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Milchbauern in der Krise
"Risikostreuung betreiben"

Für den Agrarökonomen Achim Spiller sind die 100 Millionen Euro Hilfe für die Milchbauern nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Langfristig sei es sinnvoll, wenn die Bauern und Molkereien auf andere Marktsegmente wie beispielsweise Käsespezialitäten setzen würden, sagte er im DLF.

Achim Spiller im Gespräch mit Birgid Becker | 30.05.2016
    Packungen mit Frischmilch laufen auf einem Band.
    Milchproduktion in der Molkerei Bad Schwalbach (dpa/picture alliance/Arne Dedert)
    Birgid Becker: Zum Start der Sendung aber das Leid der Milchbauern, für das ein Landwirt die folgende Formel gefunden hat:
    "Vor zwei Jahren waren wir bei 40 Cent und jetzt gehen wir Richtung 20 Cent oder vielleicht auch darunter. Im Moment ist Milch billiger als Wasser und ich sage mal, Wasser gibt es doch eigentlich auch genug. Warum können die Wasser teurer verkaufen als Milch?"
    Becker: Wasser, zumindest wenn es Mineralwasser ist, sei teurer als Milch. Diese Klage hat nun auch den Bundeslandwirtschaftsminister erreicht. 100 Millionen Euro will er loseisen als Soforthilfe. 100 Millionen Euro Soforthilfe, vielleicht auch plus X, das ist das zentrale Ergebnis des sogenannten Milchgipfels. Mitgehört hat der Göttinger Agrarwissenschaftler Achim Spiller. Guten Tag.
    Achim Spiller: Hallo, Frau Becker.
    Becker: Diese 100 Millionen plus X, was ist das in Ihren Augen? Ein Trostpflaster oder doch mehr?
    Spiller: Das ist natürlich im Verhältnis zu dem drastischen Preisrückgang der letzten anderthalb Jahre erst mal nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Wenn man überlegt, dass den Landwirten pro Jahr derzeit gegenüber einem vielleicht "normalen" Preis zwei, drei Milliarden Euro fehlen, dann sind 100 Millionen Euro natürlich nicht so viel.
    "Eine dramatisch lange Preisphase"
    Becker: Geht es womöglich einfach um politisches Kalkül? Ist es einfach politisch opportun, Autokonzerne für E-Autos zu unterstützen, Milchbauern aber nicht?
    Spiller: Es ist schon eine dramatisch lange Preisphase, die die deutschen Bauern hier jetzt in der Milchwirtschaft durchlaufen. Anderthalb, fast zwei Jahre Preistief ist etwas, was ungewöhnlich ist, was wir so auch in der Vergangenheit wirklich selten hatten. Solche periodischen Aufs und Abs der Preise sind für landwirtschaftliche Märkte insgesamt durchaus normal. Aber das Preistief ist jetzt sehr lange auf der einen Seite und die deutschen Milchlandwirte sind diejenigen, die noch sehr lange geschützt waren in einem EU-System und die sich vielleicht auch am wenigsten bisher daran gewöhnt hatten.
    Becker: Dann ist nach Ihrer Einschätzung die Lage der Milchbauern schon so dramatisch, wie es deren Funktionäre, wie es der Bauernverband auch darstellt?
    Spiller: Ja, der derzeitige Preis, der mit 20 Cent oder etwas darüber - im Süden Deutschlands etwas besser, im Norden etwas schlechter - ausfällt, ein so niedriger Preis ist so, dass auch die kostengünstigsten Betriebe, die wirklich ihren Betrieb sehr gut im Griff haben, derzeit draufbezahlen.
    Becker: Nun scheint das aber mit den Unterstützungen ja auch nicht wirklich nachhaltig zu sein. Es gab ja auch schon auf EU-Ebene die Idee, den Milchbauern unter die Arme zu greifen. Die Summe war sogar größer: 500 Millionen Euro.
    Spiller: Das Problem ist, dass der Preisverfall hier so drastisch jetzt ausgefallen ist, und dahinter steht, dass wir ein deutliches Überangebot an Milch in Europa derzeit haben, dass das die Politik so mit ihren normalen Mechanismen dann nicht ausgleichen kann. Es ist ja nicht so, dass nur in Deutschland die Milchmenge angestiegen ist; es gibt sogar einige europäische Länder, wo sie deutlich stärker hochgegangen ist in den letzten Jahren. Die Iren zum Beispiel haben deutlich mehr oder auch die Holländer ihre Position ausgeweitet, die Belgier, sodass wir insgesamt in Europa derzeit ein Ungleichgewicht haben, zu viel Milch auf dem Markt.
    Reduzierung der Milchmenge: "Harte Entscheidungen für die Betriebe"
    Becker: Und in der Tat ist ja der Lösungsansatz, der diskutiert wird, immer oder fast immer der gleiche. Es soll, wie Sie es auch sagen, die Milchmenge reduziert werden. Warum ist man in den zwei Jahren, in denen über den enormen Preisverfall geklagt wird, da nicht weitergekommen?
