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Mircea Cărtărescu: "Solenoid"
Levitation statt Sozialismus

In "Solenoid" entwirft Mircea Cărtărescu eine Art parallele Autobiographie für sich selbst: Was wäre gewesen, wenn er, statt zum prominentesten Gegenwartsschriftsteller seines Landes zu werden, ein unbekannter Rumänischlehrer geblieben wäre?

Von Katrin Hillgruber | 27.10.2019
Der Autor Mircea Cărtărescu
Der namenlose Grundschullehrer in Mircea Cărtărescus Roman "Solenoid" wünscht sich in seinem tristen Alltag im Bukarest der 1980er Jahre nichts dringender, als in andere Dimensionen abzuheben. (Imago Stock & People)
Aus dem Straßenbild rumänischer Städte sind sie nicht wegzudenken: die Silhouetten großer, gesunder Backenzähne samt Wurzeln, oft in Neonfarben leuchtend. Die kräftigen Molare werben dafür, sich blind dem "Cabinet Stomatologic" anzuvertrauen, der Zahnarztpraxis. Nach der Lektüre von Mircea Cărtărescus Roman "Solenoid" wird man das allerdings nicht mehr so leicht können. Denn der namenlose Protagonist, Lehrer an der Allgemeinen Schule Nr. 86 am Stadtrand von Bukarest, fürchtet seit Kindertagen nichts mehr als den Besuch beim Dentisten.
"An den Tagen, an denen ich zum Zahnarzt gehen musste, hoffte ich, es würde ein Wunder geschehen, und ich fände die Praxis geschlossen vor, das Gebäude abgerissen, den Arzt gestorben, oder es gebe zumindest eine Stromunterbrechung, so dass die Turbine und die Lichter über dem Zahnarztstuhl nicht funktionierten. Aber niemals geschah ein Wunder."
Seine ausgefallenen Milchzähne bewahrt der Lehrer sorgsam in einer Streichholzschachtel auf. Von Zeit zu Zeit erfreut er sich an ihrem opalisierenden Glanz. So wie sich der Zahnarzt mit seinen Instrumenten Zugang zum Inneren des wehrlosen Patientenkörpers verschafft, was sich der Lehrer in grellen Schreckensbildern ausmalt, so sind es Zahnarztstühle, zumeist ausrangierte mit kaffeebraunen Kunstlederbezügen, die in "Solenoid" den Weg weisen: entweder in die labyrinthische Bukarester Unterwelt oder aber in die vierte Dimension, in die sogenannte Raumzeit.
"Warum gab es vier Türen, wenn sie alle in den gleichen Raum mündeten, in dem wie vier in einer Zirkusarena sitzende Elefanten vier massive, erbarmungslose Zahnarztstühle aus festem Metall standen, matt weiß gestrichen, kompliziert und ausgestattet mit bösartigen Werkzeugen? Wozu war der riesige Hut voller Glühlampen nötig, der sich über jeden der vier Stuhle neigte?"
Kybernetische Sehnsüchte
In "Solenoid" entwirft Mircea Cărtărescu für sich eine Art parallele Autobiografie: Was wäre gewesen, wenn er, statt zum prominentesten Gegenwartsschriftsteller seines Landes zu werden, ein unbekannter Rumänischlehrer geblieben wäre? Er kam am 1. Juni 1956 in Bukarest zur Welt und teilt dieses Geburtsdatum generös mit seinem Protagonisten. Beide sollen einen verschollenen Zwillingsbruder haben. Der Bauernsohn Cărtărescu schloss sein Studium mit einer Dissertation über den rumänischen Postmodernismus ab, arbeitete als Hauptschullehrer und später als Lektor für rumänische Sprache und Literatur an der Universität seiner Heimatstadt.
Seit 1978 veröffentlicht er Gedichte und Prosa. Dieser Gattung verschrieb er sich nach Ceauşescus Sturz im Dezember 1989 weitgehend. Eine Ausnahme bildet der ungefähr siebentausend Verse umfassende Gedichtzyklus "Levantul", der wohl unübersetzbar bleibt. In diesem Titel klingt die Levitation an, das Schweben oder Fliegen, das sich der Rumänischlehrer in "Solenoid" so sehr wünscht. Er erlebt es zum ersten Mal als Junge im Sattel eines Leihfahrrads – ein eigenes können ihm die Eltern nicht kaufen.
