe erhebliche Zweifel daran, vor allen Dingen, weil ja auch noch die Option ansteht, es soll ja 69 Kreisen und kreisfreien Städten die Möglichkeit gegeben werden, die ich befürworte, die Arbeit selber zu übernehmen. Dies alles läuft ja erst Mitte September an. Die Zeit ist unheimlich kurz, um zum 1.1.05 die Sache in den Griff zu bekommen. Von technischen Details, die an die Mauteinführung erinnern, also Computerprobleme, ganz zu schweigen. Wenn es eben, was die Bundesregierung ja richtig sagt, sich um eine große Reform, eine große Veränderung handelt, dann braucht man den entsprechenden Vorlauf und der ist offensichtlich nicht genutzt worden. Denn die eigentlichen Vorschläge resultieren ja von der Hartz-Kommission, die sie vor zwei Jahren vorgelegt hat. Ich bin erstaunt darüber, wie wenig man jetzt im Einzelfall in dem Technischen die Vorbereitungen betrieben hat. Allein mit einer Idee kann man ein Land nicht regieren.

    Liminski: Ihr Amtskollege Stoiber hat wohl den Eindruck, dass sich die Proteste der Menschen nicht nur gegen Details des Reformpakets richten, sondern der Politik insgesamt mit Misstrauen begegnen. Von dieser Stimmungslage profitieren offenbar die politischen Ränder. Fürchten Sie auch ein Aufleben am rechten Rand? Nach neuen Umfragen würde in Sachsen die NPD zum Beispiel neun Prozent der Stimmen holen.

    Milbradt: So weit ist es noch nicht, sondern es wird gesagt, dass man sich vorstellen kann, eine rechte Partei zu wählen, die Absicht ist noch nicht bei neun Prozent. Aber ganz klar ist: Die politische Mitte, die traditionellen Parteien, die die Regierung bilden, leiden natürlich unter einem solchen Vertrauensverlust. Und die Wähler gehen in die Ränder entweder zur PDS auf der linken Seite oder zu irgendwelchen dubiosen Parteien auf der rechten, da ist die NPD nur eine Möglichkeit. Aber da wird ja deutlich, ich muss Reformen mit der Bevölkerung machen, ich muss informieren, ich muss auch die Reform so beginnen, dass sie den Betroffenen zumutbar ist. Und niemand würde auch in Ostdeutschland etwas dagegen haben, wenn man sagt, wir wollen versuchen, Leute in Arbeit zu bringen. Mit diesem Argument und mit diesem Ziel, dass dann aber auch erfüllt werden muss, kann man ja die Reform durchaus beginnen. Wenn aber im Mittelpunkt nicht mehr ein Hineinbringen in Arbeit steht sondern fiskalische Gründe, dann ist es natürlich klar, dass die Menschen dort nicht einverstanden sind und in ihrer Not und in ihrer Uninformiertheit gehen sie natürlich dann an die Ränder und das ist natürlich demokratisch bedenklich.

    Liminski: Noch eine Frage zum Stichwort Stoiber, man müsse immer mit dem CSU-Vorsitzenden rechnen, sagte Stoiber gestern im ZDF, auch bei der Kanzlerkandidatenfrage. Ist für Sie diese Frage schon entschieden?

    Milbradt: Sie wird offiziell entschieden Ende des Jahres '05 und es macht keinen Sinn, immer wieder diese Frage zu stellen, vor allen Dingen angesichts des Hintergrundes der Diskussionen in Ostdeutschland. Dies führt nur dazu, dass die Wähler, potentielle Wähler der Union, zusätzlich verunsichert werden und wird sicherlich kein Beitrag sein, dass die Union in Ostdeutschland ein gutes Wahlergebnis am 19. September bekommt.

    Liminski: Sie machen sich auch keine weiteren Gedanken um diese Frage?


    Milbradt: Nein, es interessiert mich nicht, es interessiert die Leute auch nicht. Die Leute interessieren die Reformen, beziehungsweise der Fehlstart der Reformen, und diese Diskussionen um Kanzlerkandidaten oder auch Kündigungsschutz ist so überflüssig wie ein Kropf, das ist eine zusätzliche Verunsicherung der Bürger, insbesondere der Bürger, die traditionell die Union wählen.

    Liminski: In der SPD herrscht Empörung über Lafontaine, eine neue Linksgruppierung macht sich Hoffnung, bald Lafontaine in ihren Reihen zu haben. Die Schwächung der SPD kann nicht ohne Folgen für das Parteiengefüge und die demokratische Substanz der Republik bleiben. Hie und da zieht man schon Vergleiche zu Weimar, wie wollen Sie das Ausfransen der Volksparteien verhindern, durch Profil im Programm, mehr Ehrlichkeit auch, indem man den Leuten klar sagt, was sie erwartet?

    Milbradt: Ich glaube es geht nur, indem man den Menschen sagt, wo wir stehen, was ist unser Programm, was sind unsere Ziele. Warum werden Veränderungen durchgeführt, doch nicht weil wir Masochisten sind, sondern um die Situation der Bevölkerung und zwar auch des Mannes auf der Straße und der Frau auf der Straße zu verbessern. Aber wenn diese Kommunikation nicht gelingt, dann funktioniert dieses System nicht und die CDU kann kein Interesse daran haben, dass die andere große Volkspartei so in den Keller rutscht, wie das jetzt der Fall ist. Und vor allen Dingen in Ostdeutschland muss man sofort hinzufügen, das Misstrauen der Menschen trifft ja nicht nur die SPD sondern auch gleichermaßen die Union, beide werden für die gegenwärtige Situation verantwortlich gemacht, obwohl klar ist dass Hartz IV ein Konzept der Regierung ist und auch die Durchführung allein der Regierung in Berlin und ihren nachgeordneten Ämtern obliegt.

    Liminski: Wenn es im Osten, vielleicht auch im symbolbehafteten Leipzig zu Demonstrationen kommt, werden Sie oder ein Mitglied Ihrer Regierung zu den Menschen sprechen?

    Milbradt: Wir werden, wenn wir eingeladen werden, uns überlegen, ob wir daran teilnehmen, ich könnte mir so etwas vorstellen. Vor allen Dingen muss man jetzt im Augenblick bei der Diskussion der Montagsdemonstrationen sehr genau unterscheiden. Es sind ja alle möglichen Gruppen, die jetzt Demonstrationen anmelden gegen Hartz IV. Das reicht von der NPD bis meinetwegen zu Pfarrer Führer in Leipzig, einer derjenigen, die auch in den Wendezeiten '89 dabei waren. Dieser Begriff Montagsdemonstrationen wird ja jetzt von ganz unterschiedlichen Gruppierungen gebraucht und teilweise missbraucht.

    Liminski: Proteste im Osten gegen Hartz IV, das war der Ministerpräsident des Freistaats Sachsen Georg Milbradt, besten Dank für das Gespräch Herr Milbradt.