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'Militärische Intervention im Irak ist nicht gerechtfertigt'

Capellan: Am Telefon begrüße ich nun die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth. Guten Morgen Frau Roth!

    Roth: Schönen guten Morgen Herr Capellan.

    Capellan: Frau Roth, waren Sie denn auch zufrieden mit Ihrem Kanzler gestern Abend?

    Roth: Ich fand, dass der Bundeskanzler sehr klar und sehr überzeugend war und auch deutlich gemacht hat, worum es am 22. September geht, nämlich um eine Richtungsentscheidung zwischen rot-grün oder schwarz-gelb. Ich fand er hat klar gemacht, in welche Richtung rot-grün sich entwickeln wird und weiterhin die Politik gestalten wird, und deswegen war ich zufrieden.

    Capellan: Ist Ihnen auch klar, was die SPD in der Irak-Frage will?

    Roth: Ja. Ich finde es richtig, mit welch klaren Worten die Bundesregierung, der Bundeskanzler, der Außenminister eine militärische Intervention im Irak ablehnen, denn eine solche Intervention wäre ein völlig unkalkulierbares Risiko. Sie ist nicht gerechtfertigt. Sie würde das internationale Völkerrecht gefährden. Sie würde die UNO schwächen. Also es gibt keinen Grund, warum man jetzt mit einer militärischen Intervention agieren sollte.

    Capellan: Sie zweifeln also nicht an dem Nein des Kanzlers ohne Wenn und Aber, ob mit oder ohne UN-Mandat, keine deutschen Soldaten in den Irak?

    Roth: Nein. Ich zweifle nicht am Nein des Kanzlers, weil die Begründung von ihm sehr klar ist. Er sagt es geht darum, internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Das war der Beschluss des Bundestages im Rahmen Afghanistans, und daran ist die Bundesregierung geknüpft. Es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Saddam Hussein, das Regime von Saddam Hussein Verbindungen zum internationalen Terrorismusnetzwerk El-Kaida hat.

    Capellan: Entschuldigung, solche Beweise wollen die Amerikaner vorlegen. Was dann?

    Roth: Es gibt diese Beweise nicht. Das sagt übrigens auch der ehemalige UNO-Waffeninspekteur, ein Amerikaner. Es gibt keine neue Bedrohung, die vom Irak ausgeht. Selbstverständlich muss es darum gehen, dass das Regime von Saddam Hussein die UNO-Resolutionen einhält, aber darum geht es ja offensichtlich Teilen der US-amerikanischen Regierung nicht mehr, die von einem präventiven Militärschlag spricht. Und das kann ja nun nicht sein, dass ein Land, eine Regierung sagt, mir gefällt eine andere Regierung nicht, ein anderes Regime nicht, und deswegen wird sie militärisch abgelöst.

    Capellan: Wenn es darum geht, UN-Resolutionen mit Gewalt durchzusetzen, müssen sich die Deutschen dann daran beteiligen?

    Roth: Ein UNO-Mandat ist ein wichtiges Kriterium für eine Beteiligung. Gleichwohl ist es nicht das einzig ausschlaggebende. Und selbstverständlich ist es verantwortliche Politik, immer dann im Einzelfall sehr genau zu entscheiden, ob ein Einsatz, eine Beteiligung gerechtfertigt ist, ob ein Einsatz und eine Beteiligung verantwortlich wäre. Ich denke alle Argumente sprechen dagegen und es ist Aufgabe auch deutscher Politik, dieser Position zu Mehrheiten zu verhelfen, sei es nun in Europa oder auf internationaler Ebene. Übrigens ist das für mich der beste Ausdruck von kritischer Solidarität, denn es ist ja nicht so, dass in den USA alle Politiker diese Position von Herrn Bush unterstützen würden.

    Capellan: Ich glaube Sie haben mir nicht richtig geantwortet. Die Frage war, wenn die Waffeninspekteure nicht ins Land, in den Irak gelassen werden sollten, wenn sich Saddam Hussein weiter weigern sollte, müsste man dies dann mit Waffengewalt auch erzwingen, mit deutscher Beteiligung?

    Roth: Ich halte das für völlig falsch, eine solche Inspektion mit militärischen Mitteln erzwingen zu wollen. Es gibt ein neues, ein funktionierendes UNO-Sanktionsregime, das den Diktator Saddam Hussein in der Tat sehr geschwächt hat. Eine militärische Intervention würde ihn nicht schwächen, sondern würde ihn zu einer Art Märtyrer machen, was notwendigerweise zu einer Solidarisierung in der arabischen, in der islamischen Welt führen müsste. Das wäre das Ende der Anti-Terror-Koalition und eine unglaubliche Gefährdung des Friedens oder politischer Lösungen nicht nur im nahen und mittleren Osten.

