Andreas Eggert war sieben Mal in Afghanistan – zum Schluss als Oberstabsfeldwebel.
"Meine Frau hatte immer ein großes Verständnis dafür, dass ich in die Einsätze gehe. Wir hatten auch ein Arrangement, dass wir nicht darüber sprechen, was ich dort erlebt habe, und wir haben versucht, das auszublenden und den Alltag relativ normal zu gestalten."
Doch von Normalität konnte immer weniger die Rede sein, wenn er mal wieder bei seiner Familie war:
"Weil ich mit dem Kopf nicht richtig zu Hause angekommen bin und nicht einschätzen konnte, woher kommt die Gefahr. Für mich fühlte sich in Deutschland alles gefährlich an, und ich war froh, wieder in den Einsatz zu gehen und das Gefühl war auch so bei meiner Familie; weil, wenn ich zu Hause war, war Stress, weil ich immer sehr unter Anspannung stand. Ich fühlte mich nicht sicher, ich fühlte mich erst wieder sicher als ich im Einsatz war. Da hatte ich eine Waffe und ich wusste, wer ist der Feind und von wo kommt der Feind. Und das wusste ich zu Hause nicht mehr."
Andreas Eggert engagiert sich heute im Bund Deutscher Einsatzveteranen. In der Therapie habe er mühsam lernen müssen, sich in Deutschland wieder entspannen zu können. Aber er habe bis heute Wesentliches von dem, was er am Hindukusch erlebt habe, seiner Frau nicht erzählen können.
"Dieser Einsatz war sinnlos"
Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine Folge dessen, was er im Einsatz erlebt habe: Bilder, Gerüche, Geräusche, die sich nicht verdrängen lassen.
"Ich selber war eingesetzt im Bereich der Informationsgewinnung und habe dort mit Afghanen gesprochen, außerhalb des Lagers. Und diese Afghanen sind über die Dauer des Kontaktes, über die Jahre für mich zu Freunden geworden - und diese Freunde wurden letztlich auf schlimme Art und Weise hingerichtet von Taliban, weil festgestellt wurde, dass sie Kontakt haben mit Deutschen.
Und er hat vor Ort erlebt, wie andere deutsche Soldaten getötet wurden.
"Dann der Verlust von Kameraden, mit denen man den Abend zuvor noch verbracht hat, und am nächsten Tag sind sie nicht mehr da und drei Tage später werden sie auf dem Transporter im Sarg aufs Rollfeld gefahren und man steht am Rand und salutiert.
Nun, nach der schnellen Machtübernahme durch die Taliban, zweifelt er grundsätzlich an dem Sinn des Auslandseinsatzes:
"Dieser Einsatz war umsonst, unsere Toten waren umsonst. Unser Engagement der letzten 20 Jahre war damit sinnlos. Umsonst in dem Sinne, dass ch nicht erkennen kann, dass die Ziele, die wir uns gesetzt hatten - Stabilität und Sicherheit reinzubringen - erreicht wurden. Die Islamisten haben die Macht in dem Land. Wir sind alle überrascht davon, dass die afghanische Armee das Ganze so schnell aufgegeben haben, ihre Waffen niederlegt haben und nun die Taliban mit modernsten Waffen und Fahrzeugen ausgestattet sind, die selbst die Bundeswehr in dem Maße nicht verfügbar hat, weil alles nach dem Abzug vor Ort gelassen wurde. Das macht mir große Sorgen für die Zukunft. Auch wenn die Taliban sagen, sie möchten kooperieren und die Menschen in Frieden lassen. Da glaube ich nicht dran. Dieser Einsatz war sinnlos, unsere Toten waren sinnlos."
Mit Blut erkämpfte Freiheitsräume
Das sieht Joachim Simon anders. Der Militärdekan ist zuständig für die Auslandseinsätze der katholischen Militärpfarrer. Auch er war mehrmals in Afghanistan.
"Umsonst war der Einsatz nicht, sinnlos auch nicht. Es ist immerhin gelungen, für eine Generation Lebensbedingungen an bestimmten Orten zu schaffen, an denen Menschen wieder Möglichkeiten hatten, eine Ausbildung zu bekommen. Jungs und Mädchen, die damals als Schulkind das Ende der Talibanherrschaft erlebt haben, können heute Akademiker und Akademikerinnen geworden sein. Ob die Taliban nicht auch gelernt haben in diesen 20 Jahren, dass es ganz sinnvoll ist, wenn ihre Frauen von einer Frauenärztin behandelt werden und nicht von einem Mann - da kann man nur hoffen, dass sie in ihren Gedanken weitergekommen sind. Insofern war es nicht vergebens."
Der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg ordnet den Auslandseinsatz so ein: "Die Sinnhaftigkeit, in 20 Jahren eine gewisse Freiheit erlangt zu haben, bleibt. Aber es ist natürlich erschreckend und dramatisch, wie schnell diese Freiheitsräume, die mit viel Blutvergießen und Kraftaufwand hergestellt worden sind, jetzt wieder zusammengebrochen sind."
