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Ministerin Gönner hält an "Stuttgart 21" fest

Oben bleiben, oder oben ohne - darüber wird in Stuttgart heftig diskutiert. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Landtagswahl Ende März in Baden-Württemberg zur Abstimmung über "Stuttgart 21" erklärt. Es geht um die Zukunft im Ländle. Für Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) ist deshalb wichtig, "dass wir als Regierung auch standhaft bleiben."

Tanja Gönner im Gespräch mit Christoph Heinemann | 17.09.2010
    Christoph Heinemann: Im Deutschen kann man sich auf vielerlei Arten begrüßen oder verabschieden. Guten Morgen kann man sagen und auf Wiedersehen, Grüß Gott und Fürti (das ist eher im Süden gebräuchlich), Moin kann man zur Sicherheit auch gleich zweimal sagen, also Moin Moin, oder Hallo und Tschüss. Und wir wollen natürlich unsere Nachbarn nicht vergessen: Servus, Grüezi oder Ade gibt es auch noch. In Stuttgart hat sich in jüngster Zeit eine weitere Grußformel herausgebildet. Oben bleiben sagt man in der Landeshauptstadt, ein Gruß, der eine Gesinnung verrät. Oben bleiben sagen nämlich diejenigen, die den Problembahnhof nicht tiefer legen wollen. Heute debattiert der Deutsche Bundestag über den Haushalt des Verkehrsministers, für uns Anlass, über das Verkehrsprojekt zu sprechen, das gegenwärtig für die erregtesten Wortmeldungen sorgt, nämlich "Stuttgart 21". Aus dem oberirdischen Kopfbahnhof soll unter Tage ein Durchgangsbahnhof werden, und die Verbindung Stuttgart-Ulm soll zur Schnellbahnstrecke ausgebaut werden. Wortmeldungen:

    "Ich bin entsetzt, dass unsere Politik das nicht wahrnimmt, sondern ignoriert und uns Bürger behandelt wie Blöde."

    "Das muss gestoppt werden. Es ist ein Milliardengrab für die Stadt, ein unsinniges Projekt."

    "Was da abläuft, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Das ist ein Beschiss und Betrug."

    Angela Merkel: "Und deshalb braucht man auch bei völlig rechtmäßig getroffenen Entscheidungen in Stuttgart keine Bürgerbefragung, meine Damen und Herren, sondern die Landtagswahl im nächsten Jahr, die wird genau die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs sein."

    Heinemann: Das sagte Angela Merkel in diesen Tagen im Bundestag. – Am Telefon ist Tanja Gönner (CDU), die Verkehrsministerin von Baden-Württemberg. Guten Morgen!

    Tanja Gönner: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Frau Gönner, wie fühlt man sich, wenn einem so viel Ablehnung und Zorn entgegenschlägt?

    Gönner: Wir wissen, dass es für uns eine Herausforderung ist. Auf der anderen Seite stellen wir seit einigen Tagen auch fest, dass es viele Menschen in Baden-Württemberg gibt, die uns auch bestärken, an diesem Projekt festzuhalten, und zwar deswegen, weil es auch durchaus Menschen gibt, die erkennen, dass es für das ganze Land ein wichtiges Infrastrukturprojekt ist, das gerade vor dem Hintergrund der Schieneninfrastruktur ja nicht für zehn oder 15 Jahre, sondern für 100 Jahre gebaut wird. Ganz wichtig und wesentlich ist, dass wir als Regierung auch standhaft bleiben.

    Heinemann: Wenn das so ist und sofern es verfassungsrechtlich möglich ist, wieso lässt man dann die Bürgerinnen und Bürger nicht abstimmen?

    Gönner: Ich glaube, dass wir sehr stark aufpassen müssen, dass wir nicht dann, wenn Dinge über viele Jahre diskutiert worden sind, im Übrigen auch unter Einbeziehung der Bürger - Planungsverfahren in Deutschland finden nie ohne Einbeziehung der Bürger statt -, dass man dann auch aufpassen muss, dass wir nicht plötzlich sagen, weil jetzt der Protest laut wird, je nachdem wie groß die Gruppe ist, sagen wir, jetzt machen wir einen Volksentscheid oder nicht. Wir haben in diesem Land ganz bewusst uns für eine repräsentative Demokratie entschieden, das hat etwas mit unserer Geschichte zu tun, und wir haben dann unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen Bürgerentscheide, Bürgerbefragungen, aber gerade für Volksentscheide gibt es hohe Hürden. Ich glaube schon, dass wir gut überlegen müssen, ob wir das Gut der repräsentativen Demokratie so einfach aufgeben.

    Heinemann: Aber repräsentative Demokratie heißt doch nicht, dass eine Regierung machen kann, was sie will?

