
Die neue schwarz-rote Regierung ist noch nicht einmal im Amt. Doch beim Thema Mindestlohn herrscht zwischen Union und SPD schon Uneinigkeit. Die Sozialdemokraten pochen auf eine Anhebung zum Jahreswechsel von 12,82 Euro auf 15 Euro pro Stunde. Und das notfalls auch entgegen der Entscheidung der Mindestlohnkommission, per Gesetz. Das hat zumindest SPD-Generalsekretär Matthias Miersch ins Gespräch gebracht.
Die Union pocht dagegen darauf, die Entscheidung liege ausschließlich bei der Mindestlohnkommission. Politische Eingriffe – wie unter der Ampelkoalition, als der Mindestlohn per Gesetz auf 12 Euro angehoben wurde – lehnt die CDU strikt ab. Das Gremium aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern soll im Sommer 2025 über die nächste Anpassung beraten.
Wer legt den Mindestlohn fest?
Die unabhängige Mindestlohnkommission. Das Gremium wurde 2015 gegründet, als der Mindestlohn in Deutschland eingeführt wurde. Er lag damals bei 8,50 Euro brutto.
Die Mindestlohnkommission wird von der Bundesregierung alle fünf Jahre neu berufen und legt alle zwei Jahre eine Empfehlung zur Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns vor. Das Gremium besteht aus neun Mitgliedern und ist paritätisch besetzt: Drei Vertreter der Arbeitgeber und drei der Gewerkschaften sind ebenso Teil der Kommission wie zwei unabhängige Wirtschaftswissenschaftler. Den Vorsitz übernimmt eine neutrale Person, derzeit die Arbeitsmarktexpertin Christiane Schönefeld, die zuvor lange für die Bundesagentur für Arbeit tätig war.
Die Aufgabe der Kommission ist es, unabhängig von der Politik über die Entwicklung des Mindestlohns zu entscheiden. Dabei orientiert sie sich an der allgemeinen Lohnentwicklung und beschließt in der Regel zwei Anhebungsschritte für die kommenden zwei Jahre.
Die Mindestlohnkommission stand in der vergangenen Entscheidungsrunde vor einer besonderen Situation: Der aktuelle Mindestlohn von 12,82 Euro wurde allein durch die Stimmen der Arbeitgebervertreter und der unabhängigen Vorsitzenden festgelegt. Dies geschah, obwohl die Preissteigerungen bereits eine stärkere Erhöhung nahegelegt hätten.
Um künftig einseitige Entscheidungen zu vermeiden, hat die Kommission für dieses Jahr eine neue Geschäftsordnung erarbeitet. Diese soll verhindern, dass eine Seite einfach überstimmt wird. Ein zentrales Element der Reform ist eine stärkere Orientierung an tariflichen und wirtschaftlichen Referenzwerten.
Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und Vertreter der Arbeitnehmerseite in der Kommission, erklärte dazu: "Wir haben uns zunächst erst mal darauf geeinigt, dass wir sozialpartnerschaftlich an dieses Thema herangehen wollen – so wie wir es aus Tarifverhandlungen und anderen schwierigen Inhalten kennen, die wir gemeinsam mit den Arbeitgebern diskutieren."
Da sei unter anderem festgelegt, dass die Orientierung am Tarifindex vorgenommen wird, aber auch an dem Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns eines Vollzeitbeschäftigten. "Das war uns wichtig, und ich glaube, das ist ein zentraler Punkt, um zukünftig auch zu einer gemeinsamen Einigung zu kommen", so Körzell.
Während der Tarifindex bereits zuvor als Orientierung diente, stellt die explizite Bezugnahme auf den Medianwert – also zwei Drittel des durchschnittlichen Bruttoverdienstes in Deutschland entsprechend der EU-Mindestlohnrichtlinie – eine Neuerung dar.
Wie entwickelt sich der Mindestlohn?
Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Deutschland liegt seit dem 1. Januar 2025 bei 12,82 Euro brutto pro Stunde. Darauf hatte sich die Mindestlohnkommission geeinigt, wenn auch erstmals nicht einstimmig, weil den Vertretern der Arbeitnehmer die Anhebung nicht ausreichte.
