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"Mission generell ist unser Ziel"

Vor der Eröffnung des 97. Deutschen Katholikentages in Osnabrück hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, die katholische Mission verteidigt. Mission sei generell Ziel der Kirchen. Zugleich gestand Zollitsch "jeder Religion, jeder Religionsgemeinschaft" das Recht zu, zu missionieren.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Heute wird der 97. Deutsche Katholikentag in Osnabrück eröffnet. Über 32.000 Dauerteilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich angemeldet. Als Gäste werden unter anderem Bundespräsident Köhler und Bundeskanzlerin Merkel erwartet. Mehr als 1.200 Veranstaltungen sind vorbereitet worden. So weit Frank Politz über den heute in Osnabrück beginnenden Katholikentag, auf dem Robert Zollitsch, der Erzbischof von Freiburg, erstmals nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz vor einem großen Publikum beim Hauptgottesdienst die Messe zelebrieren wird. Mit ihm sind wir nun per Telefon verbunden. Guten Morgen Herr Erzbischof.

    Robert Zollitsch: Guten Morgen!

    Spengler: Sie werden morgen Abend gemeinsam mit dem Augsburger Rabbiner Henry Brandt eine christlich-jüdische Gemeinschaftsfeier gestalten - als versöhnliches Zeichen, so heißt es. Wie sehr bedarf es dieses Zeichens? Wie sehr ist das Verhältnis zum Judentum getrübt nach der umstrittenen Karfreitags-Fürbitte des Papstes?

    Zollitsch: Ich habe gerne zugesagt zu dieser Gemeinschaftsfeier, weil mir sehr viel an einem guten Verhältnis zu den Juden, zu den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern liegt, die bei uns leben. Ich war auch schon mehrfach bei solchen Feiern und freue mich auf die Begegnung mit Herrn Brandt. Es ist nun tatsächlich so, dass die Neuformulierung der Karfreitags-Fürbitte für den alten Ritus, den tridentinischen Ritus, und die außerordentliche Form der Liturgie einige Irritationen ausgelöst hat, weil manche es so verstanden haben, als würde hier nun tatsächlich wieder der Gedanke der Bekehrung der Juden ausgesprochen. In Wirklichkeit ist es nicht so, sondern es geht hier theologisch um die Hoffnung, dass am Ende aller Zeiten Christus alle zur Erkenntnis Jesu Christi führen wird. Das ist ein Gebet, das wir an Christus, an Gott richten, und nicht etwa jetzt eine Aufforderung zur Bekehrung. Aber ich bin froh, wenn ich die Möglichkeit habe, einfach darüber auch mit jüdischen Vertreterinnen und Vertretern in aller Ruhe und Sachlichkeit zu sprechen. Vor allem wird der Blick unserer gemeinsamen Feier viel stärker nach vorne schauen und rückwärts uns daran erinnern, dass Judentum und Christentum eine gemeinsame Wurzel haben und dass wir aus dieser gemeinsamen Wurzel nach vorne schauen sollen. Darum freue ich mich auf die Gelegenheit, das auch jetzt zur Sprache zu bringen.

    Spengler: Herr Zollitsch, sollte dieser Text der Karfreitags-Fürbitte noch einmal überarbeitet werden?

    Zollitsch: Ich bin dafür nicht zuständig. Das werden Sie verstehen. Ich hätte mir vorstellen können, dass der Text tatsächlich anders formuliert ist. Wenn man in einem Text mögliche Missverständnisse vermeiden kann, ist das immer besser, als wenn man dann stärker interpretieren muss.

    Spengler: Der Rabbiner Homolka, der auch nicht an dem Katholikentag teilnehmen wird - er hatte erst zugesagt -, hat gemeint es sei stillos, noch heute Mission anzustreben, und er unterstellt den Katholiken Mission. Ist es das, stillos?

    Zollitsch: Das ist für mich eine falsche Interpretation dieser Formulierung, denn von Mission ist darin nicht die Rede. Darum bedauere ich, dass man da manche Dinge hineininterpretiert hat, die gar nicht darin sind. Da es um diese Frage nicht geht glaube ich auch, dass wir dann auch nicht darüber diskutieren müssen, was man eventuell interpretieren könnte, aber was gar nicht damit gemeint ist.

    Spengler: Aber Mission generell ist nicht aufgegeben worden?

    Zollitsch: Nein! Mission generell ist unser Ziel und wir haben die Hoffnung, dass möglichst viele Menschen Christen werden, wie das auch andere Religionen haben. Das halte ich für sehr legitim. Man muss nur gucken, ob nun der Begriff Mission für manche dann vielleicht einseitig belastet ist. Ich persönlich halte ihn für einen richtigen, einen guten Begriff und ich gestehe jeder Religion, jeder Religionsgemeinschaft zu, dass sie daran interessiert ist, durch missionarische Tätigkeit und missionarisches Verhalten auch andere für die eigene Religion zu gewinnen.

