Sandra Schulz: Ein 70. Geburtstag, der gilt gemeinhin als schöner Grund zum Feiern. Jetzt steckt der Jubilar, das mächtigste westliche Militärbündnis, die NATO allerdings tief in der Krise. Von einem amerikanischen Problem sprechen viele Europäer, weil US-Präsident Trump seine Partner auf der anderen Seite des Atlantiks mehrfach vor den Kopf gestoßen hat. Von einem deutschen Problem sprechen hingegen viele Amerikaner, denn beim finanziellen Engagement hinkt die Bundesregierung ihren Zusagen hinterher. Mehrfach kam daran auch Kritik aus der NATO-Zentrale in Brüssel, von Generalsekretär Stoltenberg. Am Abend hat der in Washington US-Präsident Donald Trump getroffen.
Mitgehört hat Peter Rough, Politikwissenschaftler am Hudson Institute in Washington, einem konservativen Think Tank. Ich grüße Sie!
Peter Rough: Guten Morgen nach Deutschland!
"Als Supermacht vor einem Dilemma"
Schulz: Die Signale, die wir hören, die sind nun sehr ambivalent. Wie glücklich sind die USA mit ihren Verbündeten in Europa?
Rough: Na ja. Ich glaube, dass die Amerikaner auch überzeugt sind, dass die NATO essentiell ist. Nur wir stehen als Supermacht vor etwas wie einem Dilemma. Solange man nicht am System rüttelt, inklusive Artikel fünf, der kollektiven Verteidigungsaufgabe der Bündnispartner, wird man einen überproportionalen Anteil der Bündniskosten tragen müssen. Rüttelt man aber am System, wird einem etwas Unberechenbarkeit oder Unverlässlichkeit vorgeworfen. Das ist die Schwierigkeit, die die Trump-Regierung immer wieder im Auge behalten muss. Trump hat deswegen in der Tat selbst einen ziemlich harten Kurs beispielsweise bei Russland umgesetzt. Rhetorisch hat er aber dafür den eigenen Partnern die Leviten gelesen und diese Spannung ist letztlich, was seine NATO-Politik ausmacht oder auszeichnet.
Schulz: Sich nicht klar zu Artikel fünf und den daraus folgenden Verpflichtungen zu bekennen, wie Trump das 2018 gemacht hat, ist das schon "daran rütteln", wie Sie sagen?
Rough: Ich glaube, dass das wirklich für diesen Präsidenten der einzige Hebel ist. Die anderen Präsidenten in der Vergangenheit, George W. Bush 2008, die gesamte Amtszeit von Barack Obama, wo man sich auch über die Bündnispartner beschwert hat, dass man zu wenig investiert in den Verteidigungsetat, haben aus Sicht der jetzigen Regierung, eigentlich aus der gesamten politischen Beobachtungsklasse hier in Washington zu wenig erreicht, und man versucht, hier nachzuholen. Das ist der einzige Hebel, der Trump zur Verfügung steht. Aber ich bin zuversichtlich und ich glaube, das würde auch jeder innerhalb der Regierung betonen, dass die Amerikaner zu ihren Verpflichtungen stehen. Wir haben ja auch in den letzten zwei Jahren erlebt, dass wir bis zu 40 Prozent Erhöhungen in den Ausgaben rund um die Abschreckungsmaßnahmen in Osteuropa investiert haben. Es gab letale Waffenlieferungen an Kiew. Nachdem Russland die Straße von Kerch blockiert hat, haben die Amerikaner hier rhetorisch sofort an der Seite ihrer Bündnispartner Stellung genommen. Ich glaube, generell sind die Amerikaner wo sie sind. Nur wie gesagt: Es ist der einzige Hebel, um das Problem des Trittbrettfahrers etwas in den Mittelpunkt zu rücken.
Schulz: Wer ist der Trittbrettfahrer?
Rough: Das sind jene Partner, die sich verpflichtet haben, bei Wales, bis 2024 zwei Prozent ihrer Bruttoinlandsprodukt-Ausgaben in Verteidigung zu investieren, und diesem offenkundig nicht nachkommen werden.
"Man sollte Verpflichtungen auch nachkommen"
Schulz: Warum sind diese Zahlen so wichtig? Die Bundesregierung betont ja, alles Menschenmögliche zu unternehmen. Wir haben es gestern Morgen hier bei uns im Programm gehört von Verteidigungsministerin von der Leyen. Sie verweist darauf, dass Deutschland der zweitgrößte Truppensteller der NATO ist, bei den wichtigsten Einsätzen auch immer ganz vorne als Truppensteller mit dabei. Warum die Schwächung der NATO über diese zähe Zahlendiskussion?
Rough: Na ja. Das sind Zahlen, die Deutschland sich selbstverpflichtet hat und letztendlich gerade deswegen auch nachkommen muss oder sollte. Aber immerhin ist das Problem nicht nur ein Problem der Regierung. Ich glaube, das ist einfach ein Problem, wo die Regierung mehr oder weniger die politische Meinung der Bevölkerung vertritt, und da ist Nachholbedarf, glaube ich, in Deutschland einfach vorhanden, wo man klarmachen muss, warum in einer wichtigen Sache wie Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Ressourcen notwendig sind. Da muss man einfach das unternehmen, was man kann. Aber wenn man mit deutschen Politikern auch hier in Washington spricht, hört man immer wieder, dass das einfach politisch nicht wirklich haltbar ist, den zwei Prozent nachzukommen. Aber man hat sich dazu verpflichtet und aus meiner Sicht sollte man Verpflichtungen auch letztendlich nachkommen.
