Donnerstag, 25. April 2024

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Minderheitsregierung in Thüringen
Haushalt als Lackmustest

Seit zwei Jahren gilt Höchstspannung im Erfurter Landtag. Nach den Wahlen 2019 hatte es nicht mehr für Rot-Rot-Grün gereicht. Ministerpräsident Bodo Ramelow kam erst nach schweren Turbulenzen wieder ins Amt. Nun laufen die Haushaltsberatungen im Parlament - und die Oppositionsparteien gehen in die Konfrontation.

Von Henry Bernhard | 22.10.2021
Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, sitzt im Plenarsaal des Thüringer Landtags.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat keine ganz einfache Position in seinem Bundesland. (dpa / picture alliance / Martin Schutt)
"Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete, zumindest die Sonne steht auf Seiten der Finanzministerin."
Die Finanzministerin Heike Taubert, SPD, tritt an diesem Freitagmorgen scheinbar gelöst vor den Thüringer Landtag.
"Ja, meine Damen und Herren, die Landesregierung legt heute einen zukunftsfesten Haushalt vor. Wir steigern die Digitalisierung, wir haben ausreichend Ausgaben, Ausgaben und Aufgaben, Entschuldigung, ich fange noch mal von vorne an. Sehr geehrte Damen und Herren, wir legen als Landesregierung heute einen Haushalt vor, der zukunftsfest ist."
Dass die Ministerin schon in den ersten Sätzen strauchelt, mag Zufall sein. Die Unsicherheit könnte aber auch andere Gründe haben. Denn Taubert ist Finanzministerin einer fragilen Minderheitsregierung. Sie ist die erste Finanzministerin einer deutschen Nachkriegsregierung, die einen Haushalt vorlegen muss, ohne dass klar ist, wie und ob eine Mehrheit für diesen Haushalt zustande kommt.
Die Gründe dafür liegen zwei Jahre zurück. Bei den Landtagswahlen 2019 hatte es nach fünf Jahren gemeinsamer Regierungszeit nicht mehr für Rot-Rot-Grün gereicht. Thüringen musste neue Wege gehen, aber es dauert bis zum Januar 2020, bis eine Lösung gefunden schien:
"Ja, schönen guten Tag erstmal ihnen allen."

Eine Wahl, die keine klassische Koalition zugelassen hatte

Susanne Hennig-Wellsow, damals, im Januar 2020, Fraktions- und Landeschefin der Thüringer Linken, trat gemeinsam mit den Spitzen der Sozialdemokraten und Grünen vor die Presse. Ein Vierteljahr nach der Landtagswahl im Oktober 2019 hatten sie endlich einen Plan, wie man mit dem Ergebnis der Wahl umgehen sollte, einer Wahl, die keine klassische Koalition zugelassen hatte.
"Ehrlicherweise freue ich mich sehr und bin auch ein bisschen aufgeregt, dass wir heute wieder neue gemeinsame Wege miteinander präsentieren können und ihn heute den ersten Koalitionsvertrag einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, also auf dem Weg dahin, präsentieren zu können."
Der Optimismus war groß, aber wie sich zeigen sollte, unbegründet. Linke, SPD und Grüne sollten im Frühjahr 2020 keine Minderheitsregierung bilden, denn es kam alles anders als geplant. Der Landtag wählte nicht Bodo Ramelow, sondern den Liberalen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD, wie deren Co-Chef Stefan Möller bestätigte.
"Wir haben also versucht, Herrn Kemmerich als Gegenkandidaten überhaupt erstmal aufs Podium zu locken. Das hat er auch gemacht. Und dann haben wir ihn planmäßig gewählt."
"So wahr mir Gott helfe."

