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Militärbischof Sigurd Rink
"Es kann keine gerechten Kriege geben“

Krieg sei der größte anzunehmende Unfall und ein völliges Versagen von Politik, sagte der evangelische Militärbischof Sigurd Rink im Dlf. Dennoch müsse man manchmal mit rechtserzwingender Gewalt eingreifen. Dabei lüden Soldaten individuell Schuld auf sich – eine Spannung mit der es umzugehen gelte.

Sigurd Rink im Gespräch mit Michael Köhler | 17.11.2019
Schulterklappe mit Kreuz eines evangelischen Militärpfarrers unter einem Aufneher einer Deutschlandfahne auf der Schulter einer Camouflage Jacke
Das Amt des Militärbischofs sei auf Spannung ausgelegt, sagt Sigurd Rink (imago images / epd)
Michael Köhler: Vor Beginn der Adventszeit liegt der Volkstrauertag. Er ist ein Tag des Gedenkens an die Kriegstoten und Opfer der Kriege. Er ist also mehr als nur ein Gedenktag der Kriegsgräberfürsorge. Wir nutzen den Anlass, um mit Sigurd Rink über Auslandseinsätze der Bundeswehr, Gewissensfragen, eine Ethik für den Ernstfall und aktuelle Militäreinsätze zu sprechen.
Rink ist evangelischer Theologe und seit 2014 der erste hauptamtliche Militärbischof. Er hat gerade das Buch vorgelegt unter der Titelfrage: "Können Kriege gerecht sein? Glaube, Zweifel, Gewissen – wie ich als Militärbischof nach Antworten suche". Zuerst habe ich ihn gefragt: Sie haben doch biographisch einen radikalpazifistischen Hintergrund, richtig?
"Im Ernstfall ist rechtserhaltende Gewalt notwendig"
Sigurd Rink: Das ist so. Ende der 70er-Jahre war das ja eine ungeheuer aufgeheizte Debatte und als ich Jugendlicher war, in der Oberstufe war, oder auch am Anfang des Studiums, gehörte das, muss man sagen, wirklich dazu, inklusive meiner Herkunftsfamilie.
Köhler: NATO-Doppelbeschluss, Bonner Demo.
Rink: So ist das, und auch gleichzeitig das Thema von Friedensbewegung, von Kirchentagsbewegung, von konziliarem Prozess. Das gehörte alles dazu und eigentlich war da so eine Institution wie Streitkräfte oder Bundeswehr nicht mehr wirklich vorgesehen.
Köhler: Wir erinnern uns auch an die Diskussion: "Soldaten sind Mörder", diese berühmten Sprüche. NATO-Herbstmanöver 1988, 1991 zweiter Golfkrieg, Bundesverfassungsgerichtsurteil, das gesagt hat, das ist freie Meinungsäußerung. Bischof Rink, Krieg ist diffamierungswürdig. Soldatentum nicht, oder?
Rink: Ja. Die Lehre vom gerechten Krieg, die über Jahrhunderte und bis 1945 ja die Diskussion beherrscht hat, kann nicht mehr so stehen bleiben. Krieg ist ein politisches Versagen und von daher gesehen kann er nicht gerecht sein – mal ganz zu schweigen von all den zivilen Opfern, die dort immer wieder zu beklagen sind, gerade jetzt auch noch mal am Volkstrauertag.
Der Punkt ist aber der, dass es gleichzeitig notwendig ist, im Ernstfall auch so etwas zu haben wie rechtserhaltende Gewalt, und dafür braucht es auf der einen Seite Polizeikräfte und auf der anderen Seite auch Soldaten.
Der evangelische Militaerbischof Sigurd Rink predigt in einem schwarzen Talar an einem Pult.
Dr. Sigurd Rink ist evangelischer Militärbischof (imago images / epd / Stefan Arend)
Köhler: Sie sprechen viel mit Soldaten, berichten auch in Ihrem Buch darüber, treffen auf verantwortungsvolle, aber auch ängstliche Soldaten. Was sagen die Ihnen und was sagen Sie denen?
"Fragen von moralischer Schuld gehen mit dem Soldatenberuf einher"
Rink: Ja! Es ist Teil des Soldatenberufes, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, und natürlich ist an der Stelle ein Militärpfarrer oder gar ein Militärbischof ein wichtiger Ansprechpartner. Und wir versuchen, es aufzufangen im sogenannten lebenskundlichen Unterricht, aber natürlich auch in der Seelsorge, wo wir mit den Soldatinnen und Soldaten über deren Beruf sprechen und über all die schwierigen auch ethischen Fragen, die damit verbunden sind. Ich nenne nur das fünfte Gebot, Du sollst nicht töten. Wie kriegt man das eigentlich mit seinem Christsein zusammen.
Köhler: Sie haben – und das finde ich sehr eindrücklich – berichtet von Schulderfahrungen, von Sanitätern, die vor Konfliktfällen stehen, vor der Frage, wer ist wann in welcher Reihenfolge zu behandeln. Wie geht man damit um, wie geht man mit der Erfahrung auch von Verletzungen, von Tot und solchen Dingen um. Wie machen Sie das?
