Peter Clever, hat zur Korrektur der Hartz-IV-Gesetze aufgerufen. Wenn bei Missbrauchsfällen des Arbeitslosengeldes II eine Grenze von zehn Prozent überschritten würde, sei das ein sehr ernstes Alarmsignal. Clever betonte aber, dass legale Bezieher der Unterstützung nicht verunglipft werden sollten.
Klaus Remme: Wohl selten ist die vorläufige Bilanz einer politischen Reform zehn Monate nach deren Umsetzung so katastrophal ausgefallen wie im Fall Hartz IV. Das ist doppelt tragisch, handelt es sich doch nicht um irgendeine Reform, sondern, wie uns die Verantwortlichen immer wieder versichert haben, um die Schlüsselreform für das Schlüsselproblem des Landes: den Arbeitsmarkt. Inzwischen steht fest: die Reform läuft völlig aus dem Ruder. Die Zahl der Arbeitslosen ist gestiegen, die Zahl der Bedürftigen auch und die Kosten explodieren. Diese wurden für 2005 mit knapp 15 Milliarden Euro veranschlagt. Tatsächlich werden es wohl fast 26 Milliarden. - Am Telefon ist Peter Clever, stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit. Herr Clever, ich grüße Sie.
Peter Clever: Guten Morgen Herr Remme!
Remme: Es gibt jetzt den Vorwurf des Missbrauchs vieler. Ist dieser Missbrauchsvorwurf Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?
Clever: Ja, der Verdacht drängt sich regelrecht auf, aber es muss klar sein: Wenn wir über Missbrauch reden, ist das nicht eine Verunglimpfung derer, die die Hilfe der Gesellschaft und des Staates benötigen. Aber um diese Hilfe zu gewähren, muss der Missbrauch bekämpft werden und der Verdacht drängt sich deshalb auf, weil die Bundesagentur bei 390.000 Anrufen, die sie vorgenommen hat, und bei zehn Versuchen zu unterschiedlichen Tageszeiten an unterschiedlichen Wochentagen 170.000 Menschen - das ist fast die Hälfte - gar nicht erreicht hat. Da muss also wirklich nur ein sehr Naiver glauben, dass alle diese 170.000 gerade in Vorstellungsgesprächen waren.
Remme: Ich will noch mal auf diesen Missbrauchscharakter eingehen. Wenn nun jemand potenziell Nutznießer von Hartz IV ist und er nutzt diese Möglichkeit, ist ihm das anzulasten?
Clever: Es ist ihm überhaupt nicht anzulasten, wenn er seine Rechte auf legale Art und Weise wahrnimmt, aber wenn er selbstverständlich Einkommen verschweigt, das er hat, Vermögen verschweigt, das er hat, dann ist das ein Missbrauch und dieser Missbrauch muss bekämpft werden. Es gibt in der Tat Dinge, die bedürfen der Korrektur durch den Gesetzgeber, weil hier etwas stattfindet, was sicherlich so nicht gewollt war oder was aus dem Ruder gelaufen ist. Ich denke an die Zellteilung von Bedarfsgemeinschaften, die Trennung von Menschen, die formale Trennung, nur um in den Genuss der Unterstützungsleistung zu kommen. Hier darf man jemand, der die legalen Möglichkeiten nutzt, daraus keinen Vorwurf machen. Da ist der Gesetzgeber gegebenenfalls gefragt.
Remme: Glauben Sie, dass der Betrug oder der Missbrauch bei Hartz IV größer ist als bei anderen staatlichen Hilfsprogrammen?
Clever: Ich glaube es hat jetzt keinen Zweck zu spekulieren. Das Thema ist zu ernst. Wir sollen uns an die Fakten in Bezug auf das Arbeitslosengeld II halten und wenn der Betrug - ich habe es schon früher gesagt - eine Grenze von 10 Prozent sicherlich überschreitet, dann ist das ein sehr ernstes Alarmsignal. Da geht es um Milliarden, die brave Steuerzahler ausgeben müssen für Menschen, die Hilfebedürftigkeit vorgaukeln, und das geht nicht.
Remme: Herr Clever, ist Hartz IV reversibel?
Clever: Die Grundreform ist nicht reversibel und sie soll auch gar nicht rückgängig gemacht werden. Es sind aber eine Reihe von handwerklichen Fehlern vorgekommen, vor denen gewarnt wurde. Ich glaube einer der schlimmsten besteht schon in dem Etikettenschwindel des Begriffs Arbeitslosengeld II, weil das die Hemmschwellen hat sinken lassen. Jeder meint, es sei eine Versicherungsleistung, die er dort bekommt, für vorher gezahlte Beiträge. Das ist es aber nicht. Das ist aus Steuermitteln gezahlte staatliche Fürsorge. So hat man psychologisch natürlich den Weg auch bereitet, dass eine Mitnahmementalität Platz gegriffen hat, die sicherlich nicht der Intention der Reform entsprochen hat.