Schulz: Die Verpflichtung war, das in Richtung der zwei Prozent anzuheben. Da sagt die Bundesregierung, genau das machen wir. Es gehen ja jetzt schon Milliarden in den Verteidigungsetat, die vorher nicht geplant waren. Was wäre denn jetzt aus US-Perspektive konkret besser, wenn die 2,0 stünde?
Rough: Ja! Das Wichtigste ist, dass erstens einmal Deutschland nicht nur irgendein Land in Europa oder innerhalb der NATO ist. Es ist mindestens seit 2008/2009 der Hauptansprechpartner der Amerikaner in Europa. Das heißt, es ist ein regionaler Anker, hat sich auch innerhalb der NATO offiziell als regionaler Anker positioniert. Und das bedeutet: Solange Deutschland nicht den zwei Prozent nachkommt, dann werden die anderen Partner und die Nachbarländer von Deutschland sich auch nicht dazu verpflichten lassen, oder zumindest versuchen, den zwei Prozent nachzukommen. Das ist gerade deswegen wichtig und zweitens haben wir gespürt in den letzten fünf, sechs, sieben Jahren – und gerade das hört man ja auch immer jetzt, wo die NATO-Stabschefs in Washington eingetroffen sind -, wieviel sich in Brüssel eigentlich tut, dass harte Sicherheitspolitik einfach eine Realität in Europa ist. Es haben sich die Grenzen verschoben, es gibt einen aktiven Krieg in der Ukraine, die Krim wurde annektiert. Es gibt hier Bedrohnisse und wenn man das Schlimmste verhindern möchte, dann braucht man Abschreckungsfähigkeiten, und die gibt es leider zurzeit nicht. Da gibt es ja etliche Berichte, die immer wieder auch in deutschen Medien betont werden, dass die deutschen Streitkräfte einfach nicht fähig sind, Macht zu projizieren, und da auch sich sehr schwertun, sogar bei normalen Übungseinheiten mitzumachen mit ihren Partnern. Da geht es einfach um Readiness, da geht es um einfache Fähigkeiten, da geht es um logistische Fragen unter anderem, wo einfach Nachholbedarf vorhanden ist.
"In Afghanistan stabile Regierung zustande bringen"
Schulz: Es geht um Zuverlässigkeit, es geht auch um Planbarkeit. Wenn wir da einen ganz konkreten Fall rausgreifen, Afghanistan, da ist im Moment der Status quo. Die Amerikaner, die USA, die wollen sich da irgendwie rausziehen. Keiner weiß, wann, wie und mit welchem Tempo. Wie sollen die Partner da planen? Woran machen Sie da umgekehrt Verlässlichkeit der USA fest?
Rough: Na ja. Zalmay Khalilzad, der amerikanische Sonderbeauftragte, der gerade mit den Afghanen und den Taliban verhandelt, hat sich, wenn ich das jetzt richtig im Gedächtnis habe, vier- oder fünfmal nach Brüssel bewegt, hat dort mit den Partnern langfristige Briefings abgehalten, hat sie eingebunden in den jetzigen Verhandlungen. Die Verhandlungen laufen noch. Klar ist, dass wir mittelfristig nach 18jähriger Involvierung in Afghanistan, im aktiven Kriegszustand eine stabile Regierung zustande bringen möchten, dann zusätzlich auch die afghanischen Streitkräfte weiterhin ausbilden und Militärausbildung, die ja teilweise von der NATO begangen wird, weiterhin aufrecht halten, und dass die USA ihre Aktivitäten fortsetzt. Das ist mehr oder weniger die strategische Ausrichtung der USA. Aber was man so hört, ist da eigentlich der Vertrag zwischen den USA und Europa ein ziemlich guter. Da wird die Strategie gemeinsam entwickelt und die Amerikaner halten die Europäer auch in Brüssel da am Laufenden.
Schulz: Jetzt wollen wir noch mal auf den aktuellen Anlass dieser Gespräche in Washington schauen, auf Jens Stoltenberg heute vor dem Kongress. Anlass sind 70 Jahre NATO. Was gibt es da zu feiern?
Rough: Na ja. Es geht hier darum, erstens das Bündnis zu zelebrieren. Die NATO wird ja morgen 70 Jahre alt und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich am 4. April _49 die damaligen, ich glaube, zwölf Gründungsstaaten, die die NATO ins Leben gerufen haben, schwer eine Allianz von mittlerweile 29 Staaten vorstellen konnten. Nordmazedonien, nachdem es ja im Februar das Beitrittsprotokoll unterschrieben hat (jetzt folgt das Ratifizierungsverfahren), ist bald das 30. Land, ein weiteres Balkanland nach Montenegro, das mit der Aufnahme ins Bündnis rechnen kann. Die Botschaft ist da ziemlich klar und deutlich: Die NATO ist nicht obsolet, sie wächst. Jens Stoltenberg wird gerade deswegen heute noch Deutschlandzeit, morgen hier in den USA in einer gemeinsamen Sitzung der beiden Kammern des Kongresses eine Ansprache halten. Das ist eine überparteiliche Geste. Ich glaube, das zeigt, dass das Bündnis lebendig ist, und es gibt hier eine Reihe an Themen von Mittelstreckenraketen-Vertrag, Aktivitäten im Schwarzen Meer, Afghanistan haben Sie schon erwähnt, Irak, finanzielle Lastenteilung, der Kampf gegen den IS in Syrien. Es gibt noch viele Themen, die abgearbeitet werden. Es ist nicht nur ein Bündnis, das rückblickend morgen zelebriert wird, sondern auch jetzt neue Maßnahmen ergreifen möchte für die nächsten Jahre.
Schulz: Der US-Politikwissenschaftler Peter Rough heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen!
Rough: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.