    Gönner: Ich glaube, es ist auch falsch, uns zu unterstellen, wir würden machen, was wir wollen. Dieses Verfahren wurde mit allem, was zu Planungsverfahren insbesondere in diesem Umfang dazugehört durchgeführt. Es gibt Gerichtsentscheidungen, es gibt im Übrigen viele Beschlüsse von kommunalen Entscheidungsträgern, das heißt des Gemeinderats von Stuttgart, des Regionalparlaments, des Landtages von Baden-Württemberg und des Bundestages, und zwar im Übrigen die jüngsten Entscheidungen einerseits Ende 2009 und andererseits im Mai 2009, durchaus in Kenntnis auch der Schwierigkeiten, die das Projekt mit sich bringt. Und ich finde, dann kann man nicht sagen, dass eine Regierung macht was sie will, sondern eine Regierung nimmt auch den Auftrag wahr, den man ihr mitgegeben hat.

    Heinemann: Frau Gönner, die Gegner von "K 21" schlagen vor, das heißt, den Ausbau der Schnellbahnstrecke ja, aber der Bahnhof bleibt da, wo er ist, nämlich oben. Wieso lässt sich die Landesregierung darauf nicht ein?

    Gönner: Weil man zugeben muss, dass "K 21" eine Phantomdebatte ist und im Übrigen aus unserer festen Überzeugung – darauf gehen die Gegner im Übrigen auch nicht ein – neue Probleme bereitet.

    Heinemann: Welche?

    Gönner: Wenn ich den Kopfbahnhof bestehen lasse, aber die Schnellbahnstrecke bauen will, brauche ich eine Anbindung an diese Neubahnstrecke, und die Gegner wissen, dass sie dann zwei neue Gleise aus dem heutigen Kopfbahnhof hinaus legen müssen, die zum einen auch durch den Schlosspark, für den sie sich einsetzen, gehen würden und die zum anderen sehr nahe an Wohnbebauungen durch das Neckartal durchgehen werden. Und ich glaube, da kann sich jeder vorstellen, wenn zwei neue Trassen mitten durch hoch besiedeltes Gebiet gebaut werden sollen, dass auch dies nicht ohne Protest gehen wird.

    Heinemann: Wieso kann man den heutigen Bahnhof nicht an das Schnellbahnnetz anschließen? Verstehe ich nicht.

    Gönner: Wir haben in Stuttgart schlicht die Tallage und das Problem dieser Tallage. Das heißt, sie müssen bei bestimmten Bereichen, wenn sie dort hineinfahren, um die ganze Stadt herumfahren. Zum zweiten hat ein Kopfbahnhof durchaus auch für schnelle Verbindungen - und neben der Frage der Fernverbindung geht es uns ja auch um den Ausbau des Regionalverkehrs für die Zukunft, irgendwann kommt der an die Leistungsgrenzen. Deswegen sind wir der festen Überzeugung, dass die Leistungsfähigkeit deutlich gesteigert werden kann.

    Heinemann: Frau Gönner, noch vor dem ersten Spatenstich rechnen Bahn und Landesregierung, also diejenigen, die eher schönrechnen, mit Mehrkosten von 865 Millionen Euro. Wollen Sie bauen, koste es, was es wolle?

    Gönner: Ich glaube, man muss aufpassen, weil auch da manches durcheinandergebracht wird. Sie beginnen immer bei Projekten mit einer Kostenschätzung. Wenn sie Planungen vorliegen haben, wenn sie Genehmigungen vorliegen haben, dann wissen sie, was genauer auf sie zukommt, und dann können sie Nachberechnungen machen. Genau das haben wir bei der Neubaustrecke, um die es ja dann auch geht, gemacht. Sie werden bei großen Infrastrukturprojekten nie zu 100 Prozent sagen können, ich kann das einhalten oder nicht.

    Heinemann: Und wo liegt die finanzielle Schmerzgrenze?

    Gönner: Ich glaube, dass ich das heute so nicht sagen kann.

    Heinemann: Müssen Sie doch! Sie müssen das Geld doch planen!

    Gönner: Nein! Ich glaube nicht, dass an dem Punkt man sagen kann, wo liegt die finanzielle Schmerzgrenze. Das Entscheidende ist immer, dass man natürlich eine Kosten-Nutzen-Rechnung hat, diese muss positiv sein. Nur weise ich darauf hin, wenn wir danach gehen: Sie können, wenn sie beginnen zu bauen, nie sagen, wo treffen sie auf Schwierigkeiten. Sie können versuchen, dieses auszuschließen, aber wenn wir so vorgehen, dann werden wir in dieser Bundesrepublik nicht ein einziges großes Infrastrukturprojekt mehr durchführen können, und ich bin mir nicht sicher, ob ein Industrieland wie Baden-Württemberg, aber vor allen Dingen auch wie Deutschland es sich dauerhaft leisten kann, dass wir sagen, große Infrastrukturprojekte machen wir nicht mehr, weil wir eben nicht wissen, wo gehen die Kosten hin.

