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Mindestlohn-Hotline in Magdeburg
"Die Meisten fühlen sich schlecht informiert"

Der einheitliche gesetzliche Mindestlohn von 8,50 pro Stunde ist zwar in Kraft, doch vor allem bei vielen Arbeitnehmern sind noch Fragen offen. Für diese Fragen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Telefon-Hotline eingerichtet - und die 45 Mitarbeiter dort haben einiges zu tun.

Von Christoph Richter | 16.01.2015
    Die 67-jährige Ingrid Oriwol ist eine von 45 Mitarbeitern, die im Callcenter der DGB-Mindestlohn-Hotline arbeitet. Täglich acht Stunden berät sie Anrufer, die Fragen zum Mindestlohn haben. Betrieben wird die Hotline von dem gewerkschaftseigenen Callcenter-Unternehmen facts-infoline, das in einem schmucklosen Büro-Bau an einer Magdeburger Ausfallstraße liegt.
    "Viele Fragen betreffen Mini-Jobber, weil da die Arbeitgeber gerne etwas gegen rechnen wollen, wie Urlaubsgeld oder Stunden kürzen wollen. Bei Praktikas, wie was zu rechnen ist, im Handel ob die zahlen müssen, ob Rentner Anspruch haben auf den Mindestlohn."
    Viele Unternehmer versuchten anscheinend, den Mindestlohn zu umgehen, erzählt die resolute Callcenter-Agentin Oriwol. Stefan Körzell vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes berichtet, dass manche Arbeitgeber gar versuchten die Differenz zum bisher gezahlten Lohn mit Naturalien auszugleichen, mit teilweise bizarren Auswirkungen, wie er sagt.
    Viermal so viele Anrufer wie erwartet
    "Das heißt, dass Leute, die in Sonnenstudios arbeiten, nicht einen höheren Lohn bekommen, nämlich den Mindestlohn, sondern für das, was sie mehr verdienen müssten, bekommen sie Gutscheine. Um im eigenen Sonnenstudio, wo sie arbeiten, sich Bräunungsstunden zu nehmen. Das macht deutlich, dass die Arbeitgeber sehr früh angefangen zu haben, Umgehungstatbestände zu kreieren."
    Die Mindestlohn-Hotline macht aber auch deutlich, dass das Gesetz höchst kompliziert ist und handwerkliche Schwächen hat. Hat man doch mit höchstens 100 Anrufern pro Tag gerechnet, jetzt ist es aber fast das Vierfache. Die meisten Anfragen kommen von Mini-Jobbern. Es rufen aber auch Steuerbüros oder sogar Arbeitgeber an.
    "Sie geben etwa vor, für einen Kollegen anzurufen - das Gespräch ist dann aber meist schnell beendet", unterstreicht Gewerkschafter Stefan Körzell. Das Angebot des DGB versteht er nicht als Konkurrenz zur Mindestlohn-Hotline des Bundesarbeitsministeriums. Jeder erste Anruf ist kostenfrei, bei weiteren Nachfragen ist das allerdings nicht der Fall, es sei denn, der Anrufer erklärt sich bereit in eine der Gewerkschaften einzutreten. Wodurch das Angebot des DGB einen schalen Beigeschmack bekommt und durchaus etwas von einer groß angelegten Mitglieder-Akquise hat.
    "Wir raten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausdrücklich, und das ist auch mit Frau Nahles so abgesprochen, wenn sie betrogen werden, dies bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit anzuzeigen, und zwar anonym. Das geht."
    Die meisten fühlen sich schlecht informiert
    Gegenüber der Callcenter-Agentin Ingrid Oriwol sitzt Felix Kühne. Vollbart und Kapuzenshirt. Er erzählt, dass es nur wenige Anrufer gebe, die Luft ablassen würden, weil sie etwa wegen dem Mindestlohn gekündigt wurden. Die Meisten fühlten sich einfach schlecht informiert, sagt er. Kühne macht eine Ausbildung zum Kaufmann für Dialogmarketing und versteht sich – mit einem Stundenlohn von 9,22 Euro - als Mindestlohn-Helfer.
    "Ja, viele wissen es eigentlich gar nicht, wie viel es gibt, ab wann es gilt und wie sie ihren Arbeitgeber auch dazu kriegen können, das zu zahlen. Weil, viele weigern sich einfach stumpf."
    Gerade im Taxi oder Gaststätten- und Hotelgewerbe komme es derzeit zu Kündigungen. Auch ein Anstieg der Scheinselbständigkeit sei zu beobachten, so der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Andreas Steppuhn. Dennoch ist der Mindestlohn ein Erfolgsmodell, so Steppuhn weiter.
    "Also es wird Verwerfungen geben, aber ich glaube der Mindestlohn wird Beschäftigung dauerhaft stabilisieren."
    Deutlich pessimistischer fällt die Prognose beim Münchner Institut für Wirtschaftsforschung aus. Dort heißt es, gerade ostdeutsche Firmen seien von dem Mindestlohn stärker betroffen als Betriebe im Westen. Und man rechnet damit, dass knapp 40 Prozent der betroffenen Ost-Firmen ihre Preise erhöhen, fast 27 Prozent gar einen Personalabbau erwägen.