"Und ich kreiste dort endlos unter den immer rötlicher werdenden Himmeln, eine Tour nach der anderen, der anderen, anderen, bis es Nacht wurde, protestierte jedesmal, wenn Mutter herankam, um mich anzuhalten, trat mit dem Bein nach ihr, und galoppierte weiter in dem engen Kreis, in dem ich glücklich einen Meter über dem Boden dahinlevitierte, wobei ich mich (Ironie des Schicksals, die wir alle so gut kennen!) freier fühlte als jemals sonst…"
Mircea Cărtărescu erschafft mit "Solenoid" einen kybernetischen Sehnsuchtsroman, der sich im Verlauf von 51 Kapiteln zum Horror-Roman wandelt. Dabei blitzt immer wieder die für ihn typische, farbenprächtige und plastische Komik auf – ein Triumph der Phantasie.
"Ich habe schon so oft an die dicken Frauen gedacht, die sich wie bizarre Ganglien entlang der Lymphgefäße meines Lebens reihen. Massig, beinahe rund in ihren freundlichen, geschlechtslosen und alterslosen Kitteln, sind sie mir überall begegnet. […] Sie verteilten sich mehr oder weniger gleichmäßig durch meine gesamte Welt, wie eine Nahrungsreserve, die an dieser oder jener Stelle des experimentellen Labyrinths, in dem ich lebe, auf mich wartete. […] Selbst ihre Brüste, immer viel zu groß, waren völlig neutral, weiß und sanftmütig träge, als wären sie lediglich zwei Kamelhöcker gewesen ohne die geringste Funktion hinsichtlich der Aufmerksamkeit der Männer. Denn diesen Köchinnen, Fahrkartenverkäuferinnen, Krankenschwestern, Kellnerinnen und Strümpfe-Repassiererinnen ging der Sex ebenso ab wie den Schränken, Ladenkassen oder Behältnissen zum Auskochen des Impfbestecks, die sie umgaben."
Surrealismus in der Mangelwirtschaft
Knapp hundert Jahre nach Erscheinen der "Magnetischen Felder", einer Gemeinschaftsdichtung von André Breton und Philippe Soupault, stellt sich "Solenoid" in deren surrealistische Tradition. Desgleichen finden sich Reverenzen an Stanisław Lem als den Grandseigneur der Science Fiction oder an Mihai Eminescu, der im 19. Jahrhundert die Tradition der literarischen Phantastik in Rumänien begründete. Unverkennbar ist auch der Einfluss von Tudor Arghezis Bukarester Phantasmagorie "Der Friedhof" von 1936, in der die Untoten den Aufstand proben. Von Arghezi borgt sich der Autor das Motto von "Solenoid", wonach das geliebte Buch keine Antwort auf die Fragen gebe, wie es heißt. Hat die Mangelwirtschaft unter Ceauşescu, der schlimmsten Diktatur im Nachkriegs-Osteuropa, zynischerweise den Surrealismus der rumänischen Literatur befördert? Mircea Cărtărescu hat immerhin die ersten 29 Jahre seines Lebens in der sogenannten Volksrepublik verbracht und Zuflucht in den unermesslichen Weiten seiner Phantasie genommen. Sowohl seinem Protagonisten Mircea aus "Orbitor" wie auch dem namenlosen Helden von "Solenoid" schreibt er dieselbe Bukarester Adresse mit dem entsprechenden Blick aus dem Fenster zu:
"Es war die Stadt, die ich von meinem Fenster in der Ştefan cel Mare aus sah, und die ich, wenn ich es denn geschafft hätte, Schriftsteller zu werden, endlos beschrieben hätte, von einer Seite auf die nächste und von einem Buch ins nächste, menschenleer, aber voll von mir selbst, wie ein Netz von Gängen in der Epidermis irgendeines Gottes, in dem eine einzige, mikroskopisch kleine und durchscheinende Milbe mit Haarfädchen an ihren widerwärtigen Stümpfen haust."
