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Minderjährige Rekruten bei der Bundeswehr
"Vor zwei Jahren hab' ich noch mit Playmobil gespielt"

Die Vereinten Nationen sind dagegen, Forscher warnen: Mehr als 2.000 minderjährige Soldatinnen und Soldaten arbeiten derzeit bei der Bundeswehr. Raus aus dem Elternhaus - rein in die Truppe. Was treibt diese Jugendlichen?

Von Anja Kempe | 23.08.2018
    Eine Soldatin im Sanitätsregiment 2 der Bundeswehr in Rennerod auf der Hindernisbahn
    Eine Soldatin im Sanitätsregiment 2 der Bundeswehr in Rennerod auf der Hindernisbahn (imago/Rainer Unkel)
    Die deutschen Streitkräfte brauchen dringend Nachwuchs. In 16 Karrierecentern, auch Nachwuchszentren genannt, werden bundesweit Jugendliche eingestellt als 'Soldaten auf Zeit'. Ein Nachwuchszentrum befindet sich in Düsseldorf.
    Die Soldaten in Uniform und in Flecktarn, die zwischen den Jugendlichen herumlaufen, passen nicht ins Bild. Hier sieht es aus wie in einer Schule. Ein langer Flur, links und rechts Türen, und auf dem Flur unzählige Mädchen und Jungen.
    "Ja vor zwei Jahren hab' ich noch mehr mit Playmobil gespielt, und das ist für meine Mutter auch sicherlich schwierig, dass der kleine Junge jetzt da auf einmal Soldat werden möchte."
    "Ich hab‘ Lego gespielt und hab‘ gemalt und mit der Bundeswehr kann ich halt raus kommen."
    Wenn alles klappt im Nachwuchszentrum, dann soll es in drei Monaten losgehen mit der Bundeswehr. Allen Bewerbern, die die Tests bestanden haben, schlägt die deutsche Truppe direkt vor Ort eine Stelle vor, in der Regel eine, wie es heißt, Mangelverwendung, zum Beispiel Panzergrenadier.
    "Ich bin 17 Jahre und möchte Soldat werden."
    "Ich möchte gern in die Kampftruppe, weil der Reiz da für mich am größten ist. Ich geh‘ noch zur Schule. Realschule."
    Der 17-Jährige lächelt. Unter dem Arm trägt er eine rote Bewerbungsmappe.
    Hochgewachsen und schlaksig ist er, mit freundlichen, arglos in die Welt blickenden Augen und einem zarten blonden Flaum über der Oberlippe.
    "Meine Mutter macht sich sehr viele Sorgen. Mein Vater macht sich auch Sorgen. Die sagen mir immer wieder, wie gefährlich das ist und dass sie auch Angst haben, dass mir was passiert oder dass ich sterbe."
    "Soldat sein ist etwas körperlich höchst Anforderndes"
    Der leitende Offizier schaut über den Flur, wo die Mädchen und Jungen hin und her laufen. Der minderjährige Nachwuchs wird dringend gebraucht, meint er.
    "Das Einstellungsalter liegt bei 17 Jahren, 17 muss jemand sein, als Soldat auf Zeit und als freiwillig Wehrdienstleistender, und da haben wir einen hohen Bedarf. Je älter ein Soldat ist, desto schwieriger wird es, den Anforderungen gerecht zu werden. Soldat sein ist etwas körperlich höchst Anforderndes, gerade wenn Sie auf das Einsatzspektrum schauen. Da tut's dann auch mal hinten im Kreuz weh, und das Knie tut weh, deshalb: Das Bestreben muss sein, mit jungen Leuten, möglichst jungen Leuten, Soldat sein zu betreiben."
    An den Wänden des Warteraums stehen Stühle. In der Mitte auf einem Tisch liegen Broschüren der Bundeswehr, zum Beispiel über 'Waffensysteme und Großgeräte'. Man sieht Kettenfahrzeuge, Einsatzflottillen, Kampfflugzeuge. Die jungen Leute sitzen auf ihren Stühlen.
    "Ich möchte nicht weiter zur Schule gehen. Ich möchte‘ was anderes erleben."
    "Im Auslandseinsatz, die Abenteuer, die man dann erlebt, das ist schon was, was man sonst so in dieser Art nirgendwo findet. Man kommt viel rum und man erlebt viel, da ist schon jeder Tag im Einsatz ein Abenteuer."
    "Ich komm' ja jetzt aus der Schule, und meine Eltern, die sind halt schon ein bisschen angespannt, wenn’s um Auslandseinsätze geht, weil, ihre älteste Tochter geht dann, keine Ahnung, nach Afghanistan, und das fänden die dann nicht so toll."
    "Klar, dass die meisten Soldaten natürlich auch ins Ausland kommen"
    Die Eltern der Jugendlichen seien sehr oft besorgt, meint der Oberleutnant, der zuständig ist für die Bewerbungsgespräche.
    "Es ist so, dass Eltern schon mal anrufen, wenn die nicht ganz sicher sind, was auf ihren Sohn oder die Tochter zukommt. Ob das wirklich so gefährlich ist, das ist so die größte Sorge. Ob man da auch ins Ausland geschickt wird und so weiter. Aber das ist doch ganz klar, dass die meisten Soldaten natürlich auch ins Ausland kommen."
    Ein Mädchen rollt die Augen.
    "Ich bin eigentlich relativ offen für alles. Aber Auslandseinätze wären jetzt nicht so was für mich, oder was mit Kämpfen, weiß ich nich‘."
    In den Auslandseinsatz schickt die Bundeswehr ausschließlich Soldaten, die bereits 18 Jahre alt sind. Eine Waffe jedoch bekommen auch Minderjährige in die Hand – zu Ausbildungszwecken. Und es drängt sich die Frage auf, inwieweit sich 17-jährige Rekruten darüber Gedanken machen, was es bedeutet Soldat zu sein und eine Waffe zu tragen.
    "Ham se sich Gedanken gemacht oder nicht. Das weiß ich nicht. Aber gezielt die Frage zu stellen, hast du dir Gedanken gemacht, das tu ich nicht. Es muss Soldaten geben. Die das machen."
    "Die haben zunächst einmal kindliche Vorstellungen"
    Die militärische Planerin wippt mit ihrem Schreibtischstuhl. Sie weist den Jugendlichen die Stellen zu.
    "Also ich könnte mir nicht vorstellen, dass hier jemand sitzt, der 'ne Bewerbung fertig gemacht hat, ohne das zuhause mal gedanklich durchzuspielen. Ich hoffe, dass es so ist. Dass jeder, der jetzt hier sitzt, sich dahingehend Gedanken gemacht hat, zusammen mit Eltern. Dass er darüber mal nachgedacht hat. Aber wenn ich jetzt da 'ne Diskussion anfangen würde …"
    Die militärische Planerin macht sich Sorgen darüber, dass jemand von Kindersoldaten sprechen könnte.
    "Wenn man sich jetzt hier bewirbt und man ist gerade 17, viele Bewerber, die hier hinkommen, die haben zunächst einmal kindliche Vorstellungen und reifen im Laufe der Zeit hier bei der Bundeswehr. Es ist so, dass der Soldat reifen wird. Und muss."