Remme: Wenn also grundsätzlich nichts zu ändern ist oder aber auch gar nicht geändert werden soll, wie kann man die Kosten dann in den Griff bekommen?
Clever: Ich habe ja gesagt, es gibt einige Veränderungsmöglichkeiten. Eine ganz gravierende sehe ich darin, dass die natürlichen Solidaritätsbande innerhalb der Familie durchschnitten worden sind. In einer Broschüre des Bundeswirtschafts- und -Arbeitsministeriums steht ausdrücklich - ich zitiere das mal -, "Eltern sind nicht zur Erstattung des Arbeitslosengeldes II verpflichtet, das ihre Kinder beziehen. Von diesem Grundsatz gibt es nur wenige Ausnahmen". Ich halte das in unserer Gesellschaft nicht für richtig. Wenn mein Sohn etwa - und ich gehöre zu den relativ Besserverdienenden - sich arbeitslos melden würde und bei mir zu Hause wohnt, könnte er mit mir einen Untermietvertrag machen und ich bekäme von ihm aus Staatskassen Miete und er bekäme Unterhalt bezahlt. Ich halte das für skandalös und das muss auch geändert werden.
Remme: Wenn sich nun viele Leute bedienen, sagen wir mal, mit einer Art Selbstbedienungsmentalität und die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, hat vielleicht das allgemeine Klima im Land dazu beigetragen? Wenn ich mir alleine das vergangene Jahr vergegenwärtige in einer Diskussion, wo Hartz IV gerade entstand, dann hatten wir die Debatte um absurde Managergehälter. Wir hatten Fälle - ich nenne mal die Namen Ahrens und Meyer -, die für eine Raffgiermentalität standen, und wir haben Konzerne, die auch legal und auf großer Ebene jedes Schlupfloch nutzen. Trägt das alles dazu bei?
Clever: Herr Remme, ganz sicher! Deshalb habe ich ja bewusst mal das Beispiel gerade genannt, das mich ganz persönlich betreffen würde. Ich gehöre zu den Besserverdienenden im Land und könnte hier tatsächlich mitnehmen, wenn mein Sohn arbeitslos wäre, was er nicht ist. Deshalb glaube ich schon, dass das dazu beigetragen hat. Ich finde es aber auch unangemessen, wenn etwa aus dem DGB Stimmen da sind, die davon sprechen, dass arbeitende Familienangehörige für ihre arbeitslosen Angehörigen in finanzielle Mithaftung genommen werden. Da wo der Staat die Gesellschaft bezahlen soll, wird von Solidarität gesprochen. Da wo innerhalb der Familie der gegenseitige Einstand gefragt ist, wird von finanzieller Mithaftung gesprochen. So werden auch die Wertemaßstäbe in einer Gesellschaft auf den Kopf gestellt und ich finde die DGB-Funktionäre sollten sich überlegen, wie sie hier tatsächlich agieren. Ich glaube unsere Gesellschaft braucht hier wieder eine klare Werteorientierung auch innerhalb der Familie.
Remme: Herr Clever, Sie kennen die Problemlage. Gibt es Indizien dafür, dass der Missbrauch bei Hartz IV im Osten des Landes höher ist als im Westen?
Clever: Nein, ich glaube dafür gibt es keine Indizien. Man muss nur sehen, dass im Osten aufgrund der unterschiedlichen Erwerbssituation mehr frühere Arbeitslosenhilfeempfänger waren als frühere Sozialhilfeempfänger. Gut verdienende Arbeitslosenhilfeempfänger sind durch die Hartz-IV-Reform schlechter gestellt worden als vorher Sozialhilfeempfänger besser gestellt worden sind, so dass hier eine gewisse Schieflage tatsächlich entstehen kann, aber das hat überhaupt nichts mit einer unterschiedlichen Mentalität in Ost oder West zu tun. Ich glaube die Mitnahmementalität ist gleichermaßen in Ost und West ausgeprägt und die Gesellschaft darf sich dies nicht gefallen lassen.
Remme: Wir haben jetzt viel über die Nachteile gesprochen, die diese Reform nach sich gezogen hat. Gibt es denn irgendwelche Vorteile, die wir seit Januar sehen können?
