Eine Rentnerin spielt mit ihrem Hund im Park – auf dem Rücken trägt sie einen Schulranzen aus knallgelbem Leder; ein Mann fegt die Straße vor seinem Haus – er trägt einen orangefarbenen Ranzen; sechs Personen, Männer und Frauen, alt und jung, setzen am Ende des Spots ihren Schulranzen ab. "Werden Sie los, was Sie nicht loslässt" – so lautet der Aufruf der "Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs".
Die Vorsitzende Sabine Andresen: "Mit der Kampagne oder dem Aufruf adressieren wir erwachsene Betroffene, die in der Regel nicht mehr in der Schule sind. Und wir hoffen, dass sich auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen melden." Also Lehrerinnen, Hausmeister, Sozialpädagogen oder vielleicht sogar Eltern, die sich an frühere Vorfälle erinnern.
Damit will die Aufarbeitungskommission einen Eindruck davon erhalten, wie mit Grenzverletzungen und sexueller Gewalt in der Schule umgegangen wurde.
Täter nutzen das Machtgefälle aus
Erste Erkenntnisse gibt es bereits: Täter sind in vielen Fällen charismatische Führungspersönlichkeiten, deren Autorität niemand anzweifeln wollte. Oft wussten Kolleginnen und Kollegen von den Missbrauchstaten, sind allerdings nicht eingeschritten.
"Und für mich ist als Pädagogin natürlich die Frage, was lerne ich aus diesen Erfahrungen über das Klima an einer Schule. Ist Kritik auch möglich an einer charismatischen Lehrkraft, auch das wird in den bislang vorliegenden Berichten dokumentiert, es waren Persönlichkeiten, die als unangreifbar galten."
Lehrer nutzen oft das Machtgefälle zwischen ihnen und den Schülerinnen und Schülern aus. Sie setzen ihre Opfer mit Noten unter Druck, verpflichten sie damit auch zum Schweigen, machen sie sich gefügig. Eine Betroffene berichtet: "Was passiert denn, wenn ich jetzt nein sage, was passiert mit meinem Abi? Also der war maßgeblich wichtig für mein Abi."
Schule als Schutzraum
Schule ist allerdings nicht nur ein Tatort – Schule kann auch ein Schutzraum sein. So berichten Betroffene, die in ihrer Familie Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, dass sie Kraft gezogen haben aus guten Noten, aus Anerkennung in der Schule. Eine aufmerksame Lehrerin, ein Lehrer, der die Signale lesen kann, ist eine Rettung für betroffene Kinder und Jugendliche.
Die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen berichtet, "dass sie es als hilfreich empfunden haben, wenn eine Lehrerin überhaupt erstmal gefragt hat. Wie geht es Dir? Ich habe den Eindruck, etwas ist mir Dir. Kann ich Dir helfen? Dieses Fragen, dieses echte Interesse, und die Möglichkeit, der Lehrerin, wirklich zu helfen, das ist etwas, was die Schule auch kennzeichnen kann."
Betroffene können sich auf verschiedenen Wegen an die Aufarbeitungskommission wenden. Telefonisch oder schriftlich per E-Mail – die Anonymität wird gewahrt, falls gewünscht. Auch eine persönliche Anhörung ist möglich.
Eine Fallstudie soll sich dann explizit mit dem Thema "Sexueller Missbrauch in der Schule befassen", es folgt ein öffentliches Hearing – Betroffene berichten dort von ihrem Leidensweg, verantwortliche Schulpolitiker sollen zuhören.
Doch – warum eine solche Kampagne gerade jetzt? Wird sexueller Missbrauch nicht seit Jahren schon thematisiert, ist das Tabu nicht längst gefallen?
Sabine Andresen verneint. "Das mag jetzt denjenigen, die sich schon länger damit beschäftigen, so vorkommen, als ob es geradezu normal sei, über sexuelle Gewalterfahrungen aus der Kindheit zu berichten. Unser Eindruck ist aber ein anderer. Und das ist auch das, was Betroffene, die sich bislang bei der Kommission gemeldet haben, auch so erzählen."