    Spengler: Weil dahinter die Überzeugung steckt, einen überlegenen Glauben zu besitzen?

    Zollitsch: Ich werde nicht jedem Menschen vorwerfen, der für seine Überzeugung wirbt, dass er sagt "es ist eine überlegene Überzeugung". Aber ich gehe davon aus, dass er tatsächlich von dem, was er vertritt, überzeugt ist und das halte ich für notwendig, denn sonst könnte ich nicht Katholik, könnte ich nicht Christ sein, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass das der Weg ist, den uns Jesus Christus, Gott gezeigt hat.

    Spengler: Herr Erzbischof, Sie wollen als Katholische Kirche in der Gesellschaft sichtbarer, wahrnehmbarer werden. Sie selbst haben angekündigt, sich stärker einzumischen, Stellung zu beziehen. Müssten Sie dann nicht deutlicher Stellung beziehen zum Beispiel zur größer werdenden Kluft zwischen arm und reich in Deutschland?

    Zollitsch: Ich habe auch schon mehrfach dazu Stellung genommen, denn es ist ganz klar: Da haben wir ein drängendes Problem in unserer Gesellschaft.

    Spengler: Das ist keine gute Entwicklung?

    Zollitsch: Nein. Die Schere geht immer mehr auseinander. Das ist nicht nur bedauerlich; das ist sogar gefährlich für unsere Gesellschaft, denn die Gefahr besteht, dass wir immer weiter auseinanderdriften und dass der Konsens, den eine demokratische Gesellschaft braucht, oder der Grundkonsens zerbricht. Dort sehe ich eine sehr große Gefahr. Die Schere ist zu groß geworden und wenn nun tatsächlich, wie ja der neue Armuts- oder Reichtumsbericht das zeigt, zunächst etwa 12, 13 Prozent sowieso unter der Armutsgrenze sind und noch mal so vielen nur dadurch geholfen wird, dass der Staat einschreitet, dann ist da etwas falsch gelaufen in der Gesellschaft.

    Spengler: Sehen Sie da auch eine Mitschuld der Kirche, insofern Sie die Ungleichheit der Gesellschaft vielleicht zu sehr vernachlässigt haben?

    Zollitsch: Wir haben immer wieder darauf hingewiesen und haben auch damit mahnend den Finger erhoben. Aber vielleicht muss man manches noch häufiger sagen und noch deutlicher, als dass wir das getan haben.

    Spengler: Wo müsste die Priorität der Politik liegen? Bei der Hilfe für die Armen, oder bei der Hilfe für die Mittelschicht, die in die Armut abzurutschen droht?

    Zollitsch: Wir dürfen das nicht gegeneinander ausspielen. Die soziale Gerechtigkeit verlangt, dass jeder Mensch menschenwürdig bei uns leben kann. Infolge dessen müssen wir auf die gucken, die benachteiligt sind. Und es gilt zugleich darauf zu achten, dass die Mittelschicht, die ja das eigentliche Wirtschaftswachstum bei uns erwirtschaftet, nicht weiter in die Armutsgrenze abgleitet. Insofern ist einerseits die Hilfe für diejenigen, die an der Armutsgrenze leben, notwendig und es ist zugleich - etwa durch Steuergesetzgebung - der Schutz derer notwendig, die dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft überhaupt lebt.

    Spengler: Bedürfen die Familien eines besonderen Schutzes und haben sie den heute?

    Zollitsch: Die Familien müssen ganz besonders geschützt werden und es ist schlimm, wenn heute tatsächlich Familien, die zwei oder drei Kinder haben, damit ein Armutsrisiko eingehen. Wir tun zu wenig für Familien mit Kindern. Das ist eindeutig!

    Spengler: Was ist Ihr Rezept? Gehört dazu zum Beispiel eine Vermögenssteuer für Reiche, die es ja derzeit nicht gibt?

    Zollitsch: Das ist nun immer die Frage, wie wir das ganze im einzelnen austarieren wollen. Da muss man nun auch abwägen: Wie erreichen wir zum Beispiel durch falsche Steuergesetzgebung, dass noch mehr Leute abwandern und wir noch weniger Steuereinnahmen haben. Es geht vor allem hier um ein neues Bewusstsein - etwa dieses Bewusstsein, dass nicht nur, wie wir traditionell sagen, Eigentum sozialverpflichtet ist, sondern auch Kapital. Und mir scheint das erste zu sein, dass wir auf eine Bewusstseinsänderung in Deutschland hinarbeiten, nämlich dass jeder, der Besitz hat, der Geld hat, weiß, dass das sozial verpflichtet ist und er nicht nur in die eigene Tasche wirtschaften kann. Wenn wir das deutlicher machen glaube ich, dann werden wir auch wieder einen besseren Konsens in der Gesellschaft erreichen können.