Buchcover: Mircea Cărtăresc: "Solenoid"
Wer wird denn gleich in die Luft gehen? "Solenoid", der neue Roman von Mircea Cărtărescu (Paul Zsolnay Verlag)
Hier schreibt also ein verhinderter Schriftsteller, und zwar keinen Roman, sondern ein privates Journal. Dieses springt zwischen der Kindheit und der Gegenwart des Protagonisten hin- und her und gewährt allen Sujets die gleiche Berechtigung: Träumen, Ängsten, Lektürefrüchten mittelalterlicher Geheimschriften und tatsächlichen Erlebnissen in der tristen, reglementierten Außenwelt. So vertieft sich der Autor in extenso in die Lebensbeschreibungen von Mathematikern und deren Familien. Der sogenannte Zauberwürfel von Rubik entfaltet im Lehrerkollegium, das Cărtărescu mit köstlicher Ironie porträtiert, ein hohes Suchtpotential. Immer wieder kehrt die Erzählung zu einem Herbsttag des Jahres 1976 zurück: An diesem entscheidenden Datum trägt der Protagonist, inzwischen stolzer Student der Philologie, in einem Lesekreis an der Universität sein Epos namens "Der Niedergang" vor – und wird gnadenlos verrissen.
"Das Manuskript des Niedergangs trägt auch heute noch die Fingerabdrücke all derer, die damals darüber gesprochen haben. In hunderten schlaflosen Nächten habe ich daraufhin das immerzu gleiche phantastische Szenario durchgekaut: Ich habe alle diejenigen verfolgt und bestraft, die sich über meine Dichtung lustig gemacht und damit mein Leben zerstört haben. Ganz besonders aber räche ich mich schon seit vielen Jahren an dem einzigen Wesen, das mir hilflos und gefesselt, ein lebendiges, aber einfaches anatomisches Präparat, für alle Zeiten überlassen worden ist: an mir selbst."
Dieser Schock, diese öffentliche Demütigung ändern sein Leben. Paradoxerweise versichert der Ich-Erzähler fortan schreibend, dem Schreiben abschwören zu wollen. Dabei bleibt das Manuskript des "Niedergangs" neben den gesammelten Milchzähnen und einigen Fotografien sein wichtigster Besitz. Es fungiert als Heiligtum eines fortwährend als profan und unwichtig geschilderten Lebens.
"Warum verfügte ich nicht über genügend Selbstvertrauen, um mit überlegenem Lächeln über den Literaturkreis-Abend hinwegzugehen, warum fehlte mir die schier manische Überzeugung, gegen alle im Recht zu sein, wenn doch der Mythos des unverstandenen Schriftstellers so stark ist – selbst mit der ihm anhaftenden Dosis an Kitsch -, warum habe ich nicht machtvoller an meine Dichtung geglaubt als an die Wirklichkeit der Welt? Auf all dies habe ich jeden Tag meines Lebens eine Antwort gesucht."
Im Geheimreich der Insekten
Kein Gebäude im Roman ist kartographierbar, bei keinem lassen sich die Zimmer oder Stockwerke zählen. Vielmehr scheint es sich um unberechenbare lebende Organismen zu handeln. Dadurch hat der Rumänischlehrer, ein schüchterner Einzelgänger, jeden Tag erhebliche Mühe, seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Die merkwürdige Grundschule oszilliert in wechselnden matten Grüntönen. An ihren Wänden hängen die Porträts slowenischer Schriftsteller, lettischer Physiker oder kalmückischer Persönlichkeiten, wie es heißt – so genau weiß man das nicht.