Das Kemmerich-Debakel

Kemmerich, Vorsitzender einer FDP, die mit 73 Stimmen über der 5-Prozent-Hürde gerade so in den Landtag gekommen war, trat zwei Stunden nach seiner Wahl am 5. Februar 2020 überrumpelt, ohne Kabinett, aber voller Zuversicht ans Rednerpult im Landtag.
"Wir werden ein kompetentes und vielfältiges und sachbezogenes Kabinett aufstellen. Wir sprechen eine Einladung an CDU, SPD und Grüne aus, gemeinsam staatspolitische Verantwortung für Thüringen wahrzunehmen."
Björn Höcke, AfD Thüringen (rechts) gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas L. Kemmerich (FDP).
Nach der Thüringen-Wahl - Standpunkte der Parteien und Einschätzungen von Experten
Die umstrittene Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD hat bundesweit politische Turbulenzen ausgelöst – in den Parteien werden die Konsequenzen heiß diskutiert.
"Niemals" tönte es von Seiten der Linken, Grünen und Sozialdemokraten, "Heuchler", und "Scharlatan"! Die Thüringer CDU wähnte sich da noch am Ziel ihres Plans, den Linken Bodo Ramelow aus der Staatskanzlei zu vertreiben, Rot-Rot-Grün zu ersetzen. Ihr damaliger Vorsitzender Mike Mohring sagte wenige Minuten nach der Wahl:
"Wir fühlen uns überhaupt nicht ausgetrickst. Wir haben uns für den Kandidaten der Mitte entschieden als CDU-Fraktion. Und Thomas Kemmerich ist jetzt in der Verantwortung, eine Politik für die Mitte in unserem Land zu machen."
"Kemmerich, wir woll’n dich nicht! Kemmerich, wir woll’n dich nicht!"

Solider Übergang hin zu Neuwahlen

In der Tat gelang es dem FDP-Politiker Kemmerich nicht, eine Regierung zu bilden. Zu groß waren die Widerstände auf der Straße, in der Öffentlichkeit, im Parlament, in den Parteizentralen in Berlin gegen einen Kandidaten, der mit den Stimmen der AfD ins Amt gehoben worden war.
Einen Monat später wurde Ramelow dann doch zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Verabredung hieß: Eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung bleibt für ein Jahr im Amt, verabschiedet gemeinsam mit der CDU einen Haushalt und sorgt so für einen soliden Übergang hin zu Neuwahlen. Ein Kompromiss: Die SPD hatte für schnelle Neuwahlen geworben, die CDU wollte nach dem Kemmerich-Debakel und angesichts desaströser Umfrageergebnisse lieber gar keine. So also einigten sich die Beteiligten auf ein Jahr rot-rot-grüne Minderheitsregierung auf Basis eines so genannten "Stabilitätsmechanismus".
Faktisch eine Duldungsvereinbarung, ein Begriff, den die CDU allerdings peinlichst vermied, um den Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei mit den Linken nicht allzu offensichtlich zu verletzen "und dementsprechend sind und natürlich auch die Grundsatzbeschlüsse unserer Partei bewusst. Und gleichzeitig werden wir als Demokraten für stabile Verhältnisse im Freistaat sorgen."
Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis90/Die Grünen, l-r), Steffen Dittes (Die Linke), und Matthias Hey (SPD), alle Vorsitzende ihrer Landtagsfraktionen, geben ein Statement ab im Thüringer Landtag. Wenige Tage vor der geplanten Landtagsauflösung am 19. Juli nehmen Linke und Grüne ihre Unterschriften unter einem Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments zurück. Die nötige Zweidrittelmehrheit sei nicht gesichert, begründeten die Fraktionschefs die Entscheidung. Die Auflösung ist die Voraussetzung für die Neuwahl des Landtags, die bisher für den 26. September zusammen mit der Bundestagswahl vorgesehen war.
Minderheitsregierung in Thüringen - Politologe Brodocz sieht Problem der Oppositionsfähigkeit
Nach der Entscheidung, den Thüringer Landtag doch nicht aufzulösen, sind die geplanten Neuwahlen geplatzt. Zwar gebe es im Parlament eine Mehrheit aufseiten der Opposition, doch mit der funktioniere das Regierungssystem nicht, so der Politologe André Brodocz im Dlf.