Der DGB hatte angesichts von Inflation und steigenden Energiepreisen einen Mindestlohn von 13,50 Euro gefordert. Sozialverbände forderten sogar eine Steigerung auf 14 Euro. Letztlich konnten sich die Arbeitnehmervertreter aber in der Mindestlohnkommission nicht durchsetzen und wurden überstimmt.
Nach der neuen Orientierung am Medianwert des Bruttoverdienstes gemäß der EU-Mindestlohnrichtlinie müsste der Mindestlohn nach Gewerkschaftsangaben bereits bei 13,90 Euro liegen.
Ab 1. März wurde der Branchenmindestlohn für Leiharbeit erhöht. Er beträgt nun 14,53 Euro pro Stunde und liegt damit 1,71 Euro über dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 Euro.
Wer profitiert vom höheren Mindestlohn?
Von der Steigerung profitieren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland – das sind ungefähr 15 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Vor allem Frauen und Menschen in Ostdeutschland bekommen mehr Geld, weil sie häufiger im Niedriglohnsektor arbeiten.
Nach Berechnungen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung werden vor allem in Minijobs Mindestlöhne gezahlt: Fast drei Millionen Menschen profitieren hier von den höheren Sätzen. Am häufigsten wird in der Gebäudebetreuung, der Gastronomie und im Einzelhandel nach Mindestlohn bezahlt.
Wie arbeitet die Mindestlohnkommission?
Über die Höhe des Mindestlohns abstimmen dürfen erst einmal nur die sechs Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die beiden Wissenschaftler haben keine Stimme. Kommt nach den Beratungen keine Mehrheit zustande, muss die Vorsitzende einen Vermittlungsvorschlag machen. Wenn auch der keinen Durchbruch bringt, hat die Vorsitzende die entscheidende Stimme.
Allerdings wurde das Einigungsverfahren im Ablauf reformiert: Während es bisher möglich war, dass die Vorsitzende bereits in einer frühen Phase mit ihrer Stimme eine Entscheidung herbeiführt, kann sie dies nun erst im dritten Anlauf tun. Erst wenn keine Einigung zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern erzielt werden kann, darf die Vorsitzende mit ihrer Stimme für eine Mehrheit sorgen.
Bei der Höhe des Mindestlohns muss die Kommission verschiedene Faktoren berücksichtigen: Zum einen geht es um einen angemessenen Mindestschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – ein Kriterium ist dabei, wie sich die Tariflöhne entwickeln. Zum anderen soll die Kommission aber auch darauf achten, dass der Mindestlohn die Beschäftigung nicht gefährdet, weil er zu hoch angesetzt wird.
Wer entscheidet letztlich über die Höhe des Mindestlohns?
Die Empfehlung der Mindestlohnkommission muss per Verordnung umgesetzt werden – zuständig dafür ist der Bundesarbeitsminister. Dass die Politik direkt in die Höhe des Mindestlohns eingreift, ist eigentlich nicht vorgesehen – zuletzt aber ist es passiert. Die Ampelkoalition hatte den Mindestlohn im Oktober 2022 auf 12 Euro festgelegt, was über dem damaligen Vorschlag der Mindestlohnkommission lag.
Nun könnte die Festlegung der unabhängigen Mindestlohnkommission erneut missachtet werden: SPD-Generalsekretär Miersch möchte eine Mindestlohnsteigerung auf 15 Euro zum Jahreswechsel 2026 notfalls per Gesetz durchzusetzen.
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Jörg Dittrich, sieht dies kritisch. Angesichts der schlechten Konjunkturprognosen in Deutschland "müssen wir zu allererst hinschauen, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen oder erhalten, und da ist der Mindestlohn eine Komponente", so Dittrich. Er warnt davor, dass Arbeitsplätze aufgrund einer Erhöhung des Mindestlohns in Gefahr geraten.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht sich hingegen für einen Mindestlohn von 15 Euro aus. Dieser „dürfte sich gesamtwirtschaftlich positiv für die deutsche Wirtschaft auswirken“, sagte der DIW-Präsident Marcel Fratzscher der "Rheinischen Post". Seine Argumentation: Ein höherer Mindestlohn bedeute mehr Konsum und somit ein stärkeres Wirtschaftswachstum.
*Die Bebilderung des Beitrags wurde geändert, weil die dort zuvor gezeigte Tätigkeit nicht unter das Mindestlohngesetz fällt.
Liane von Billerbeck, dpa, Martin Mair, leg, dh