Samstag, 27. April 2024

Archiv

Miró-Ausstellung in Zürich
Höhlenmalerei der Moderne

Der katalanische Maler und Keramiker Joan Miró hat auch auf Wände gemalt. "Mauer, Fries, Wandbild" heißt die Ausstellung im Kunsthaus Zürich und zeigt, wie sehr der Malgrund - die Keramikfliesen, die Jute, die unregelmäßige raue Mauer - das Bild mitbestimmen.

Von Christian Gampert | 07.10.2015
    Der Künstler Joan Miró im Juli 1981
    Der Künstler Joan Miró im Juli 1981 (AFP)
    Das ist wirklich eine gute Idee, Joan Miró als Wandmaler vorzustellen. Und das heißt dann auch: als Graffiti-Künstler. Der Einfall ist der Kuratorin Simonetta Fraquelli offenbar beim Betrachten jenes Bildes gekommen, das die Ausstellung eröffnet: da sieht man den Bauernhof der Familie Miró mit detailgenau dargestellten Mauern und Äckern und einem offenen Stall. Und obgleich dieses Bild (aus dem Jahr 1921) mit seinem hellen Mond atmosphärisch eher an Salvador Dalí erinnert, haben die Mauern für Miró eine enorme biografische Bedeutung gehabt: als Kind habe er immer an diese Wände gestarrt, wenn er sich gelangweilt habe, sagte er. Und das Erdige, Rauhe, Taktile, Greifbare sollte ja auch später in seinem Werk eine Rolle spielen: ästhetisch, weil die Malgründe sehr oft auf die tiefbraune Farbe der katalonischen Erde Bezug nehmen, der Heimat; politisch, weil jede Menge Mauern die Zukunft Spaniens versperrten, Gefängnismauern vor allem.
    Das Politische wird gleich als zweite Station dem Bauernhof gegenübergestellt, mit einem späten Werk, einem Triptychon aus dem Jahr 1974. Das weißliche Grau dieser drei Wände könnte in seiner schroffen Abstraktheit auch von Gerhard Richter sein; aber in der milchigen Gleichgültigkeit dieses Nirvana schwebt jeweils ein roter, blauer, gelber Farbfleck – und verzweifelt hingemalte schwarze Zeichen, Linien, sinnlose Botschaften, die beginnen und gleich wieder abbrechen. Das Bild heißt "die Verzweiflung des zum Tode Verurteilten" und nimmt Bezug auf die Hinrichtung des spanischen Anarchisten Puig Antich, der in der Spätphase des Franco-Regimes grausam mit der Garrotte hingerichtet wurde.
    Stilisierte Tiere und Fabelwesen
    Die Verzweiflung ist spürbar, vor allem, weil die Kuratorin die drei Bilder zu einem bühnenartigen Raum gruppiert hat, links, rechts, frontal. Man steht quasi in einer Kapelle – oder auch in einem schalltoten Raum, im klinischen Weiß einer Isolationszelle, wie sie es auch in Stammheim gab. Das ist grandios gemacht, und das entschädigt bei weitem für manche Nettigkeiten, die im weiteren Verlauf der Ausstellung zu sehen sind – ein weiteres, ebenfalls zum Raum gruppiertes Miró-Triptychon erweckt mit seinem Unterwasserblau nämlich den Eindruck, als solle hier für einen Schnorchelkurs in der Karibik Werbung gemacht werden.
    Die Ausstellung führt uns den Hunger als "Halluzinationsquelle" Mirós vor, der in den 1920er-Jahren klein und erdig begann und sich dann diese stilisierten Tiere und Fabelwesen ersann, die die katalonische Armut erträglicher machten. Das führt dann relativ schnell in jenes bunte, abstrahierte Traum- und Kinderland, für das Miró ja eigentlich berühmt ist. Andererseits zeigt uns die Ausstellung relativ überzeugend, dass Miró vor allem in den politisch bewegten 1930er- und 40er-Jahren, also in Bürgerkrieg und beginnender Franco-Diktatur, immer auf die Rauheit und Grobporigkeit der Leinwand gesetzt hat, um diesen muralen Effekt zu erzielen – als wären die Bilder ein Zeichen an der nächstbesten schrundigen Fabrikmauer. Jute, Masonit, Sackleinen, Hartfaserplatten, Sandpapier, Teer – auf solchen Materialien hat der oft als Gefälligkeitskünstler verschriene Miró gearbeitet. Die Themen werden meist als Serie durchexerziert – kein Wunder, das Typenarsenal an Mond- und Sonnenvögeln, Drachen, Kindergekrakel und kaulquappigen, mikrobenartigen biomorphen Formen bleibt ja über Jahre hinweg ähnlich
    Auffällig aber ist, dass Miró vor allem in politisch bewegter Zeit den Kontakt zur Basis suchte, zur Materie, Kies und Sand in die Bilder einarbeitete und so bedrohliche Stimmungen erzeugte, die dem ewigen Kindergeburtstag seiner späteren Jahre widersprechen. Die stilisierten Geschlechtsmerkmale und mit wenigen Strichen charakterisierten Figuren erinnern an A.R. Penck und Keith Haring, die sich bei Miró sicher einiges abgeschaut haben. Am Ende sehen wir diese riesigen Querformate, oft von Picasso beeinflusst, die Entwürfe für eine UNESCO-Keramikwand aus den 1950er-Jahren: eine Mond- und eine Sonnenwand. Das ist dann nicht mehr so aufregend wie der Beginn der Ausstellung. Aber dann gibt es ja noch jenes keramische Wandbild, das jetzt im Miró-Garten des Züricher Kunsthauses steht. "Vögel, die wegfliegen" heißt es. Im Sommer kann man da Kaffee trinken, jetzt ist es kalt. Und die Vögel sind schon im Süden.