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"Mindbombing"
Wie Gegenwartskunst visuelle Propaganda dekonstruiert

Der Sturm auf das Kapitol in Washington durch Trump-Anhänger war nicht zuletzt ein Ereignis von ungeheurer Bildmacht. Wie reagiert die Bildende Kunst auf inszenierte Medienbilder, sogenannte "Mindbombs"? Dekonstruierend, erklärt der Kunsthistoriker Sebastian Baden.

Von Carsten Probst | 29.01.2021
Trump-Unterstützer mit US- und Trump-Flaggen stehen im Kapitol.
Bildmächtig inszeniert: Trump-Anhänger dringen ins demokratische Zentrum der USA vor (AFP / Saul Loeb)
"Storming of the mind" – "Erstürmung der Gedanken", so betitelte Rob Hunter in den 1970er-Jahren seine Strategie, politische Botschaften unter die Leute zu bringen. Damals ging es um Umweltschutz. Rob Hunter war Werbegrafiker, vor allem aber war er einer der Gründer von Greenpeace. Als solcher ersann er gefährliche und vor allem spektakuläre Aktionen, auf hoher See zum Beispiel gegen den Walfang. Sie wurden von seinen Mitstreitern gefilmt und die Bilder anschließend an die Medien lanciert.

Mit Gedankenbomben maximale Aufmerksamkeit erregen

"Mindbombs", "Gedankenbomben" nennt man solche Aktionen in der Medientheorie, die das Publikum an den heimischen Bildschirmen mit inszenierten Gefahrensituationen konfrontieren sollen, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen. Und dieses Mittel wussten alsbald auch politische Extremisten für sich zu nutzen.
Ein Kunstwerk von Ai Weiwei, as eine Überwachungskamera aus Marmor darstellt, in der Ausstellung "Age of Terror: Art since 9/11" im Londoner Imperial War Museum.
Von 9/11 bis Afghanistan - Wie Künstler mit Krieg und Terror umgehen
Darf man Krieg und Terror zum Gegenstand der Kunst erklären und damit Leid und Zerstörung künstlerisch gestalten? Ja, sagt Sanna Moore, Kuratorin der Ausstellung "Age of Terror. Art since 9/11" und präsentiert teils sehr persönliche Arbeiten internationaler Künstler in London.
"Wir wissen aus den Schriften der RAF, die auch von Horst Mahler verfasst wurden, dass diese linksextreme terroristische Gruppe sich auch als 'Gedankenkrieger' bezeichnet hat. Das bedeutet, seit den siebziger Jahren und mit Entwicklung der neuen Medien wie Fernsehen vor allem ist eben die Mindbomb ein besonderes Element in der Kommunikationsstrategie von politischer Gewalt geworden", sagt der Kunsthistoriker Sebastian Baden, der zum Thema Terrorismus und Bildkultur geforscht hat.

Geplante Eskalation der Bilder

Die einst erhoffte "Erstürmung der Gedanken" durch Greenpeace hat durch den Sturm auf das Kapitol in Washington durch Trump-Anhänger jüngst eine bestürzende Aktualisierung erfahren. Das Vordringen der Trumpisten ins demokratische Zentrum, ihre Verkleidungen und viral gegangenen Fotos von besetzten Büros und Tagungssälen entsprechen einer von langer Hand geplanten Eskalation der Bilder, um in die Köpfe des Publikums vorzudringen, so wie einst auch beim medialen Kalkül von Islamisten seit 9/11.
"Es ist somit ein 'sensation marketing' der Demokratiegegner, was wir hier beobachten. Das ist gefährlich, und es funktioniert im Sinne der Mindbomb-Werbestrategie. Die bürgerlichen Zuschauer bekommen es mit der Angst zu tun, weil eine bewaffnete Gruppe die allgemeine Sicherheit bedroht und somit die Frage aufwirft: Wo ist heute eigentlich noch Sicherheit gegeben?"
Ein Demonstrant sitzt am Schreibtisch von Nancy Pelosi.
Sturm auf US-Kapitol - Kunsthistoriker: Bilder wie aus dem Irakkrieg
Trump-Anhänger sahen beim Sturm auf das US-Kapitol mit Fellen am Körper und Hörnern auf dem Kopf teils bedrohlich aus. Sie besetzten Abgeordnetenbüros, legten ihre Füße auf Tische – wie auf Bildern aus dem Irakkrieg, sagte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp im Dlf.

"Gute Kunst reproduziert nicht die visuelle Propaganda"

Auffallend ist: Kunst hat der Eindringlichkeit und Gewalt solcher Mindbombs, die sich im Langzeitgedächtnis festsetzen, kaum Vergleichbares entgegenzusetzen. Wäre sie nicht gerade berufen, in historisch heiklen Situationen wie der drohenden gesellschaftlichen Spaltung demokratische Werte bildmächtig zu verteidigen?
"Gute Kunst reproduziert nicht die visuelle Propaganda, sondern sie macht deren Funktion und Besonderheit erst deutlich", ist Sebastian Baden überzeugt und nennt aktuelle Beispiele:
"Wenn man die Installation von Kader Attia 'The Culture of Fear' aus dem Jahr 2013 betrachtet, sieht man, wie die Ursprünge dieser Bildpropaganda in der Medienrevolution des 19. Jahrhunderts entstanden sind und Zeitungen, Nachrichtenmagazine über sensationelle Titelbilder dazu führen, solche aggressiven Botschaften zu verbreiten. Und Morehshin Allahyari hat zum Beispiel vom Islamischen Staat demolierte assyrische Skulpturen mit einem 3D-Verfahren rekonstruiert und somit die Erinnerungskultur reanimiert. Man kann sagen, Mindbombs lassen sich also auch umkehren."

Gerhard Richters RAF-Zyklus

Die Aufzählung ließe sich beträchtlich erweitern, auch um prominente Beispiele wie den sogenannten "RAF-Zyklus" des Malers Gerhard Richter vom Ende der 1980er-Jahre oder um die junge Zwickauer Künstlerin Henrike Naumann, die mit ihren aktuellen Möbel-Installationen die Lebens-Welten von Rechtsradikalen nachbaut und sie so zu bannen versucht.
Zahlreiche Beispiele von Kunst gegen die unheilvolle Allianz von Medienprofit und Mindbombing will Sebastian Baden im Spätsommer in einer Ausstellung der Kunsthalle Mannheim versammeln – und so die Kunstgeschichte als Abwehrschild gegen mediale Überwältigungsstrategien aktivieren.