    Heinemann: Frau Gönner, die Bundeskanzlerin hat am Mittwoch die Landtagswahl Ende März in Baden-Württemberg zur Abstimmung über "Stuttgart 21" erklärt. Hätte sie besser geschwiegen?

    Gönner: Ich glaube, dass man schon den O-Ton, den Sie ja vorher auch eingespielt haben, sehr genau hören muss. Die Kanzlerin hat darauf hingewiesen, dass es eine Abstimmung über die Zukunft des Landes Baden-Württemberg, über "Stuttgart 21" und über viele weitere Projekte ist. Sie hat sehr wohl dieses Projekt mit hervorgehoben, aber sie hat auch darauf hingewiesen, dass es um die Zukunftsfähigkeit eines Landes geht und dass eben Zukunftsfähigkeit einerseits ein Projekt wie "Stuttgart 21" bedeutet, aber darüber hinaus auch viele weitere Projekte, weil wir eines wissen müssen: Wir brauchen auch in Zukunft Arbeitsplätze, wir brauchen auch in Zukunft die Möglichkeit, uns entwickeln zu können. Nur so werden wir Wohlstand auch bewahren können und möglicherweise, wenn dies auch machbar ist, weiterentwickeln, weil viele Menschen in diesem Land wollen einen Arbeitsplatz, sie wollen ein gesichertes Einkommen und sie wollen wissen, dass sie und ihre Kinder auch in eine gute Zukunft gehen. Darüber, hat die Kanzlerin gesagt, werden wir nächstes Jahr abstimmen.

    Heinemann: Ein weiteres Thema wären zum Beispiel längere Atomlaufzeiten, auch gerade kein Massen mobilisierender Renner, jedenfalls nicht für Schwarz-Gelb. Wollen Sie mit diesen Themen Wahlen gewinnen?

    Gönner: Es sind Themen, die mitbestimmen. Wir werden im Übrigen über eine sichere Energieversorgung sprechen. Ich sprach vorher von Infrastrukturprojekten. Wir wissen, damit wir das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen können, das wir im Übrigen auch erreichen wollen, weil wir wissen, dass auch dies dauerhaft die Zukunft ist, dann wissen wir, dass wir Großprojekte, Infrastrukturprojekte wie Speicherung brauchen, aber auch Netzausbau. Und das, was wir gerade erleben für "Stuttgart 21", kann ich nicht ausschließen, dass es irgendwann auch für große Netzwege beim Strom geht. Deswegen werden wir mit der Energieversorgung der Zukunft durchaus auch in den Wahlkampf gehen. Ich glaube, man darf es nicht nur auf das eine oder das andere verkürzen. Sie müssen sehen: Baden-Württemberg ist das erste Land, das das Thema erneuerbare Energien im Wärmebereich auch in einem Gesetz geregelt hat, im Übrigen nicht nur für den Neubau, sondern darüber hinaus auch für den Altbau. Wir verlangen von den Menschen in Baden-Württemberg dort etwas, wir stellen aber fest, dass sie den Weg mit uns gehen, und ich glaube, dass es mehr denn je wichtig ist, den Menschen Politik zu erklären, zu sagen, warum machen wir dies, aber auch aufzuzeigen, dass dies eben gerade vor dem Hintergrund der Zukunftsinvestitionen ganz wichtig ist.

    Heinemann: Frau Gönner, um den Bogen zum Anfang zu schlagen. Haben Sie die Grußformel "Oben bleiben" schon einmal verwendet?

    Gönner: Nein und ich kann Ihnen sagen, es gibt darüber hinaus eine zweite Grußformel in Stuttgart, derer, die dafür sind. Die lautet "Oben ohne". Ich gewinne den Eindruck, oder anders herum formuliert, ich finde das Skandieren des Wortes "Lügenpack" jetzt auch nicht unbedingt gerade eine Auseinandersetzung mit Argumenten. Das sei mir erlaubt zu sagen. Ich werde auch in Zukunft diese Grußformel nicht verwenden, sondern ich werde mich weiterhin im Interesse des Landes und der Zukunft des Landes für dieses Projekt einsetzen, weil wir uns sehr intensiv damit beschäftigt haben und viele der Dinge, die in den letzten Wochen skandalisiert wurden, in dieser Form so nicht stimmen.

    Heinemann: Deshalb verabschieden wir uns unverfänglich. Tanja Gönner (CDU), Verkehrsministerin in Baden-Württemberg. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gönner: Auf Wiederhören!