"Die Flure scheinen kein Ende zu nehmen, obwohl die Schule klein ist. Immerzu biegt man im rechten Winkel ab, geht hinauf oder hinunter über Treppen, deren Betonmosaik nicht ordentlich gereinigt wurde. Man geht an WCs mit weit offen stehenden Türen vorbei, am Physiklabor, dem Biologielabor und am Kabinett des Zahnarztes. Seit drei Jahren irre ich nun über die Flure dieser Höhle, aber ich habe ihre Konfiguration noch nicht in Erfahrung bringen können. Auch heute verwechsle ich noch die Kataloge und lande in fremden Klassen. […]
Die Schaukästen mit den Klassenbesten befinden sich mal neben der Eingangstür, mal vor dem Sekretariat und mal ganz am Ende des hintersten Flures. Manchmal bleibe ich davor stehen: Die dreißig Fotos in sechs Reihen […] kommen mir in dem grünlichen Licht dermaßen gespenstisch vor, dass es mich stets schaudert. Es sind Larvengesichter, alle gleich und trotzdem jedes anders, als wären diese Schaukästen mit den Klassenbesten große Insektarien an den Wänden eines Naturkundemuseums."
Da prangen, kriechen und fliegen sie wieder – Mircea Cărtărescus geliebte Insekten. Bereits sein bisheriges Opus magnum, die Romantrilogie "Orbitor" – auf deutsch etwa "Blendung" –, prägt der Schmetterling als Symbol der Verwandlung. Die unförmige Raupe verpuppt sich zum symmetrischen Insekt, bestehend aus dem linken Flügel, dem Körper und dem rechten Flügel. Entsprechend heißen die Einzelbände im rumänischen Original. Die beseelte Apparatur des Schmetterlings wird von einem Heer von Co-Insekten flankiert, die fast auf jeder der knapp 2000 Seiten hervorkriechen. Der dritte Band von "Orbitor" erschien 2007.
Voller Körpereinsatz
Gut zehn Jahre nach dieser gewaltigen Anstrengung ist mit "Solenoid" nun die Stunde der Milben und Läuse gekommen. Bereits im ersten Satz beklagt sich der Lehrer, er habe sich im Unterricht erneut Läuse eingefangen. Als Junge wurde bei ihm als einzigem in der Klasse Tuberkulose diagnostiziert. Das machte ihn auf demütigende Weise erst recht zum Einzelgänger. Im Erholungsheim, das zu seinem persönlichen "Zauberberg" wird, findet er einen Verbündeten namens Traian. In Rumänien sind zwei Forscher berühmt geworden, die einen besonderen körperlichen Einsatz gezeigt haben: Zum einen Grigore Antipa, der Gründer des Bukarester Naturkundemuseums. Nach ihrem Tod ließen er und seine Frau ihre Urnen inmitten der Exponate aufhängen. Zum anderen der Pathologe Nicolae Minovici, nach dem das Institut für Gerichtsmedizin mit seiner mächtigen Kuppel benannt ist. Minovici wurde für seine riskanten Selbstversuche bekannt, mit denen er das kontrollierte Sich-Erhängen ausprobierte. In dieser durchaus makabren Tradition erweist sich "Solenoid" als Körpertext, der im Physischen Auswege aus der Wirklichkeit sucht.
"In Voila hatte ich dank Traian erfahren, dass mein Körper, wie es wahrscheinlich zuvor auch schon mal geschehen war, in einer unterirdischen Klinik einer Manipulation unterzogen wurde, an die ich mich überhaupt nicht erinnern konnte, von der meine späteren Träume aber mittels ihres erschreckenden Bildervorrats Zeugnis ablegen sollten."
Rendezvous im Schweben
Zweimal verliebt sich der Protagonist im Roman. Zu Anfang in ein Haus in Gestalt eines Schiffes, das er einem alten verschrobenen Erfinder abkauft. Das windschiefe Gebäude wird von einem Turm gekrönt, in dessen Mitte ein verstaubter Zahnarztstuhl thront. Der Erfinder prahlt damit, unterhalb des Hauses einen Solenoiden vergraben zu haben, den er aus Basel kommen ließ. Doch erst der Physiklehrerin Irina, die mit ihrem Kollegen zielstrebig eine Liaison eingeht, ist es gegeben, die titelgebende Magnetspule in Aktion zu bringen. Damit eröffnet sich für den Protagonisten, der Levitation bis dahin nur auf dem Fahrrad oder in der Badewanne erlebt hat, eine neue Welt.
