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Misshandlungsvorwürfe
Britischer Turnverband in tiefer Krise

Zahlreiche britische Turnerinnen machen dem Turnverband schwere Vorwürfe. Sie hätten zu wenig zu Essen bekommen und seien gezwungen worden, trotz Schmerzen zu trainieren. Eine Sportlerin berichtet gar, in eine Abstellkammer gesperrt worden zu sein. Eine unabhängige Kommission soll nun die Vorwürfe überprüfen.

Von Imke Köhler |
Die britische Turnerin Amy Tinkler im Finale im Bodenturnen bei den Olympischen Spielen 2016.
Die britische Turnerin Amy Tinkler im Finale im Bodenturnen bei den Olympischen Spielen 2016. (imago sportfotodienst)
Amy Tinkler bei den Olympischen Spielen in Rio vor vier Jahren im Finale im Bodenturnen. Die damals 16-Jährige zeigt Doppeltwist, Doppelsalto, das, was die Weltklasse bietet. Sie gewinnt mit dieser Leistung Bronze – und lächelt. Aber es scheint eine Momentaufnahme zu sein, denn heute sagt sie:
Es sei unglaublich gewesen, aber sie würde die Medaille wieder abgeben, wenn sie dafür nicht das durchmachen müsste, was sie durchgemacht habe. Amy hat das Kunstturnen Anfang des Jahres an den Nagel gehängt, bis heute ist sie in psychologischer Behandlung. Zahlreiche Turnerinnen werfen dem Verband seelische Grausamkeit und Misshandlung vor und sagen, dass er eine Kultur der Angst etabliert habe.
Noch jahrelang Alpträume von Turnen unter Schmerzen
Dem Fernsehsender itv, der den Skandal publik gemacht hat, haben Athletinnen erzählt, dass sie sich vor Angst in die Hose gemacht hätten, andere haben offenbar auch noch Jahre nach Beendigung ihrer Karriere Alpträume, in denen sie unter Schmerzen turnen müssen. Amy Tinkler sagt, dass sie sich irgendwann gar nicht mehr getraut habe, über Schmerzen und Verletzungen zu sprechen, weil die Trainer sonst Stress gemacht hätten:
"Denn dann kannst Du für sie keine Leistung mehr bringen. Das hält ihr Ego nicht aus, wenn Du nicht mehr Topleistung bringst. Und dann erzählst Du nicht mehr, dass Du Schmerzen hast, weil Du befürchtest, dass sie dich dann anschreien oder ignorieren, weil sie damit nicht umgehen können."
Amy glaubt, dass bei ihr und ihren Teamkolleginnen viele Operationen nicht nötig gewesen wären, wenn sie mit ihren Trainern offen über Schmerzen hätten reden können. Ein Dauerthema war dagegen das Gewicht der Turnerinnen. Vielen ist über Jahre hinweg gesagt worden, dass sie zu fett seien, was sich in Essstörungen und einer verzerrten Selbstwahrnehmung niederschlägt. Francesca Fox hat sich zum Schluss sechs bis zehn Mal am Tag auf die Waage gestellt. Jetzt, Jahre später, hat sie Schwierigkeiten mit ihrem Kinderwunsch. Denn mit der Vorstellung, dass sich im Zuge einer Schwangerschaft ihr Körper verändern würde, kommt sie nicht klar.
Posttraumatische Belastungsstörung nach Karriereende mit 15
Bei Catherine Lyons, die ihre Turnkarriere schon mit 15 Jahren beendete, wurde eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Catherine sagt, sie sei gezwungen worden, trotz Verletzungen zu trainieren, habe im Trainingslager zu wenig zu essen bekommen und sei von den Trainern immer wieder angebrüllt worden. Das hat bei ihr schließlich zu Heulkrämpfen und zum Hyperventilieren geführt.
"Dann haben sie mich in eine Abstellkammer geschleift. Für ein sieben oder achtjähriges Mädchen war die relativ groß, aber sie war vollkommen leer. Ich war da ganz allein, und dann haben sie die Tür zugemacht."
Inzwischen ist in Großbritannien eine Beratungshotline eingerichtet worden, und eine unabhängige Kommission überprüft die Vorwürfe. Die Chefin des Turnverbands, Jane Allen, hat sich bei den Sportlerinnen entschuldigt. Allen wird ihren Posten im Dezember räumen – allerdings aus Altersgründen, wie sie betont, nicht wegen der aktuellen Vorwürfe.