Die fest vereinbarte Neuwahl fiel aus

Die Duldung, die nicht so heißen durfte, lief ein gutes Jahr, durchaus nicht ohne Erfolge. Man einigte sich auf einen Haushalt, brachte auch andere Gesetze lagerübergreifend durch den Landtag, gab der AfD keine Chance zur Obstruktion.
Nur, die fest vereinbarte Neuwahl fiel aus. Vier Christdemokraten, aber auch zwei Linke verweigerten im Juli dieses Jahres mit Verweis auf ihr Gewissen die Zustimmung zur Auflösung des Landtages. Für Georg Maier, den Innenminister von der SPD, eine herbe Enttäuschung.
"Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass bei den Linken dann auch Leute abgesprungen sind, fand ich persönlich sehr, sehr bedauerlich. Es bleibt halt wirklich zurück, dass man an den Posten klebt. So höre ich das jetzt auch aus der Bevölkerung raus. Dass sowohl CDU als auch Linke jetzt sehr froh sind, dass sie nicht gewählt haben und dass sie den Abweichlern dankbar sein sollen und so weiter. Man hat jetzt noch mal drei Jahre Zeit geschenkt bekommen als Abgeordneter. Es war für mich sehr enttäuschend. Das hat schon Spuren hinterlassen."
Die erst versprochene und dann abgesagte Neuwahl gab der AfD die Möglichkeit zu neuen Spielen: Sie stellte einen Misstrauensantrag gegen Ministerpräsident Bodo Ramelow. Als Gegenkandidat ließ sich Björn Höcke aufstellen, der vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist unter Beobachtung gestellte Rechtsaußen der AfD.

Die CDU verweigert sich

"Es ist leider so, dass die CDU von einer bürgerlich-konservativen Partei zu einer mutlosen, dem Zeitgeist sich unterwerfenden Partei in den letzten Jahren und Jahrzehnten degeneriert ist. Es gibt keinen politischen Gestaltungswillen mehr, sondern sie wollen einfach nur noch Politik, Verwaltung betreiben, um ihre Pfründe zu sichern und in die Zukunft zu retten."
Die Aufmerksamkeit war der AfD sicher. Die CDU, die eine weitere Zusammenarbeit mit Rot-Rot-Grün ausschloss, aber auch eine Neuwahl verhinderte, verweigerte sich dann auch noch der Abstimmung über das Misstrauensvotum gegen Ramelow und blieb bei der Abstimmung sitzen. Die Sozialdemokratin Diana Lehman warf der CDU vor, sich in die Spiele der AfD einspannen zu lassen.
"Wenn wir ganz ehrlich sind, wissen wir: es gibt genau einen Grund, warum sie sich so verhalten, wie sie es tun. Sie haben Angst, aus ihrer Fraktion stimmt jemand für Björn Höcke."
Erwartungsgemäß bekam Höcke nur die Stimmen seiner eigenen Fraktion.
"Somit bleibt Herr Abgeordneter Bodo Ramelow Ministerpräsident des Freistaats Thüringen."
"Und wir als Landesregierung sind darauf angewiesen, Mehrheiten im Parlament zu suchen, dass ab sofort mit fünf Fraktionen gearbeitet wird."