Clever: Ich glaube, dass die Bundesagentur in den Arbeitsgemeinschaften beginnt, Tritt zu fassen. Erinnern Sie sich daran, dass mit wirklich sehr schlechter Ausrüstung alles darauf fixiert war, zu Jahresbeginn nur das Geld auszahlen zu müssen. Man hat die Hilfe, die Unterstützung, die Beratung zurückstellen müssen, was aber Kernelement auch der Reform war. Wenn jetzt die Bundesagentur mit den Kommunen in den Arbeitsgemeinschaften einen vernünftigen Weg findet, das eigentliche Ziel der Reform, fördern und fordern, in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen, tatsächlich angeht, dann glaube ich sind wir auf dem richtigen Weg. Das ist auch das Entscheidende für uns. Wir wollen, dass alle Möglichkeiten, Menschen in Arbeit zu bringen, auch ausgeschöpft werden und alle Möglichkeiten, staatliche Leistungen abzuschöpfen, obwohl man nicht hilfebedürftig ist, ausgeschaltet werden.
Remme: Sie sitzen im Verwaltungsrat der Bundesagentur, haben am Beginn diese Telefonaktion angesprochen. 170.000 Menschen sind gar nicht erreicht worden. Hat man sich nun vorgenommen, darauf zu reagieren, da nachzusetzen, oder ist das ein Achselzucken?
Clever: Der Verwaltungsrat ist ja im Hinblick auf die Fürsorgeleistung formal und rechtlich zu gar keiner Mitwirkung befugt. Wir werden nur vom Vorstand sehr offen und transparent unterrichtet. So weit ich informiert bin, werden die Bemühungen fortgesetzt. Wenn man bedenkt, dass von denen, die man telefonisch erreicht hat, jeder Fünfte die Auskunft verweigert hat, weil es eine freiwillige Aktion ist, dann glaube ich ist auch dies nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme von Leistungsempfängern. Ich denke, dass die Erwerbsloseninitiativen, die jetzt dazu aufrufen, die Telefonnummern gegenüber der Arbeitsverwaltung zu verweigern, die Verhinderer sind, wirklich Arbeitslosen zu helfen durch die Arbeitsverwaltung. Auch hier muss man wirklich in sich gehen und überlegen, ob man nicht wirklich eine Politik betreibt, die nicht den Arbeitslosen dient, sondern die der Abzocke Vorschub leistet.
Remme: Der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit, Peter Clever. Herr Clever, ich danke für das Gespräch.
Clever: Vielen Dank Herr Remme!
Klaus Remme: Wohl selten ist die vorläufige Bilanz einer politischen Reform zehn Monate nach deren Umsetzung so katastrophal ausgefallen wie im Fall Hartz IV. Das ist doppelt tragisch, handelt es sich doch nicht um irgendeine Reform, sondern, wie uns die Verantwortlichen immer wieder versichert haben, um die Schlüsselreform für das Schlüsselproblem des Landes: den Arbeitsmarkt. Inzwischen steht fest: die Reform läuft völlig aus dem Ruder. Die Zahl der Arbeitslosen ist gestiegen, die Zahl der Bedürftigen auch und die Kosten explodieren. Diese wurden für 2005 mit knapp 15 Milliarden Euro veranschlagt. Tatsächlich werden es wohl fast 26 Milliarden. - Am Telefon ist Peter Clever, stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit. Herr Clever, ich grüße Sie.
Peter Clever: Guten Morgen Herr Remme!
Remme: Es gibt jetzt den Vorwurf des Missbrauchs vieler. Ist dieser Missbrauchsvorwurf Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?
Clever: Ja, der Verdacht drängt sich regelrecht auf, aber es muss klar sein: Wenn wir über Missbrauch reden, ist das nicht eine Verunglimpfung derer, die die Hilfe der Gesellschaft und des Staates benötigen. Aber um diese Hilfe zu gewähren, muss der Missbrauch bekämpft werden und der Verdacht drängt sich deshalb auf, weil die Bundesagentur bei 390.000 Anrufen, die sie vorgenommen hat, und bei zehn Versuchen zu unterschiedlichen Tageszeiten an unterschiedlichen Wochentagen 170.000 Menschen - das ist fast die Hälfte - gar nicht erreicht hat. Da muss also wirklich nur ein sehr Naiver glauben, dass alle diese 170.000 gerade in Vorstellungsgesprächen waren.
Remme: Ich will noch mal auf diesen Missbrauchscharakter eingehen. Wenn nun jemand potenziell Nutznießer von Hartz IV ist und er nutzt diese Möglichkeit, ist ihm das anzulasten?
