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Ministerpräsidentenkonferenz zur Bildungspolitik

Engels: Heute treffen sie sich also in Berlin, die Ministerpräsidenten der Länder. Ein Thema auf der Konferenz ist die Einrichtung eines runden Tisches gegen Gewalt in den Medien. Diese Problematik ist seit dem Massenmord eines 19jährigen Schülers an einem Gymnasium in Erfurt Ende April zu einem zentralen Thema geworden. Auf der Agenda stehen daneben aber auch die allseits geforderten Reformen im Bildungssektor. Beides hängt irgendwo zusammen und über beides wollen wir nun reden mit dem Ministerpräsidenten des Landes Thüringen, Bernhard Vogel (CDU). Guten Morgen!

    Vogel: Guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Herr Vogel, blicken wir erst mal auf den Bereich Jugendschutz. Welche Beschlüsse erwarten Sie dort von Ihren Ministerpräsidentenkollegen?

    Vogel: Zunächst bin ich froh, dass das Thema auf der Tagesordnung steht, denn nach dieser Bluttat von Erfurt habe ich ja nachdrücklich dazu aufgefordert, nicht jetzt nur über die eine oder andere Gesetzesänderung zu sprechen - das müssen wir auch; wir haben gestern im Vermittlungsausschuss das Waffengesetz novelliert -, sondern eine Grundsatzdebatte zu führen über Gewalt, über die Aufgabe für die Erziehung, die Aufgabe der Eltern, über die Aufgabe der Schule, aber beispielsweise auch über die Position, die wir den Lehrern in unserer Gesellschaft zuweisen, die viel gescholtenen von gestern, die aber heute Ermutigung brauchen, und in dem Zusammenhang natürlich auch eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass Gewalt immer üblicher wird im öffentlichen und im privaten Leben, dass wir etwas tun müssen, um Gewalt abzusagen und um Maßnahmen zu ergreifen, dass Gewalt nicht verherrlicht wird, beispielsweise in den Medien. Das ist Thema heute, der erstrebte runde Tisch in dieser Frage unter Einbeziehung des Bundes und unter Einbeziehung beispielsweise auch der Rundfunkanstalten, der öffentlich-rechtlichen und der privaten.

    Engels: Bleiben wir direkt bei diesem Thema. Diskutiert wird ja heute auch über ein Landesgesetz, was seit einem Jahr in der Planung ist. Es geht um einen Staatsvertrag für Jugendmedienschutz und dort fürchten nach dem jetzigen Stand die Landesmedienanstalten, dass eine Aufweichung des Schutzes im Bereich von privatem Radio und Fernsehen, der genau diesen Schutz der Jugend irgendwie eigentlich zum Ziel haben sollte, geplant sei. Ist dem so und ist das nach den Ereignissen von Erfurt tragbar?

    Vogel: Das ist eine immer wieder geführte Diskussion, auch die Frage, wie weit Gewalt in den Medien zu Gewalt führt. Ich habe hier eine sehr konservative Ansicht. Ich glaube man darf auf dem Bildschirm nicht eine schreckliche Verherrlichung von Gewalt und einen schrecklichen Umgang mit Menschen und dem Menschenleben, auch nicht im Spiel zulassen, sondern hier müssen Grenzen gesetzt werden, übrigens gar nicht nur in Deutschland. Das ist eine europaweite Aufgabe und wenn ich recht sehe auch eine Aufgabe in den Vereinigten Staaten.

    Engels: Aber nach diesem neuen Ländergesetz ist doch wohl vorgesehen, dass im Zuge der freiwilligen Selbstkontrolle die privaten Anbieter von Fernsehen und Radio eigentlich selbst entscheiden dürfen, was an Inhalten einem jugendlichen Publikum oder Kindern noch zumutbar ist oder nicht.

    Vogel: Wir haben in Deutschland im Medienbereich vor allem auf dem Fernsehschirm das System einer weitgehenden Selbstkontrolle. Wir müssen auch die Diskussion heute dafür nutzen, darauf hinzuweisen, dass dort Verantwortung vorhanden ist. Allein ein gesetzliches Verbot mit Strafen wird das nicht erreichen oder nur sehr begrenzt erreichen, wenn nicht in der Gesellschaft ein entsprechendes Verhalten gegenüber Gewalt und Gewaltverherrlichungen steht. Wir müssen beispielsweise den Verleih von bestimmten Medienerzeugnissen an Jugendliche verbieten, aber wir müssen auch das Strafgesetz ändern, müssen es hier auch an Erwachsene verbieten, denn es hilft nichts, wenn ich es dem 17jährigen verbiete und sein 18jähriger Bruder kauft sie und leiht sie ihm.

    Engels: Kommen wir noch auf einen zweiten Aspekt, der heute ansteht, zu sprechen, und zwar die Bildungs- und Forschungspolitik. Sie wollen mit Ihren Kollegen beraten und Bundeskanzler Schröder wird heute im Bundestag dazu eine Regierungserklärung halten. Nun ist ja die Bildungspolitik ein landespolitischer Bereich. Fürchten Sie von Seiten des Kanzlers Einmischung und hoffen Sie auf Einigung?