Wieder alles auf Anfang

Damit stand in Thüringen für die rot-rot-grüne Minderheitsregierung wieder alles auf Anfang: Vier Stimmen fehlen, die man sich von der CDU und/oder der FDP erhofft. Letztere hat mit dem Abgang einer Abgeordneten den Fraktionsstatus verloren. Und damit erhebliche Rede-, Initiativ- und Antragsrechte im Landtag, ganz zu schweigen von Zulagen, Mitarbeitern, Dienstwagen.
Vorerst aber wird sich an den Verhältnissen im Thüringer Landtag nichts ändern. Denn die CDU will, obwohl CDU-Abgeordnete es waren, die eine Neuwahl mit verhindert haben, die formelle Duldung der Minderheitsregierung keinesfalls verlängern, was wiederum den Fraktionschef der SPD, Matthias Hey, sehr ärgert.
"Weil die CDU gesagt hat: So etwas wie eine Art Stabilitätsmechanismus oder eine irgendwie geartete Vereinbarungen mit euch schließen war einfach nicht ab, weil wir es einfach nicht wollen."
Das, so Hey, sei Gift für das Arbeiten und die Debatte im Landtag, vor allem für die Verabschiedung des Landeshaushaltes, die nun begonnen hat.
"Wenn das jetzt eine Schicksalsgemeinschaft ist, die bis 2024 zusammenbleiben muss, dann ist nämlich die nächste reguläre Wahl, da müssen wir uns auch an einen Tisch setzen und uns in die Augen gucken und fragen, wie das gehen soll. Und deswegen brauchen wir ein paar Spielregeln, die für alle gelten und nicht einfach eine Verweigerungshaltung, wo gesagt wird, "aber mit Rot-Rot-Grün wird nicht gespielt".
Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, spricht über die Ergebnisse einer Videokonferenz mit seinen Länderkollegen und der Bundeskanzlerin
Nach Ende des "Stabilitätsmechanismus" - Wie geht es nun weiter in Thüringen?
Nach einer Regierungskrise im Februar in Thüringen wurde Bodo Ramelow (Die Linke) unter Duldung der CDU als Ministerpräsident wiedergewählt. Möglich macht das der sogenannte Stabilitätsmechanismus.
Der CDU-Fraktionschef, Mario Voigt, will da aber nicht einlenken. Aber er weiß auch um seine Verantwortung für das Land.
"Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass man miteinander redet. Wir wollen gegenüber der Minderheitsregierung ein Ansprechpartner sein, der nach konstruktiven Lösungen strebt. Und das machen wir aber aus einer Position der eigenen Stärke heraus, mit einem klaren Profil einer Partei der bürgerlichen Mitte zu sein."
Abgrenzung vor allem zur Linken, will Voigt damit sagen.
"Und dementsprechend wird es in dem Thüringer Landtag eben nur Beschlüsse geben aus Sicht der CDU-Fraktion, die auch tatsächlich gut für das Land sind und nicht irgendwie eine Fortschreibung einer Ideologiepolitik, die das Land bisher nicht erfolgreich vorangebracht hat. Aber eine Minderheitsregierung sollte auch zur Kenntnis nehmen, dass sie sehr viel dialogbereiter sein muss."

Für Thüringen gelang wenig Konstruktives

Die CDU-Landtagsfraktion ist allerdings angeschlagen und in Lager gespalten. Und bei der Bundestagswahl haben die Christdemokraten in Thüringen massiv Wahlkreise an AfD und SPD verloren. Momentan liegt die CDU, die einstige scheinbar ewige Regierungspartei, in Umfragen hinter AfD, SPD und Linken an vierter Stelle. Da geht es um Profilierung, wie hier auf dem Landesparteitag.
"Wir müssen dieses Bollwerk gegen diesen intellektuellen Linksrutsch sein. Das ist unsere Aufgabe."
Auf Seiten der Minderheitskoalition hätte man schon gern etwas Verbindliches von der CDU. Immerhin sind es bis zur nächsten regulären Landtagswahl noch drei Jahre hin. Zumal die vergangenen zwei Jahre der Legislatur hauptsächlich durch medienwirksame Machtspiele und die Bekämpfung der Corona-Pandemie geprägt waren; zwei Jahre, in denen wenig Konstruktives fürs Land gelang. Matthias Hey hofft noch auf ein Entgegenkommen der CDU und der FDP, die ja auch keine Neuwahl ermöglichen wollten. Da gäbe es grundsätzliche Fragen zu klären.
"Wie hältst du es mit der AfD? Wie ist es mit gemeinsamem Anträgen? Wollt ihr einbezogen werden in die Koalitionsarbeit, insoweit, als das Ministerien eher befragt werden können? Gibt es ein Vorwarnsystem, falls Ihr Gesetzentwürfe von uns erwartet oder umgekehrt wir von euch?"
Aber Fortschritte sieht der Fraktionschef der SPD noch nicht.
"Und da ist der Haushalt, der erste der große Lackmustest, ob das, was als Vereinbarung auf den Tisch liegt, überhaupt trägt und ob wir zumindest, auch wenn wir keine Mehrheit haben, mit einer bestimmten Stimmenanzahl aus dem anderen Lager außerhalb der AFD rechnen können, ob wir da ein Stück weit vorankommen."