"Die triggern ganz extrem auf diese Bilder"
Für die Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan gekämpft haben, ist der schnelle Sieg schwer zu verkraften. Das sagt zumindest Dunja Neukam vom Bund Deutscher Einsatzveteranen:
"Für mich ist es schon so, dass ich wütend und traurig und fassungslos bin, ein Gefühlschaos. Ich habe mit Kameraden und Kameradinnen gesprochen, die traumatisiert sind nach den Einsätzen. Für die ist es ein Rückschritt in ihrer Heilung. Die triggern ganz extrem auf diese Bilder, die haben wieder Schlafprobleme, müssen Medikamente nehmen. Auch die Hinterbliebenen stellen sich noch mehr die Sinnfrage."
Militärseelsorge - "eine Stütze im Einsatz"
Der Einsatz in Afghanistan war für die meisten Soldatinnen und Soldaten eine große Belastung. Eine Hilfe vor Ort im Lager der Bundeswehr war für viele die Militärseelsorge. Andreas Eggert erzählt:
"Selbst wenn man nicht getauft ist, wie ich, und weder einer evangelischen noch einer katholischen Richtung angehört, war die Militärseelsorge ein ganz wichtiger Faktor vor Ort für alle Kameraden. Weil die Militärpfarrer vor Ort, die hatten noch mal einen anderen Zugang zu den Soldaten außerhalb des Systems der Bundeswehr. Ein Truppenpsychologe, der immer da ist für die Kameraden, wird eigentlich nicht so regelmäßig in Anspruch genommen wie der Militärpfarrer, der ein offenes Ohr hat, und wo die Soldaten auch einfach mal verschnaufen können."
Eine Erfahrung, die auch Dunja Neukam bestätigen kann. Auch sie war als Soldatin mehrmals in Afghanistan:
"Der Militärpfarrer war ganz wichtig, und man hat immer das Gespräch gesucht, und man hat auch gespürt, wie wichtig das den Menschen ist, auch wenn die jetzt nicht getauft waren oder eine andere Glaubensrichtung hatten, da war die Militärseelsorge eine Stütze im Einsatz. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es einen Einsatz ohne Militärseelsorge geben könnte."
Für Dunja Neukam war der Kontakt zu den MilitärseelsorgerInnen wie eine Auszeit aus dem Krieg.
"Im Einsatz ist es wichtig, dass man für sich selbst so eine Sicherheit hat. Und diese Sicherheiten sind die kleinen Rituale, weil es hat was mit dem normalen Leben zu Hause zu tun. Wenn jemand gern in die Kirche geht, und der kann auch im Einsatz in die Kirche gehen, dann macht es was mit einem. Es ist wie zu Hause. Es ist ein Stück Normalität."
Kritische Solidarität
Die Arbeit der Militärseelsorge ist in den Kirchen umstritten. Die Militärpfarrer und –pfarrerinnen leisten einen Beamteneid und sie werden vom Staat bezahlt. In den Kirchen spricht man von einer "kritischen Solidarität" mit der Armee. Dekan Joachim Simon sagt:
"Wir können die Leute in ihrer Notlage nicht allein lassen. Das heißt nicht, dass man zu allem Ja und Amen sagen muss oder sich zum Büttel des Staates macht, aber Seelsorger heißt auch, da zu sein, wenn Menschen im Konflikt sind."
Der katholische Militärdekan verweist darauf, dass gerade im Auslandseinsatz für viele Soldatinnen und Soldaten die Militärseelsorge wie eine Oase sei.
"Grundsätzlich glaube ich, dass alles in dieser Situation fern der Heimat wichtig ist, dass alles willkommen ist, was ein bisschen Heimat in der Fremde bewirken kann. Und die katholische Kirche kann da durchaus was anbieten."
"Grundsätzlich glaube ich, dass alles in dieser Situation fern der Heimat wichtig ist, dass alles willkommen ist, was ein bisschen Heimat in der Fremde bewirken kann. Und die katholische Kirche kann da durchaus was anbieten."
"Ich bin eine Art Joker"
Wobei die Arbeit der Militärseelsorge sehr stark ökumenisch geprägt ist. Entscheidend sei, dass man als Seelsorger immer ansprechbar sei, sagt die evangelische Militärpfarrerin Alexandra Dierks, die ebenfalls Soldaten im Auslandseinsatz begleitet hat:
"Ich bin so eine Art Joker. Meine Dienststelle ist wie die Schweizer Botschaft. Da dürfen alle Soldaten Mensch sein, alle Dienstgradgruppen, völlig egal wer kommt, die sind alle mit mir auf Augenhöhe, weil ich dienstgradneutral bin."
Das sei in einer stark auf Hierarchie und Gehorsam angelegten Organisation wie der Bundeswehr ganz wichtig.
"Meine Verschwiegenheitsverpflichtung gilt absolut. Ich muss nichts irgendwem melden, und alle Soldaten können sich komplett darauf verlassen, dass ich nichts weitergebe, was ich nicht weitergeben soll."
Beide großen Kirchen betonen nun, dass nach dem Debakel der Afghanistan-Einsatz aufgearbeitet werden müsse. Der katholische Militärdekan Simon:
"Militärische Auslandseinsätze sind immer schwierig. Ich wäre für größere Zurückhaltung der Politik."
Der Friedensbeauftragte der EKD Renke Brahms wird noch deutlicher: "Der Afghanistan-Einsatz zeigt, dass durch solche Einsätze die Situation in den Ländern nicht gelöst werden kann. Es gibt keine militärische Lösung. Man muss jetzt lernen, in Bezug auf Mali. Wenn man die politische Situation in Mali erkennt, dann macht es deutlich, dass solche Einsätze nicht wirklich zum Erfolg führen."