    Vogel: Es ist Mode geworden in Deutschland, dass jeder über alles redet und nicht in erster Linie über das, wofür er verantwortlich ist. Ich würde mir eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers über die Arbeitslosigkeit oder über die stagnierende Gesundheitsreform mehr wünschen als eine Regierungserklärung über Bildungspolitik. Das ist Sache der Länder, aber selbstverständlich kann ihm niemand verwehren, sich dazu zu äußern. Aber die Verantwortung kann er den Ländern dadurch natürlich nicht abnehmen.

    Engels: Nun hat er ja im Vorfeld bereits über mehrere Jahre verteilt vier Milliarden Euro als Anschubfinanzierung des Bundes für mehr Gesamtschulen in Aussicht gestellt. Begrüßen Sie das?

    Vogel: Das ist auch so ein Geschenk kurz vor den Wahlen. Schauen Sie mal, der Betrag wirkt für den Hörer beachtlich hoch. Das ist er natürlich angesichts der Aufgabe nicht. Auch hier meine ich, wenn der Bundeskanzler dafür sorgte, dass der Bund nicht unaufhörlich neue finanzielle Lasten auf die Länder und Gemeinden legte, dann bräuchten wir solche freundlichen Aktionen nicht. Dann könnten wir das ohne Schwierigkeiten aus unseren Kassen finanzieren. Es kommt noch hinzu, dass es natürlich eine Maßnahme ausgesprochen für die alten Länder ist und nicht zu Gunsten der neuen, die ja bekanntlich in diesem Punkt besser dran sind und besser ausgerüstet sind als die alten Länder.

    Engels: Sie pochen also auf das Länderrecht im Bereich Bildung?

    Vogel: Nein, ich poche auf Verantwortlichkeiten. Man kann uns nicht im großen Stil die uns zustehenden Finanzbeträge nicht zugestehen und dann durch kleine Geschenke meinen, man könne das wieder ausgleichen.

    Engels: Aber annehmen werden Sie sie schon?

    Vogel: Ja was wollen wir denn machen! Selbstverständlich, aber das muss sich doch ändern. Deswegen wollen wir eine Reform, wie Sie wissen, der Finanzverfassung in der Bundesrepublik, dass diese Vermischung jeder für alles ein bisschen und keiner richtig geändert werden muss, nicht nur in diesem Bereich, sondern insgesamt bei den Gemeinschaftsaufgaben. Es muss klar sein, wer wofür welche Geldbeträge bekommt und was er damit zu tun hat. Dass jetzt so jeder an allem mitfinanziert, ist nicht gut, übrigens nicht nur in der Bildungspolitik, sondern in vielen anderen Bereichen erst recht nicht.

    Engels: Aber die Bildungspolitik, die in Länderhoheit steht, ist ja in letzter Zeit arg in die Kritik geraten, zu Zeiten der Pisa-Studie. Versagt hier vielleicht doch in den letzten Jahrzehnten der Föderalismus?

    Vogel: Ich weiß nicht, ob man die Pisa-Studie so interpretieren darf. Sie ist eine wichtige und ernst zu nehmende Sache, vergleicht aber gleichzeitig natürlich doch sehr, sehr unterschiedliches. Japan rangiert in den Ergebnissen der Pisa-Studie weit vorne, aber ich glaube niemand in Deutschland möchte ernsthaft das japanische Schulsystem in Europa einführen. Es ist gut, dass es diesen Anstoß gibt, und gegenüber anderen Bildungsdiskussionen meine ich, dass diesmal weniger Strukturdebatten im Mittelpunkt stehen, sondern Gott sei Dank inhaltliche Debatten: was ist Aufgabe der Schule, was sind die Erziehungsziele, auf die hin die Lehrer erziehen, wie helfen wir den Lehrern, ihrer immer schwieriger gewordenen Aufgabe gerecht zu werden, und wie lassen wir ihnen die notwendige Anerkennung in der Öffentlichkeit zukommen. Es war ja bis vor kurzem sehr Mode, Lehrer zu kritisieren, und wer das in besonders heftiger Weise getan hat, hat nicht Widerspruch, sondern Beifall gefunden. Das gehört mit zu der jetzt notwendigen Reform. Schauen Sie es war jahrelang üblich, nach Schweden zu reisen. Ganze Karawanen haben das dortige Bildungssystem als nachahmenswert bezeichnet. Vorher war es Mode, nach England zu fahren. Jetzt ist gerade Finnland Mode!

    Engels: Vielen Dank! Über das Thema Bildung und über das Thema Jugendschutz heute anlässlich der beginnenden Ministerpräsidentenkonferenz sprachen wir mit Bernhard Vogel, dem Ministerpräsidenten des Landes Thüringen.

    Link: Interview als RealAudio