Clever: Es ist ihm überhaupt nicht anzulasten, wenn er seine Rechte auf legale Art und Weise wahrnimmt, aber wenn er selbstverständlich Einkommen verschweigt, das er hat, Vermögen verschweigt, das er hat, dann ist das ein Missbrauch und dieser Missbrauch muss bekämpft werden. Es gibt in der Tat Dinge, die bedürfen der Korrektur durch den Gesetzgeber, weil hier etwas stattfindet, was sicherlich so nicht gewollt war oder was aus dem Ruder gelaufen ist. Ich denke an die Zellteilung von Bedarfsgemeinschaften, die Trennung von Menschen, die formale Trennung, nur um in den Genuss der Unterstützungsleistung zu kommen. Hier darf man jemand, der die legalen Möglichkeiten nutzt, daraus keinen Vorwurf machen. Da ist der Gesetzgeber gegebenenfalls gefragt.
Remme: Glauben Sie, dass der Betrug oder der Missbrauch bei Hartz IV größer ist als bei anderen staatlichen Hilfsprogrammen?
Clever: Ich glaube es hat jetzt keinen Zweck zu spekulieren. Das Thema ist zu ernst. Wir sollen uns an die Fakten in Bezug auf das Arbeitslosengeld II halten und wenn der Betrug - ich habe es schon früher gesagt - eine Grenze von 10 Prozent sicherlich überschreitet, dann ist das ein sehr ernstes Alarmsignal. Da geht es um Milliarden, die brave Steuerzahler ausgeben müssen für Menschen, die Hilfebedürftigkeit vorgaukeln, und das geht nicht.
Remme: Herr Clever, ist Hartz IV reversibel?
Clever: Die Grundreform ist nicht reversibel und sie soll auch gar nicht rückgängig gemacht werden. Es sind aber eine Reihe von handwerklichen Fehlern vorgekommen, vor denen gewarnt wurde. Ich glaube einer der schlimmsten besteht schon in dem Etikettenschwindel des Begriffs Arbeitslosengeld II, weil das die Hemmschwellen hat sinken lassen. Jeder meint, es sei eine Versicherungsleistung, die er dort bekommt, für vorher gezahlte Beiträge. Das ist es aber nicht. Das ist aus Steuermitteln gezahlte staatliche Fürsorge. So hat man psychologisch natürlich den Weg auch bereitet, dass eine Mitnahmementalität Platz gegriffen hat, die sicherlich nicht der Intention der Reform entsprochen hat.
Remme: Wenn also grundsätzlich nichts zu ändern ist oder aber auch gar nicht geändert werden soll, wie kann man die Kosten dann in den Griff bekommen?
Clever: Ich habe ja gesagt, es gibt einige Veränderungsmöglichkeiten. Eine ganz gravierende sehe ich darin, dass die natürlichen Solidaritätsbande innerhalb der Familie durchschnitten worden sind. In einer Broschüre des Bundeswirtschafts- und -Arbeitsministeriums steht ausdrücklich - ich zitiere das mal -, "Eltern sind nicht zur Erstattung des Arbeitslosengeldes II verpflichtet, das ihre Kinder beziehen. Von diesem Grundsatz gibt es nur wenige Ausnahmen". Ich halte das in unserer Gesellschaft nicht für richtig. Wenn mein Sohn etwa - und ich gehöre zu den relativ Besserverdienenden - sich arbeitslos melden würde und bei mir zu Hause wohnt, könnte er mit mir einen Untermietvertrag machen und ich bekäme von ihm aus Staatskassen Miete und er bekäme Unterhalt bezahlt. Ich halte das für skandalös und das muss auch geändert werden.
Remme: Wenn sich nun viele Leute bedienen, sagen wir mal, mit einer Art Selbstbedienungsmentalität und die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, hat vielleicht das allgemeine Klima im Land dazu beigetragen? Wenn ich mir alleine das vergangene Jahr vergegenwärtige in einer Diskussion, wo Hartz IV gerade entstand, dann hatten wir die Debatte um absurde Managergehälter. Wir hatten Fälle - ich nenne mal die Namen Ahrens und Meyer -, die für eine Raffgiermentalität standen, und wir haben Konzerne, die auch legal und auf großer Ebene jedes Schlupfloch nutzen. Trägt das alles dazu bei?