    Die Mädchen und Jungen zucken mit den Schultern.
    Sanitätsregiment 2 der Bundeswehr in Rennerod: Soldatinnen und Soldaten bei einem Marsch
    Sanitätsregiment 2 der Bundeswehr in Rennerod: Soldatinnen und Soldaten bei einem Marsch (imago/Rainer Unkel)
    "Mach' ich mir nur Gedanken drüber, ob ich das alles so schaffe, ob ich das so mit meinen jungen Jahren schon so alles leisten kann, was von mir verlangt wird."
    "Ja ich weiß nicht, muss man halt mal gucken dann. Wenn das dann alles so weit ist.
    Meistens macht man sich ja auch erst dann Gedanken darüber. Wie es dann läuft.
    Man macht sich halt erst Gedanken darüber, wenn man dann in der Situation ist. Dann fängt man erst an, darüber nachzudenken. Also wenn man dann im Ausland ist. Dann wird einem das klar. Was für Gefahren da sind. Und so weiter und so fort."
    Die Offiziere von der Nachwuchsgewinnung sind froh über jeden Bewerber. Denn die Zahl der Soldaten ist aktuell um 15 Prozent zurückgegangen. Im Flur steht der Jugendliche mit der roten Bewerbungsmappe unter dem Arm.
    "Ich hab‘ mir schon öfters Gedanken über Tod und Verwundung gemacht, dass man dann eventuell Körperteile verliert oder sogar sterben kann. Es ist sicherlich schwierig, in dem Alter das alles so zu verkraften und das alles so zu verarbeiten."