    Spengler: Das klingt mehr nach Appell als nach Vorschriften.

    Zollitsch: Ja. Ich setze zunächst auf Appell und Überzeugung, denn wenn ich alles durch Vorschriften regeln will, dann kommen wir in der Gesellschaft nicht voran.

    Spengler: Ich möchte noch ein Thema ansprechen, das für die Katholische Kirche, Herr Zollitsch, sehr wichtig ist. Der Bundestag hat sein Votum, was die Stichtagsregelung zum Import von embryonalen Stammzellen angeht, verschoben, hat damit sozusagen sich gegen die Empfehlung der Katholischen Kirche gestellt. Geben Sie jetzt die Auseinandersetzung um diese Art von Forschung auf, oder stellen Sie sich auf einen langen Abwehrkampf ein?

    Zollitsch: Wir haben dort klar unsere Stellung bezogen und ich habe auch nachher feststellen dürfen, dass etwa nach der Abstimmung bei einer Umfrage in Deutschland 61 Prozent der befragten Bevölkerung gegen die Stichtagsverschiebung waren. Das heißt unsere Argumente wurden offensichtlich doch von vielen zur Kenntnis genommen. Ich stelle jetzt mit Schrecken fest, dass ein neuer Dammbruch in England geschehen ist.

    Spengler: Das ist für Sie ein Dammbruch?

    Zollitsch: Ja, das ist für mich ein Dammbruch, denn wenn es tatsächlich möglich ist, jetzt menschliche Zellen - Eizellen, Samenzellen - mit tierischen Zellen zu vermischen, das ist für mich ein Dammbruch. Das ist etwas Schreckliches, denn damit wird der Mensch einfach zur Verfügungsmasse gemacht und es ist nicht mehr die Achtung vor dem Menschen, die Würde vor dem Menschen da. Das ist für mich eine schreckliche Nachricht.

    Spengler: Ich will da noch mal nachfragen, Herr Zollitsch. Ich habe nachgelesen, Sie haben selber gesagt "die Grenze ist für Sie da erreicht, wo eben menschliches Leben beginnt, bei der Vereinigung von männlicher Samenzelle und weiblicher Eizelle". Davon kann jetzt im Fall Englands keine Rede sein. Es handelt sich ja ausdrücklich nicht um menschliche Embryonen, sondern in eine tierische Eizelle werden menschliche Hautzellen, wird eine DNA eingespritzt. Das ist sozusagen kein menschlicher Embryo. Ist das trotzdem für Sie ein Dammbruch?

    Zollitsch: Es ist richtig. Es geht hier nicht um menschliche Embryonen, dass Embryonen als solche nun umgebracht werden. Aber es geht darum, dass dann menschliche Zellen mit tierischen Zellen vermischt werden und wir damit uns selber zum Herren über Leben, auch über menschliches Leben machen. Damit ist dann auch wieder eine Grenze überschritten, denn wir sollten aus der Würde vor dem Menschen dann auch ganz klar wissen, was ein Mensch ist und dass wir nicht menschliche Zellen einfach willkürlich mit tierischen Zellen vermischen dürfen.

    Spengler: Aber wir machen uns doch in vielerlei Hinsicht bei der Bekämpfung von Krankheiten vielleicht nicht zum Herren über Leben und Tod, aber doch zum Herren über Krankheiten.

    Zollitsch: Ja. Wir haben den Auftrag, Krankheiten zu bekämpfen, und haben all das, was uns möglich ist, auch zu tun, um kranken Menschen möglichst wieder zur Gesundheit zu verhelfen. Da gibt es ja auch viele Möglichkeiten. Aber es gibt die Grenze dort, wo ich anfange, beim Menschen zu manipulieren und den Menschen einfach fast zu einem Materiallager mache. Da ist die Grenze überschritten.

    Spengler: Fürchten Sie, wenn Sie sagen "Dammbruch", dass dies auch irgendwann in Deutschland möglich sein könnte?

    Zollitsch: Im Augenblick kann ich mir nicht vorstellen, dass wir in Deutschland diesen Weg gehen würden. Aber England ist ja nicht das einzige Land in der Welt. Insofern ist in der Welt da schon etwas verloren gegangen an dem großen Respekt vor dem Menschen, menschlichen Leben, der dann großen Anlass zur Sorge bietet.

    Spengler: Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Bischof.