Clever: Herr Remme, ganz sicher! Deshalb habe ich ja bewusst mal das Beispiel gerade genannt, das mich ganz persönlich betreffen würde. Ich gehöre zu den Besserverdienenden im Land und könnte hier tatsächlich mitnehmen, wenn mein Sohn arbeitslos wäre, was er nicht ist. Deshalb glaube ich schon, dass das dazu beigetragen hat. Ich finde es aber auch unangemessen, wenn etwa aus dem DGB Stimmen da sind, die davon sprechen, dass arbeitende Familienangehörige für ihre arbeitslosen Angehörigen in finanzielle Mithaftung genommen werden. Da wo der Staat die Gesellschaft bezahlen soll, wird von Solidarität gesprochen. Da wo innerhalb der Familie der gegenseitige Einstand gefragt ist, wird von finanzieller Mithaftung gesprochen. So werden auch die Wertemaßstäbe in einer Gesellschaft auf den Kopf gestellt und ich finde die DGB-Funktionäre sollten sich überlegen, wie sie hier tatsächlich agieren. Ich glaube unsere Gesellschaft braucht hier wieder eine klare Werteorientierung auch innerhalb der Familie.
Remme: Herr Clever, Sie kennen die Problemlage. Gibt es Indizien dafür, dass der Missbrauch bei Hartz IV im Osten des Landes höher ist als im Westen?
Clever: Nein, ich glaube dafür gibt es keine Indizien. Man muss nur sehen, dass im Osten aufgrund der unterschiedlichen Erwerbssituation mehr frühere Arbeitslosenhilfeempfänger waren als frühere Sozialhilfeempfänger. Gut verdienende Arbeitslosenhilfeempfänger sind durch die Hartz-IV-Reform schlechter gestellt worden als vorher Sozialhilfeempfänger besser gestellt worden sind, so dass hier eine gewisse Schieflage tatsächlich entstehen kann, aber das hat überhaupt nichts mit einer unterschiedlichen Mentalität in Ost oder West zu tun. Ich glaube die Mitnahmementalität ist gleichermaßen in Ost und West ausgeprägt und die Gesellschaft darf sich dies nicht gefallen lassen.
Remme: Wir haben jetzt viel über die Nachteile gesprochen, die diese Reform nach sich gezogen hat. Gibt es denn irgendwelche Vorteile, die wir seit Januar sehen können?
Clever: Ich glaube, dass die Bundesagentur in den Arbeitsgemeinschaften beginnt, Tritt zu fassen. Erinnern Sie sich daran, dass mit wirklich sehr schlechter Ausrüstung alles darauf fixiert war, zu Jahresbeginn nur das Geld auszahlen zu müssen. Man hat die Hilfe, die Unterstützung, die Beratung zurückstellen müssen, was aber Kernelement auch der Reform war. Wenn jetzt die Bundesagentur mit den Kommunen in den Arbeitsgemeinschaften einen vernünftigen Weg findet, das eigentliche Ziel der Reform, fördern und fordern, in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen, tatsächlich angeht, dann glaube ich sind wir auf dem richtigen Weg. Das ist auch das Entscheidende für uns. Wir wollen, dass alle Möglichkeiten, Menschen in Arbeit zu bringen, auch ausgeschöpft werden und alle Möglichkeiten, staatliche Leistungen abzuschöpfen, obwohl man nicht hilfebedürftig ist, ausgeschaltet werden.
Remme: Sie sitzen im Verwaltungsrat der Bundesagentur, haben am Beginn diese Telefonaktion angesprochen. 170.000 Menschen sind gar nicht erreicht worden. Hat man sich nun vorgenommen, darauf zu reagieren, da nachzusetzen, oder ist das ein Achselzucken?
Clever: Der Verwaltungsrat ist ja im Hinblick auf die Fürsorgeleistung formal und rechtlich zu gar keiner Mitwirkung befugt. Wir werden nur vom Vorstand sehr offen und transparent unterrichtet. So weit ich informiert bin, werden die Bemühungen fortgesetzt. Wenn man bedenkt, dass von denen, die man telefonisch erreicht hat, jeder Fünfte die Auskunft verweigert hat, weil es eine freiwillige Aktion ist, dann glaube ich ist auch dies nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme von Leistungsempfängern. Ich denke, dass die Erwerbsloseninitiativen, die jetzt dazu aufrufen, die Telefonnummern gegenüber der Arbeitsverwaltung zu verweigern, die Verhinderer sind, wirklich Arbeitslosen zu helfen durch die Arbeitsverwaltung. Auch hier muss man wirklich in sich gehen und überlegen, ob man nicht wirklich eine Politik betreibt, die nicht den Arbeitslosen dient, sondern die der Abzocke Vorschub leistet.
Remme: Der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit, Peter Clever. Herr Clever, ich danke für das Gespräch.
Clever: Vielen Dank Herr Remme!