Rink: Genau deswegen spricht man da auch in der neueren Forschung von der sogenannten moralischen Verletzung. Die Engländer sagen "moral injury". Das meint das gleiche. Das ist in der Tat das, weshalb ich sage, Ethik im Ernstfall des Lebens, dass mit dem Soldatenberuf diese Fragen von moralischer Schuld und moralischer Verletzung ganz klar mit einhergehen.
Der Soldat als jemand, der notfalls auch mit der Waffe arbeiten muss, lädt individuell als Person moralisch Schuld auf sich, um eines größeren Ganzen, hoffentlich um des Weltfriedens willen. Diese Spannungen muss die jeweilige Person aushalten. Viele können das aushalten. Manche zerbrechen auch daran, und da sind wir gefragt als sehr wache und sehr offene Zuhörer.
"Mit Spannungen leben"
Köhler: Über 100 deutsche tote Soldaten in Auslandseinsätzen. Wir gedenken am Volkstrauertag der Toten, der Opfer der Kriege. Das schließt ausdrücklich alle Opfergruppen ein. Sie sind Militärseelsorger und ja kein Verteidigungs- oder Sicherheitspolitiker. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Wenn Sie das Gewissen stärken, stärken Sie dann auch Auslandseinsätze? Und ist das nicht auch ein Konflikt?
Rink: Das ist und bleibt ein Konflikt, und zwar deswegen, weil die Soldatinnen und Soldaten ja die Frage der Sinnhaftigkeit von Auslandseinsätzen oder auch ganz zu schweigen vom Erfolg der Auslandseinsätze selbst sehr kritisch beurteilen. Militärseelsorge und ein Militärbischof sind nicht dazu da, Auslandseinsätze jedweder Form zu rechtfertigen. Gleichwohl sind wir natürlich wache Zeitgenossen und nehmen wahr, was da an der Stelle passiert.
Es gab mal eine EKD-Denkschrift, die hieß: "Mit Spannungen leben". Genau darum geht es, die Gewissen zu schärfen und nicht, wie zu Zeiten des Ersten oder Zweiten Weltkriegs, eine Art moralische Zurüstung für die Truppe zu machen - die Engländer sagen "fit 4 fight" -, wo dann der Militärseelsorger Teil der Befehlskette, Teil der Truppe wird und auf diese Weise quasi diese Einsätze rechtfertigt.
"Eine Kultur der angemessenen Zurückhaltung"
Köhler: Als Seelsorger helfen Sie bei Gewissensentscheidungen. Sie haben auch Schweigepflicht, anders als andere, die bei Einsätzen dabei sind. "Nie wieder wehrlos" – den Satz habe ich bei Ihnen gelesen. Ist das die Lehre aus der Geschichte?
Rink: Ja, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ist wirklich, je mehr ich international herum komme, einzigartig auf der einen Seite, aber auch in der Schuldverhaftetheit einzigartig. Wenn Sie mit Menschen aus Frankreich, England, Amerika oder auch Russland sprechen, dann sagen sie, ist doch völlig klar, der Zweite Weltkrieg war für uns als Alliierte ein gerechtfertigter Krieg, denn wir haben dazu beigetragen, dass Hitler-Deutschland besiegt wird unter unglaublichen Einsätzen menschlichen Lebens und menschlichen Leides.
Die deutsche Perspektive ist da völlig anders an der Stelle, weil Deutschland hochgradig beteiligt war am Ausbruch des Ersten Weltkriegs und allein Ursache war für den Zweiten Weltkrieg, und von daher ist natürlich die ganze Mentalität in Deutschland eine ganz, ganz andere. Und ich finde, es gibt auch zurecht eine Kultur der angemessenen Zurückhaltung an der Stelle.
Deutschland hat die Traumata des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen und die Menschen in Deutschland wissen, dass sie dafür verantwortlich waren, inklusive ihrer Vorfahren, und von daher gesehen ist es, glaube ich, geboten, an der Stelle sehr, sehr vorsichtig mit militärischer Gewalt umzugehen.
Rekruten stellen sich am Freitag (20.07.2012) im Bendlerblock in Berlin für das feierliche Gelöbnis auf.
Islamische Militärseelsorge / "Wenn der erste muslimische Kamerad fällt, ist es zu spät"
1600 muslimische Soldatinnen und Soldaten gibt es in der Bundeswehr. Anders als in vielen Nachbarländern haben sie keine eigenen Seelsorger.
Köhler: Sie machen es mir leicht, eine sehr aktuelle Frage zu stellen. Was halten Sie deshalb von Auslandseinsätzen der Bundeswehr? Noch konkreter gefragt: Die Bundesverteidigungsministerin steht ja sehr in der Kritik – nicht zuletzt durch ihren Koalitionspartner – bei der Forderung nach Sicherheitskorridoren oder Sicherheitseinsätzen. Wie denken Sie über so was?