    Spiller: Hinter dem Milchmenge reduzieren stehen natürlich schwere, harte Entscheidungen für die landwirtschaftlichen Betriebe, denn das heißt in den meisten Fällen, dass ein Landwirt mit der Milchproduktion aufhören wird. In der Vergangenheit gab es das auch immer schon mal wieder. Circa drei Prozent aller Milchlandwirte haben im Durchschnitt über die letzten Jahrzehnte jedes Jahr aufgehört. Wir hatten schon immer einen Strukturwandel in der Milchwirtschaft. Meistens ist das so gewesen, dass ein Landwirt aufgehört hat, wenn er sich der Rente genähert hat, wenn er wusste, seine Kinder möchten vielleicht in den Betrieb nicht einsteigen, und dann hört man mit der Milchwirtschaft auf und verpachtet seine Äcker. Jetzt haben wir aber eine Situation, wo viele Landwirte sich darüber Gedanken machen, sollen sie schon deutlich früher aufhören, aussteigen aus der Milchwirtschaft, und wo auch einige Betriebe, die jetzt in den letzten zwei, drei Jahren ihre Stallanlagen erst richtig groß ausgebaut haben, so in die wirtschaftliche Bredouille geraten sind, dass sie sich Gedanken machen müssen, ob sie überhaupt noch ihre Kredite bezahlen können.
    Becker: Wenn wir sagen, Milchmenge reduzieren, wie hat man sich das eigentlich praktisch vorzustellen? Wenn man Kühlschränke produziert, dann lassen sich die Produktionsbänder anhalten und am Ende gibt es dann weniger Kühlschränke. Bei Milchkühen, zumal den Hochleistungskühen funktioniert das ja so nicht.
    Spiller: Genau. In den meisten Fällen ist das wirklich so, dass ein Betrieb aufhört und seine Kühe verkauft, die dann geschlachtet werden. Es gibt auch Möglichkeiten, die Milchmenge etwas runterzufahren, indem man weniger Kraftfutter füttert, und dann geben die Tiere etwas weniger Milch. Damit kann man es in einem gewissen Umfang auch versuchen zu regulieren. Aber wir haben jetzt in den letzten anderthalb Jahren gerade bei den großen Betrieben die Situation, die jetzt eher noch vergrößert hatten in Hoffnung darauf, dass der Milchmarkt positiv weitergeht und die guten Preise von 2013/2014 sich länger halten. Die haben jetzt so viel investiert und die haben so viele Schulden zum Teil bei der Bank, dass sie gar nicht runtergehen können. Die müssen weiter, wenn man so will, auf Teufel komm raus viel Milch produzieren, um überhaupt ihre Kredite und die Tilgung noch irgendwie bedienen zu können.
    "Biomilch-Produktion wird nur einigen wenigen helfen"
    Becker: Dann wäre man, wenn man das für die Gesamtlage betrachtet, fast dabei, zu hohe Milchmengen doch wieder zu sanktionieren.
    Spiller: Ja. Nur das haben wir ja in der EU politisch verhindert. Die Politik hat sich daraus zurückgezogen und hat gesagt, Landwirte, Molkereien sollen das zukünftig selber in eigener unternehmerischer Entscheidung planen. Das war ein langer Ausstieg, das hat sich ja über viele Jahre jetzt hingezogen, und jetzt kamen ein paar unglückliche Dinge zusammen. Ein guter Preis 2013/2014, viele Berater haben den Landwirten auch gesagt, investiert, wenn die Quote aufhört, wachst mit eurem Betrieb und versucht euch gut aufzustellen. Da hat sich die Politik rausgehalten. Auch die Molkereien haben sich da weitgehend rausgehalten. Die hätten vielleicht auch etwas dämpfen können und vielleicht andere Vertragssysteme einführen können, wo sie ihren Landwirten sagen, wir nehmen aber nur so und so viel ab. Aber die haben ihren Landwirten auch das Okay gegeben: Wachst, wir nehmen euch alle Milch ab.
    Becker: Noch einmal zu den Lösungsansätzen. Da wird ja schon einmal auf den höheren Preis für Biomilch geschielt. Ist das ein Weg, obwohl es ja für viele Betriebe schlicht nicht möglich ist, die Flächenanforderungen oder die Futteranforderungen zu erfüllen, die für die Bioproduktion gelten? Trotzdem: Kann das ein Weg sein?
    Spiller: Für einige wenige, weil wir durchaus Knappheit im Moment am Biomilch-Markt haben, schon. Aber das ist ja ein längerfristiger Prozess. Wir haben einen dreijährigen Umstellungszeitraum. Schnell geht das sowieso gar nicht. Und man muss natürlich auch aufpassen, wenn jetzt zu viele auf Bio umstellen würden, dann könnte es da in drei Jahren möglicherweise auch zu einem Überangebot kommen. Da müssten die Biomolkereien und Biolandwirte auch im eigenen Interesse aufpassen, dass gerade solch ein kleines Segment jetzt nicht aus den Fugen gerät. Was man vielleicht daraus lernen kann ist, dass man in solchen Marktsegmenten wie Bio- oder wie Weidemilch oder wie speziellen Käsespezialitäten größere Chancen hat, sich dem Weltmarktdruck zu entziehen. Da sind die Preise ja auch noch ganz gut. Es würde sicherlich helfen, wenn insgesamt die deutsche Milchwirtschaft und auch die deutschen Molkereien stärker auf solche Qualitätssegmente zukünftig setzen und dadurch auch ein Stück Risikostreuung betreiben. Man hat sehr stark nur auf den Pfad Weltmarktorientierung gesetzt.
    Becker: Vielen Dank - der Göttinger Agrarwissenschaftler Achim Spiller war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.