"Als ich aus dem Bad zurückkehrte, fand ich Irina mitten im Zimmer. Und nicht etwa, weil sie aus dem Bett aufgestanden und im Zimmer herumgelaufen wäre, sondern weil sie, nackt und blau angelaufen, einen Meter über dem Bett schwebte, die Hände unter dem Kopf und das blonde Haar ihr durch die verschränkten Finger auf den Boden zu fließend. […] Sie streckte ihren Finger zu einem Ebonitknopf an der Wand über dem Bett, den ich nun zum ersten Mal bemerkte, drückte leicht darauf und sank langsam und wie flatternd oder auf Wellen schwebend auf das zerknüllte Leintuch herab. […]. "Das ist der Solenoid", ging mir plötzlich durch den Sinn. Wieso hatte ich diesen Knopf bisher noch nicht gesehen, er war scharlachrot, wie die Brustwarze einer Frau, und von einer etwas dunkleren Aureole umgeben. Von dieser Nacht an […] schlief ich stets zwischen Bett und Zimmerdecke in der Luft schwebend und drehte mich von der einen auf die andere Seite, wie es ein Schwimmer im trägen lichtschimmernden Wasser getan hätte."
Mircea Cărtărescus bisherige Werke waren von einer negativen Strahlkraft durchdrungen, die ihn mit dem Exilphilosophen Emile Cioran verbindet: die Überzeugung von der heillosen Daseinsform des modernen, im Ketzertum befangenen Menschen. In "Solenoid" jedoch findet der bis dahin hoffnungslos einsame Protagonist durch Irina vom Ich zum Wir und versöhnt sich mit seiner Vergangenheit.
"Aber noch bevor ich mich über mein Schicksal als anonymer Rumänischlehrer in der traurigsten Stadt der Welt beklagte, frage ich mich stets, ob der berühmte Schriftsteller, dessen Niedergang eine Erhebung gewesen wäre, im Fundament seines Hauses einen Solenoiden eingebaut gehabt hätte. Hätte er zu levitieren vermocht, wenn seine überquellend mit Ruhm gefüllten Taschen ihn zu Boden gezogen hätten?"
Der verhinderte Künstler gründet mit Irina eine Familie, zu der er bedingungslos steht – selbst im Angesicht der finalen Apokalypse, ausgelöst durch das Zusammenspiel von sechs gewaltigen Solenoiden im Untergrund der Stadt. Wie die Insel Laputa in Jonathan Swifts Satire "Gullivers Reisen" hebt Bukarest am Schluss in den Himmel ab. Der Lehrer muss sich gegenüber der Göttin der Verdammnis rechtfertigen, die unter der riesigen Kuppel des pathologischen Instituts zu Gericht sitzt – auf einem etwa zwanzig Meter hohen Zahnarztstuhl. In der Schlussszene der Trilogie "Orbitor" war ebenfalls eine Riesin aufgetaucht: die rumänische Revolution als zehn Meter hohe Mädchengestalt mit Zöpfen und Folklorebluse, die von den Massen im sogenannten Palast des Volkes umgestürzt und geschändet wird.
Jetzt aber beginnt Mircea Cărtărescus wundersamer Romankosmos endgültig zu levitieren – mit einem verblüffenden, nach allem inszenatorischen Aufwand vielleicht etwas schlichten Happy End, das an dieser Stelle nicht verraten sei. Ernest Wichners hingebungsvolle Übersetzungsarbeit reicht bis zur Erfindung von Begriffen wie "Reisescu" oder "Zerknüllescu" im Glossar. Nicht zuletzt dieser vorzüglichen Leistung ist es zu verdanken, dass "Solenoid" völlig unbeschwert seine Wirkung ab sofort auch in deutschsprachigen Lesergehirnen entfalten kann – magnetische Langzeitfolgen nicht ausgeschlossen.
Mircea Cartarescu: "Solenoid"
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner
Zsolnay Verlag, Wien. 912 Seiten, 36 Euro.