Rink: Ja, wir haben an der Stelle insgesamt als Evangelische Kirche – und ich teile das vollkommen – seit der Friedensdenkschrift von 2007 eine sehr restriktive Haltung. Wir sagen, die sogenannten "Out of Area"-Einsätze, die Auslandseinsätze der Bundeswehr, können nur dann durchgeführt werden, wenn es ein klares Mandat durch die Vereinten Nationen, durch die UN gibt, der Völkergemeinschaft also. Und wenn dann genügend Kräfte und Fähigkeiten der deutschen Streitkräfte da sind, dann wollen wir uns an der Stelle auch im Rahmen der Vereinten Nationen entsprechend bewegen.
Schwierig wird es dann, wenn es um Einsätze geht, die nicht von den Vereinten Nationen gedeckt sind, sprich zum Beispiel NATO-Einsätze oder auch EU-Einsätze. Da sind wir sehr zurückhaltend und von daher gesehen gibt es da schon eine ganz natürliche Limitierung auch.
"Es kann keine gerechten Kriege geben"
Köhler: Ich greife den Titel Ihres Buches auf. Gibt es gerechte Kriege?
Rink: Es kann keine gerechten Kriege geben, weil der Krieg eigentlich der größte anzunehmende Unfall ist und ein völliges Versagen von Politik. Die Folgen, die Kriege zeitigen, die ja immer wieder zu beobachten sind, ob nun im Jemen oder in Syrien oder dergleichen mehr, bedeuten, dass sie für die überwiegende Mehrheit der Menschen einfach nur grausame Folgen haben.
Von daher muss es ganz klar sein – und das ist jetzt auf der Friedenssynode der Evangelischen Kirche in Deutschland, die gerade zu Ende gegangen ist, noch mal betont worden -, dass es immer um das Primat des Zivilen geht, um alle Möglichkeiten, die entsprechenden zivilen Kräfte zu stärken, die Prävention zu stärken. Traurige Wahrheit ist aber auch, dass sich auf diese Weise trotzdem nicht alle Krisen verhindern lassen und trotzdem auch Krisen heißlaufen, wo man dann mit rechtserhaltender, ich sage auch manchmal rechtserzwingender Gewalt eingreifen muss, aber unter dem Mandat der Vereinten Nationen.
Köhler: Sie sind geweiht und verkünden die frohe Botschaft im Namen des Friedensfürsten. Ist das manchmal nicht ein großer Konflikt, wenn man dann in Krisengebiete kommt und sieht beispielsweise in Ostafrika oder in Afghanistan, wie Leute buchstäblich abgeschlachtet werden?
Rink: Absolut! Und aus dieser Spannung kommt man auch nicht raus. Ich habe kürzlich mal gesagt, das Amt des Militärbischofs ist auf Spannung ausgelegt. Da gibt es keine einfachen Lösungen. Genau wie Sie zurecht sagen, war ja der Konflikt in Ruanda 1994/95 exakt der Punkt, mit dem ich mich vom Fundamental- und Radikalpazifisten zu einem, ich möchte mal sagen, realistischen Pazifisten gewandelt habe. Weil das, was dort passiert ist, dass die Völkergemeinschaft, obwohl über Blauhelm-Soldaten im Land, nicht eingreift und auf diese Weise einen Völkermord und schwerste Menschenrechtsverletzungen zulässt, da kann ich nur sagen, da kann ich auch nicht mitgehen.
Militärseelsorge und Kriegsdienstverweigerung
Köhler: Wie ist das, wenn Sie mit Soldaten sprechen, die vor solchen Konfliktsituationen stehen und vielleicht Ihnen anvertrauen, sie würden es lieber nicht tun, oder sie haben einen Konflikt mit dem Gewissen, und das steht dann wiederum in Konflikt mit dem Soldatengesetz? Was raten Sie denen?
Rink: Da gibt es keinen einfachen Rat und interessanterweise ist es so – das wissen kaum Menschen -, dass die Militärseelsorge innerhalb der Streitkräfte auch für das Thema Kriegsdienstverweigerung zuständig sind und es gar nicht so selten ist, dass Menschen auch nach einer gehörigen Zeit ihrer Dienstausübung dann diesen Schritt noch gehen, auch den Kriegsdienst zu verweigern. Da stehen wir ratend, beratend zur Seite, stärken die Menschen in ihrer Persönlichkeit und in ihrer Entscheidungsfindung, auf dass sie dann wirklich auch mit ihrem Gewissen entsprechend gut umgehen können.
Sie können davon ausgehen – und das ist wirklich eine frappierende Erfahrung jetzt meines Amtes -, dass, wenn Sie im Vier-Augen-Gespräch mit Soldaten sind, es keine fünf oder zehn Minuten dauert, dass solche Fragen auch auf den Tisch kommen.
Köhler: Wo sind Sie heute am Volkstrauertag?
Rink: Ich bin am Volkstrauertag in Berlin, insbesondere im Reichstag, weil dort eine Institution unterwegs ist, die ich ausgesprochen schätze, gerade auch an diesem Tag, nämlich den Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge, die eine unendlich wertvolle Arbeit leisten im Gedenken an die Menschen, die ihr Leben verloren haben oder schwerst verletzt wurden – unter dem Leitwort "Versöhnung über den Gräbern". Besser kann ich es auch nicht sagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.