"Die Reserven sind erschöpft"

Und dieser Lackmustest findet mit leeren Kassen statt.
"Sehr geehrte Damen und Herren, die Reserven sind erschöpft", sagte Finanzministerin Heike Taubert von der SPD zum Auftakt der Haushaltsberatungen.
"Noch immer gelingt es uns nur mit Rückgriff auf die Rücklagen und Fonds, wenn Sie so wollen, die Spardose des Landes, den Haushaltsplan auszugleichen. Wir haben Stand heute nahezu alle für das Land verfügbaren Ersparnisse aufgezehrt."
Und beim ersten Aufschlag wirkten CDU und FDP nicht, als wollten sie es dem Ministerpräsidenten Ramelow auf der Suche nach einer Mehrheit für den Haushalt leichtmachen.
"So funktioniert Finanzpolitik nicht. Das ist Voodoo-Finanzpolitik. Das brauchen wir in Thüringen nicht."
"Es ist eine Minderheitsregierung, da braucht man nichts vormachen, und nein, die Reserven sind aufgebraucht! Das ist doch bewusster Wille, bewusste Haushaltsführung, die Rücklage eben aufzulösen, den Pensionsfonds aufzulösen. Nochmals. Das ist eine Milliarde, die fehlt. Aber das ist nicht solide."
"Wenn das ihre Form von Angebot der Gesprächsführung ist, dann haben sie immer noch nicht begriffen, in welcher politischen Lage sie sich in diesem Land befinden. Sie sind Minderheit; und wenn sie Zustimmung in diesem Haushalt wollen, dann müssen sie auch tatsächlich begreifen, dass das mit diesem Haushalt nicht funktionieren wird."
"Dieser Haushalt, wie er vorliegt, ist nicht zustimmungsfähig. Und jetzt werden harte Verhandlungen stattfinden. Und wie das am Ende ausgeht, das setzt auch voraus, dass sie mit sich diskutieren lassen über die Frage der Zukunft dieses Landes, mit sich über finanzpolitische Solidität sprechen lassen. Und dass sie sich von Nischenprojekte verabschieden, die sie so lange vor sich hergetragen haben."
"Und deshalb wird unser Anspruch zumindest für die Freien Demokraten sein, dass wir nicht die Zukunft der Enkel der nächsten Generation jetzt in dem Jahre 22 verfrühstücken, weil wir irgendwie den Haushalt rumkriegen müssen."