    Capellan: Die Briten sehen das sowieso anders, das wissen wir, aber auch die Franzosen. Das ist beim Besuch von Jacques Chirac am Wochenende in Hannover deutlich geworden. Die Niederlande: sie sagen wenn es ein UN-Mandat gegen Saddam Hussein gibt, dann muss man das auch gewaltsam durchsetzen. Soll also Deutschland einen Sonderweg gehen?

    Roth: Ob die Briten das anders sehen, das sehe ich so noch nicht, weil Tony Blair sieht es anders, aber es gibt selbstverständlich auch in der britischen Politik heftige Stimmen gegen eine militärische Beteiligung. Noch einmal: es geht überhaupt nicht um einen UNO-Sonderweg, sondern es geht darum, vernünftige und verantwortliche Politik durchzusetzen und dafür zu werben. Es war ja nicht zuletzt die NATO, die letzte Woche eine militärische Intervention auch abgelehnt hat.

    Capellan: Die Europäer sind sich da aber offenbar nicht einig. Wie soll sich Deutschland dann verhalten?

    Roth: Dann muss Deutschland dafür sorgen und dafür werben, dass Europa mit einer Stimme spricht, denn noch einmal: es wäre auch Europa, das unmittelbar von einer solchen militärischen Intervention und einer Eskalation der Gewalt betroffen wäre. Jetzt geht es also darum, erst mal deutlich zu machen, was ist kritische Solidarität mit den US-Amerikanern und deren Regierung, dafür zu sorgen, zu werben, zu kämpfen, dass man wegkommt von einer militärischen Logik des präventiven Schlages, Erstschlages gegen den Irak und dass man sich wieder überlegt, wie kann man im Sinne von Kofi Annan dafür sorgen, dass Saddam Hussein in der Tat die Resolutionen der Vereinten Nationen erfüllt, dass Waffeninspekteure ins Land kommen. Dazu ist aber eine militärische Lösung ganz sicher nicht der geeignete Weg.

    Capellan: Frau Roth, Ihre Parteifreundin Angelika Beer hat gesagt, ein amerikanischer Angriff auf den Irak sei völkerrechtswidrig und deshalb müsste man den Amerikanern die Nutzung von US-Einrichtungen in Deutschland im Fall des Falles untersagen. Ist das denkbar?

    Roth: Das ist im Fall des Falles dann in der Tat zu klären. Die Ankündigungen von Cheney und Rumsfeld und von Bush zu sagen, egal was die UNO dazu sagt, egal ob irgend jemand anders sich beteiligen würde, sie wollen einen präventiven Militärschlag gegen den Irak durchführen, das kommt, wie Herr Thierse ja auch zurecht gesagt hat, einem Angriffskrieg gleich. Der ist sowohl mit unserer Verfassung nicht vereinbar und er ist nicht mit dem internationalen Völkerrecht vereinbar, also in der Tat etwas, wo man alles dagegen versuchen muss.

    Capellan: Wie strapazierfähig ist das deutsch-amerikanische Verhältnis noch?

    Roth: Das Verhältnis ist sehr gut, selbstverständlich. Wir sind befreundet. Es geht hier um einen Konflikt und einen Dissens mit zwei befreundeten Staaten. Aber kritische Solidarität ist doch die richtige Haltung, denn kritische Solidarität ist die Haltung, die man gegenüber Freunden hat. Und noch einmal: Es gibt in den USA viele Menschen, viele Politiker, die den Kurs von Bush überhaupt nicht unterstützen. Also geht es auch darum, klar zu sprechen, klar zu machen, was die Position deutscher Politik, der deutschen Regierung ist, um diejenigen Kräfte in Amerika, die auf eine besonnene Politik setzen, zu unterstützen.

    Capellan: Frau Roth, abschließende Frage. Ein Blick auf den gestrigen FDP-Parteitag. In der Irak-Politik da liegen die Grünen mit den Liberalen ja einigermaßen nah beieinander. Das ist es dann aber wohl. Die FDP hat eine klare Absage an eine Ampel ausgesprochen. Die Ampel für Sie auch tot?

    Roth: Die war noch nie lebendig für mich, denn wir wollen ja nicht wie die FDP in die Regierung, um in der Regierung zu sein. Wir wollen nicht die Macht um der Macht willen, sondern wir wollen Reformpolitik gestalten. Wir wollen ökologisch modernisieren und wir wollen dieses Land sozial erneuern. Wir wollen es demokratisieren. Das ist in der Tat diametral etwas anderes als das, was die FDP will, die wirklich die Partei der sozialen Kälte ist, die den sozialen Rechtsstaat schleifen will und mit Demokratie nicht mehr viel am Hut hat. Also warum um alles in der Welt sollte eine Ampel ein Projekt sein, das dieses Land regieren könnte.

    Capellan: Frau Roth, die Grünen haben sich festgelegt. Das haben wir verstanden. – Claudia Roth, Chefin der Bündnis-Grünen. Ich danke Ihnen und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio