Donnerstag, 28. März 2024

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"Militärische Lösungen funktionieren in Afghanistan nur ganz begrenzt"

Es sei nicht möglich, Afghanistan zu stabilisieren, ohne den zivilen Wiederaufbau in den Vordergrund zu stellen, unterstreicht der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann. Bislang habe man den Wiederaufbau zu stark mit Militärs verzahnt, die Einbeziehung der Zivilgesellschaft habe gefehlt.

Wolfgang Jamann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 28.01.2010
    Jasper Barenberg: Wie die Lage in Afghanistan unter Kontrolle zu bringen ist, wie das Land stabilisiert werden kann, damit die internationalen Truppen bald abziehen können, darüber vor allem soll es gehen und gesprochen werden auf der Konferenz in London heute am Nachmittag. Die Bundesregierung bietet an, die Zahl der deutschen Soldaten aufzustocken, mehr Polizisten auszubilden. Vor allem aber will sie die Mittel für Entwicklungshilfe fast verdoppeln und den zivilen Aufbau stärken, das allerdings Hand in Hand mit den deutschen Soldaten. Kann das funktionieren?

    Die deutsche Welthungerhilfe arbeitet seit Anfang der 80er-Jahre in Afghanistan. Deshalb wollen wir jetzt mit ihrem Generalsekretär sprechen. Guten Morgen, Wolfgang Jamann.

    Wolfgang Jamann: Einen schönen guten Morgen.

    Barenberg: Herr Jamann, die Bundesregierung betont den Vorrang für zivile Hilfe. Sind Sie zufrieden mit der neuen Konzeption der Bundesregierung für Afghanistan?

    Jamann: Ja, bei der Gesamtkonzeption hat man sicherlich Fragen. Allerdings begrüßen wir es sehr, dass die Mittel für den Wiederaufbau erhöht werden, dass die Bundesregierung diese neuen Akzente wohl mittragen will, die wir als Welthungerhilfe schon lange gefordert haben. Tatsächlich ist es eigentlich nicht möglich, dieses Land zu stabilisieren, wenn wir nicht den zivilen Wiederaufbau in den Vordergrund stellen. Militärische Lösungen – das hat man eigentlich seit Jahrzehnten gesehen – funktionieren in Afghanistan nur ganz begrenzt.

    Barenberg: Es gibt noch offene Fragen, sagen Sie. Womit sind Sie nicht zufrieden, mit welchen Aspekten dieser neuen Konzeption?

    Jamann: Na ja, zunächst mal wird ja gar nicht gesagt, wie denn diese zusätzlichen Mittel umgesetzt werden sollen, und in der Vergangenheit wurde sehr stark darauf geachtet, dass ein Großteil des Wiederaufbaus durch Militärs, oder zumindest mit einer engen Verzahnung der militärischen Strategie durchgeführt werden. Da warten wir im Prinzip auch auf ein Signal, dass man stärker bedürfnisorientiert vorgehen will, dass man mehr auf dem Land arbeiten wird, da wo eigentlich die Not am größten ist, und dass man auch aktiv versucht, die Afghanen selbst, die afghanische Zivilgesellschaft in diesen Aufbau mit einzubeziehen, denn es geht ja nicht darum, hier Leuchtturmprojekte aufzubauen, ein paar Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen und dann im Prinzip wieder nach Hause zu gehen und zu hoffen, dass es dann funktioniert.

    Barenberg: Die Bundesregierung bleibt bei ihrem Konzept der sogenannten vernetzten Sicherheit, und das heißt eben auch, nicht nur dem zivilen Aufbau Vorrang zu geben, sondern es heißt auch, dass das Hand in Hand mit der Arbeit, den Einsätzen der Bundeswehr zu geschehen hat. Trifft das auf Ihre Zustimmung?

    Jamann: Ja. Ich glaube, man muss natürlich zunächst durchaus mal konzidieren. Wir haben ja die gleichen Oberziele. Wir wollen eigentlich gemeinsam eine entwickelte und sichere Gesellschaft in Afghanistan schaffen beziehungsweise stabilisieren. Die ISAF-Truppen, die Bundeswehr hat immer noch eine sehr hohe Akzeptanz in Afghanistan, einfach weil es den Afghanen extrem wichtig ist, dass deren Sicherheit gewährleistet wird. Aber nach unserer Einschätzung ist dieser Sicherheitsbegriff, den die Bundesregierung benutzt, vernetzte Sicherheit, einfach zu kurz gegriffen. Es geht nicht nur um den Schutz vor Taliban. Sicherheit bedeutet Sicherheit vor Hunger, vor Krankheit, vor Arbeitslosigkeit, politischer Gewalt und und und, und da muss im Prinzip ein Primat des zivilen Aufbaus vor militärischen Interessen stehen. Die Vernetzung in einem Hoch-Risikoland wie Afghanistan bedeutet natürlich auch, dass wir zunächst mal auch die Gefahr von Verwechselbarkeit eingehen. Unseren Mitarbeitern wird mittlerweile im Norden gesagt, sie werden gewarnt, arbeitet nicht für die Deutschen, Schulen werden attackiert, die besonders durch die militärischen Wiederaufbauteams aufgebaut wurden. Das sind alles Tendenzen, die uns da sehr, sehr vorsichtig machen.

    Barenberg: Nun hat der Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel ja angekündigt, dass es künftig Hilfsleistungen vor allem dort geben wird und soll, wo die Bundeswehr auch militärisch engagiert ist. Trifft das Ihre Zustimmung, gehen Sie da mit?

    Jamann: Ja, das ist meiner Meinung nach eine Umkehrung dessen, was Entwicklungszusammenarbeit leisten soll. Er hat natürlich auch gleichzeitig gesagt, die Entwicklungszusammenarbeit soll nicht militarisiert werden, und wir hoffen, dass er sich bei diesem Wort auch packen lässt. Wir arbeiten Entwicklungszusammenarbeit in Ländern oder in Regionen, wo die Bedürftigkeit, die Not am größten ist, und in dem Moment, wo wir das verzahnen mit einer militärischen Strategie, verlieren wir unsere Neutralität.

    Wir sind auch nicht der Meinung, dass Entwicklungszusammenarbeit durch Militärs oder militärisch dominierte Wiederaufbauteams durchgeführt werden sollte. Das ist eine andere Art von Aufbauhilfe, die dort geleistet ist. Das funktioniert unserer Meinung nach nicht.

    Barenberg: Sie haben ja auch in der Vergangenheit gesagt, Herr Jamann, dass Sie keinen militärischen Schutz benötigen und auch nicht wünschen, dass die Verzahnung schädlich ist und dass sie auch gefährlich ist.

    Jamann: Die Welthungerhilfe hat einige Mitarbeiter verloren in Regionen, wo die Bundeswehr oder die ISAF sehr stark war. Wir haben andererseits die Erfahrung, dass wir in vielen Regionen immer noch arbeiten können. Natürlich ist es so, es gibt auch in Afghanistan Regionen, wo zivile Akteure sich einfach nicht mehr bewegen können. Aber gleichzeitig haben wir festgestellt, dass unsere Arbeit nicht durch die Armee geschützt werden kann, nicht durch die Truppen geschützt werden kann, das kann uns niemand garantieren, dass einer unserer Mitarbeiter wieder auf einer Sprengfalle stirbt und ums Leben kommt, wie im letzten Jahr im Juli.

    Unser Schutz, der beste Schutz ist die Akzeptanz durch die afghanische Gesellschaft. Das merken wir in Afghanistan und in anderen Risikoländern. Diese Akzeptanz haben wir nur, wenn wir Vertrauen schaffen, wenn uns die Menschen vor Ort wahrnehmen als das, was wir sind, als jemand, der ihnen hilft, aus der Armut herauszukommen, und nicht als jemand, der militärische Interessen verfolgt.

