Samstag, 18. Mai 2024

Mindestlohn
Wie hoch sollte faire Bezahlung sein?

Der Bundeskanzler fordert einen höheren Mindestlohn und bekommt dafür Kritik von FDP und CDU. Der Mindestlohn sei Aufgabe der zuständigen Kommission, heißt es. Doch die Politik hat sich schon einmal über sie hinweggesetzt.

16.05.2024
    Eine Reinigungskraft bei der Arbeit, neben ihr ist ein Wagen mit verschieden Putzutensilien zu sehen.
    Reinigungskräfte werden meist nur nach Mindestlohn bezahlt. Sie und auch Beschäftigte in anderen Branchen können jetzt auf mehr Geld hoffen. (picture alliance / SvenSimon / Frank Hoermann / SVEN SIMON)
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in einem Interview mit dem Magazin "Stern" gefordert, den Mindestlohn auf 14 Euro pro Stunde anzuheben und im nächsten Schritt auf 15 Euro zu erhöhen. Während Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Vorstoß verteidigte, wurde Scholz vom Koalitionspartner FDP kritisiert.
    Finanzminister Christian Lindner (FDP) verwies auf den Koalitionsvertrag, in dem klar geregelt sei, dass nach einer Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde die Mindestlohnkommission über etwaige weitere Erhöhungsschritte befinden. Scholz hingegen kritisierte nun die Kommission dafür, zuletzt erstmals nicht einvernehmlich entschieden zu haben.
    Gitta Connemann (CDU) spricht von einem Tabubruch und fordert, eher Steuern und Abgaben für Menschen mit niedrigem Einkommen zu senken.
    Sahra Wagenknecht (BSW) nannte den Vorstoß des Kanzlers ein "billiges Wahlkampfmanöver". Sie habe kürzlich einen Antrag im Bundestag gestellt, in dem eine Erhöhung auf 14 Euro vorgeschlagen wurde, dieser sei aber von allen Fraktionen, auch der SPD, abgelehnt worden. Nur die Linke stimmte dafür.
    Einige Tage später forderten SPD und Grüne selbst eine Erhöhung auf 14 Euro. Sie verwiesen auf die EU-Mindestlohnrichtlinie, die Deutschland bis November in die Tat umsetzen soll. Diese legt 60 Prozent des Medianlohns als Untergrenze fest, das entspricht mehr als 14 Euro. Allerdings kann die EU gar keine Vorgaben über die Grenze des Mindestlohns machen. Vielmehr sieht die Richtlinie nur vor, dass Faktoren wie allgemeines Lohnwachstum, Kaufkraft oder Produktivitätsniveau bei der Festlegung der Lohnuntergrenze berücksichtigt werden sollen.

    Wer legt den Mindestlohn fest?

    Das ist Aufgabe eines unabhängigen Gremiums – der Mindestlohnkommission. Sie wurde 2015 gegründet, als der Mindestlohn in Deutschland eingeführt wurde. Er lag damals bei 8,50 Euro brutto.
    Die Kommission wird von der Bundesregierung alle fünf Jahre neu berufen und empfiehlt alle zwei Jahre, um wie viel der Mindestlohn steigen soll. Das Gremium hat insgesamt neun Mitglieder: Drei entsenden die Arbeitgeber, drei die Gewerkschaften. Dazu kommen zwei Fachleute aus den Wirtschaftswissenschaften und eine Vorsitzende. Aktuell ist das die Arbeitsmarktexpertin Christiane Schönefeld, die lange in der Bundesagentur für Arbeit tätig war.

    Wie entwickelt sich der Mindestlohn?

    Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Deutschland liegt seit dem 1. Januar 2024 bei 12,41 Euro. Im kommenden Jahr soll er um weitere 41 Cent erhöht werden. Darauf hat sich die Mindestlohnkommission geeinigt, wenn auch erstmals nicht einstimmig, weil den Vertretern der Arbeitnehmer die Anhebung nicht ausreichte.
    „Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall unsere Hand reichen“, erklärte das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Stefan Körzell. Der DGB hatte angesichts von Inflation und steigenden Energiepreisen einen Mindestlohn von 13,50 Euro gefordert. Sozialverbände forderten sogar eine Steigerung auf 14 Euro. Letztlich konnten sich die Arbeitnehmervertreter aber in der Mindestlohnkommission nicht durchsetzen und wurden überstimmt.

    Wer profitiert vom höheren Mindestlohn?

    Von der Steigerung profitieren nach Angaben des statistischen Bundesamtes etwa sechs Millionen Menschen in Deutschland – das sind ungefähr 15 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Vor allem Frauen und Menschen in Ostdeutschland bekommen mehr Geld, weil sie häufiger im Niedriglohnsektor arbeiten.
    Nach Berechnungen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung werden vor allem in Minijobs Mindestlöhne gezahlt: Fast drei Millionen Menschen profitieren hier von den höheren Sätzen. Am häufigsten wird in der Gebäudebetreuung, der Gastronomie und im Einzelhandel nach Mindestlohn bezahlt.

    Wie arbeitet die Mindestlohnkommission?

    Über die Höhe des Mindestlohns abstimmen dürfen erst einmal nur die sechs Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die beiden Wissenschaftler haben keine Stimme. Kommt nach den Beratungen keine Mehrheit zustande, muss die Vorsitzende einen Vermittlungsvorschlag machen. Wenn auch der keinen Durchbruch bringt, hat die Vorsitzende die entscheidende Stimme.
    Bei der Höhe des Mindestlohns muss die Kommission verschiedene Faktoren berücksichtigen: Zum einen geht es um einen angemessenen Mindestschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – ein Kriterium ist dabei, wie sich die Tariflöhne entwickeln. Zum anderen soll die Kommission aber auch darauf achten, dass der Mindestlohn die Beschäftigung nicht gefährdet, weil er zu hoch angesetzt wird.
    SPD und Grüne fordern auch eine Reform der Mindestlohnkommission. Diese soll künftig ihre Entscheidungen nur noch einstimmig treffen.

    Wer entscheidet letztlich über die Höhe des Mindestlohns?

    Die Empfehlung der Mindestlohnkommission muss per Verordnung umgesetzt werden – zuständig dafür ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Dass die Politik direkt in die Höhe des Mindestlohns eingreift, ist eigentlich nicht vorgesehen – zuletzt aber ist es passiert. Die Ampelkoalition hatte den Mindestlohn im Oktober 2022 auf 12 Euro festgelegt, was über dem damaligen Vorschlag der Mindestlohnkommission lag.
    Vor allem die Arbeitgeberseite zeigte sich über den Eingriff der Bundesregierung verärgert. Die Koalition hatte danach aber erklärt, künftig nicht mehr in den üblichen Mechanismus einzugreifen und die Kommission arbeiten zu lassen.

    Liane von Billerbeck, dpa, Martin Mair, leg