Thüringer Schulen wurden zu Corona-Hotspots

Zwar schimmerte in der ersten Debatte auch ein Wille zur Einigung durch, doch die Verhandlungen zwischen Rot-Rot-Grün, CDU und FDP dürften schwierig werden. Dabei belastet das Land nicht nur die politische Konstellation im Landtag. Parallel zu den Haushaltsgesprächen steigt die Anzahl der Corona-Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Thüringen.
Und die Lage stellte die Minderheitsregierung auf eine ernste Probe. Der Wissenschaftliche Beirat hatte Impfen als zentralen Weg aus der Pandemie vorgegeben, eine Testpflicht an Schulen gab es in Thüringen nicht, der Bildungsminister von der Linken, Helmut Holter, hatte Präsenzunterricht an den Schulen als hohes Gut eingestuft:
"Alle sollen die Schule besuchen. Wir haben übrigens das durch das Justizministerium in Thüringens prüfen lassen, ob denn eine Testpflicht die Schulpflicht aushebeln kann. Das ist nicht so. Die Schulpflicht als grundgesetzlicher Auftrag steht über allem."
Als das Schuljahr begann, hatte Thüringen eine der niedrigsten Inzidenzen bundesweit. Jetzt hat es die höchste. Doch Holter blieb bei seiner Haltung, dagegen rebellierten SPD und Grüne, aber auch die Gewerkschaften, und die CDU-Opposition, die von "gesundheitspolitischen Geisterfahrer in der Landesregierung" sprach. Denn die Thüringer Schulen wurden zu Corona-Hotspots.
In der sichtlich aufgeladenen Situation, in der SPD und Grüne gegen die Linie des linken Bildungsministers standen, zog der Ministerpräsident das Thema an sich, und die Minderheitsregierung einigte sich darauf, dass nach den Herbstferien in den Schulen Thüringens wieder obligatorisch getestet wird. Der Haken: Auch Schüler, die die Tests verweigern, sollen nicht zu Hause bleiben, sagt der Minister.
"Die müssen sogar an der Schule bleiben. Sie sollen dann in einer gesonderten Lerngruppe zusammengefasst werden."

Ramelow hat viele Sympathien eingebüßt

CDU, SPD, Grüne und Gewerkschaften fragen sich nun, wie das praktisch aussehen soll, welche Lehrer in welchen Räumen die Testverweigerer unterrichten sollen, wo es doch in Thüringen ohnehin massiv an Lehrern mangelt und viel Unterricht ausfällt. SPD-Fraktionschef Matthias Hey:
"Ich sage aber auch, wenn man anhand der Spitzenreiter-Position, die Thüringen leider wieder in dieser Situation einnimmt, wenn man jetzt nicht versucht, auch politisch zumindest ein Stückweit entgegenzusteuern, geben wir in den nächsten Wochen der Pandemie mehr Raum, als es vielleicht notwendig wäre."
Die Auseinandersetzungen um die Corona-Politik reihen sich ein in eine Folge sprunghafter Entscheidungen der Rot-Rot-Grünen Landesregierung und ihres Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Ein Zickzackkurs, der dem einzigen linken Regierungschef in Deutschland viele Sympathien im Land gekostet hat.
Umso lieber widmet sich Ramelow nun auch repräsentativen Aufgaben. Ab 1. November übernimmt er für ein Jahr das Amt des Bundesratspräsidenten. Eigentlich ein Routine-Wechsel, seine Kollegen im Bundesrat haben ihn schon einstimmig gewählt. Aber Ramelow ist der erste Linke in diesem Amt.
Der Mann, der vor Jahren noch vom Verfassungsschutz überwacht, dessen erste Wahl zum Ministerpräsidenten 2014 mit großer Skepsis beäugt wurde, dieser Bodo Ramelow wird also den Bundespräsidenten vertreten, wenn der verhindert ist, wird mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr Staatsbesuche absolvieren, wird Reden im Namen der Bundesrepublik Deutschland halten.
"Rein rational weiß ich, dass Thüringen dran war. Emotional war es aber ein bedeutender Moment und ein mich auch bewegender Moment, in der Bundesratssitzung zu sitzen, als alle 16 Länder JA gesagt haben. Weil, das heißt auch, dass CDU, CSU, FDP alle den Respekt haben davor, dass die ungeschriebene Regel, dass es so läuft, eingehalten wird. Und umgekehrt haben sie nicht zu irgendjemand JA gesagt. Sie haben zu einem Kollegen JA gesagt, den sie seit sieben Jahren kennen. Und deswegen sage ich: Wir müssen aufhören mit diesen Feindbildern."
Bis zur nächsten regulären Landtagswahl in Thüringen sind es noch drei Jahre. Auch, wenn momentan, außer der SPD, keine Partei Lust auf eine vorgezogene Neuwahl hat, so sind drei Jahre doch eine lange Zeit für eine Minderheitsregierung. Und der nun eingebrachte Haushalt wird nur der erste von dreien sein, die auf diese Weise zustande kommen müssen.