    Barenberg: Und das heißt auch, Herr Jamann, diese Akzeptanz, dieses Vertrauen ist nicht herzustellen, wenn Sie in ein Dorf kommen, Seite an Seite mit Uniformierten, die die Waffe im Anschlag haben, sage ich mal?

    Jamann: Ja, ich glaube, dieses Bild, das natürlich das ganze etwas überspitzt darstellt, ist schon eigentlich ein gutes, um zu verdeutlichen, um was es uns da geht. Wenn wir die afghanische Zivilgesellschaft fördern wollen und gleichzeitig die Botschaft aussenden, das geht eigentlich alles nur mit Waffengewalt, dann machen wir was verkehrt. Wir machen diese Erfahrung, dass wir besser arbeiten können, wenn wir nicht mit militärischen Aktionen identifiziert werden. Das ist einfach eine Beobachtung, die wir über Jahre gemacht haben, und da brauchen wir im Prinzip ein Stück Armeslänge Distanz, was nicht heißt, dass die Bundeswehr nicht durchaus eine Rolle zu spielen hat. Wie gesagt, es gibt eine gewisse Akzeptanz der afghanischen Bevölkerung, wir brauchen die Bundeswehr vor Ort sicherlich noch über einige Jahre, aber bitte nicht als Aufbauhelfer.

    Barenberg: Wie müssen wir uns diese Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit, in der Kooperation mit der Bundeswehr denn vorstellen? Können Sie uns ein Beispiel schildern, um das ein bisschen plastischer zu machen?

    Jamann: Wir haben keine Schwierigkeiten in der Kooperation mit den Militärs. Die Welthungerhilfe arbeitet mit Militärs zusammen. Wir stimmen uns ab. Auch in anderen Ländern, jetzt gerade in Haiti, haben wir UN-Blauhelme, die dafür sorgen, dass bei Verteilungen Recht und Ordnung herrschen. Allerdings ist eben in Afghanistan als Hoch-Risikoland, das sich in einem Krieg befindet, die Situation eine andere. Wir können es uns einfach im Interesse auch der Sicherheit unserer Mitarbeiter nicht leisten, dass die Welthungerhilfe, dass zivile Akteure wahrgenommen werden als Teil einer militärischen Strategie. Wie auch immer man zu dieser militärischen Strategie stehen mag – dazu habe ich eigentlich gar keine professionelle Meinung, ich bin kein Soldat -, aber wir haben andere Aufgaben und dürfen hier nicht verwechselt werden. Das ist das Hauptproblem.

    Barenberg: Welche Konsequenzen werden Sie ziehen, wenn der Minister dabei bleibt, dass es Gelder zukünftig nur noch geben soll, wenn man mit der Bundeswehr zusammenarbeitet?

    Jamann: Die Welthungerhilfe ist ja eine nichtstaatliche Organisation. Es gibt eine Reihe von staatlichen Vorfeldorganisationen, die da, glaube ich, viel stärker auch angewiesen sind auf Finanzierung durch die Bundesrepublik. Wir wünschen uns natürlich, dass wir trotz allem diese Interessen gemeinsam verfolgen, dass staatliche und nichtstaatliche Akteure Akzente dort setzen, wo die Not am größten ist, wo übrigens auch das Entwicklungspotenzial am größten ist. Wir arbeiten in Regionen, wo wir als Welthungerhilfe ganz erfolgreiche Projekte durchführen, zum Beispiel als Alternative zum Drogenanbau. Ich denke, auch das ist im Interesse der internationalen Gebergemeinschaft. Die Welthungerhilfe wird auch finanziert durch Spenden. Wir hoffen, dass wir unsere Arbeit mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln trotz allem durchführen wollen, weil wir denken, wir gehören nach Afghanistan, wir müssen dort arbeiten, wir machen da einen Unterschied für die Menschen.

    Barenberg: Der Generalsekretär der deutschen Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann. Danke schön!

    Jamann: Ich danke Ihnen.