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Misslungener Auftakt mit gediegener Langeweile

Anlässlich zweier Premieren im Residenztheater in München ist die Bilanz des kernigen Kärntners Martin Kušej noch nicht so, wie es sich die nach einem ästhetischen Befreiungsschlag gierenden Gäste sicherlich wünschten.

Von Sven Ricklefs | 23.12.2011
    Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass das Emblem der kernigen Automarke Volvo stark an das erektive Männlichkeitssymbol erinnert? Ein wenig kurz der Pfeil nach rechts oben, aber sei es drum.

    Das Residenztheater fährt Volvo, steht auf den cool schräg geparkten Limousinen, die seit dem Antritt des neuen Intendanten Martin Kušej nun häufiger vor dem Portal des Münchner Residenztheaters stehen. Und: "Konflikt ist Treibstoff" oder "Neue Kraft für Katastrophen" waren nur zwei der ebenso markigen wie bedenkenswerten Sprüche, die in einer groß angelegten Plakataktion den Sommer über und damit vor Beginn dieser Spielzeit das Resi, wie es in München liebevoll heißt, im Stadtbild präsent machten.

    Markige Sätze und coole Schlitten, dieser Werbeauftritt ist genau das, was man mit dem kernigen Kärntner Martin Kušej assoziiert, der bekannt ist für seinen wuchtigen Zugriff auf Stücke, für seine Art eines Testosterontheaters, das sich zugleich auszeichnet durch einen sensiblen Spürsinn für die Themen dieser Welt.

    Und auch jenseits der wirkungsvollen Werbekampagne waren die Erwartungen des Münchner Publikums hoch. 30 Jahre lang hat Intendant und Regisseur Dieter Dorn das Münchner Theaterleben maßgeblich geprägt, davon die letzten zehn Jahre am Residenztheater. Und während nun ein Teil des Münchner Publikums nach einem ästhetischen Befreiungsschlag geradezu giert, nach so viel gediegener Langeweile, wollen die eingeschworenen Dieter-Dorn-Fans in ihrer Trauerphase nur nicht überfordert werden.

    Eine Quadratur des Kreises ist nichts dagegen, was Martin Kušej und sein neues Team da zu Beginn der neuen Intendanz eigentlich hätten leisten müssen, zumal Kušej dankenswerterweise Tabula rasa gemacht hatte und kein Stück und kaum Schauspieler aus der alten Ära übernahm.

    "Gyges und sein Ring", Friedrich Hebbels Märchenspiel vom Unsichtbarkeit schenkendem Schmuckstück, vom Zusammenprall von Aufklärung und Tradition mit tödlichem Ausgang war dieser Tage tatsächlich die 14. Premiere, die das Münchner Residenztheater in den letzten knapp drei Monaten gezeigt hat, elf davon sind Neuproduktionen, drei sind erfolgreiche Eigeninszenierungen, die Martin Kušej aus Berlin, Wien und Zürich mitgebracht hat.

    "Gyges und sein Ring" - ein wahrscheinlich zu Recht sehr selten gespieltes Stück, dessen gewisse Aktualität – immerhin steht das Thema Verschleierung im Mittelpunkt – eigentlich nicht über seine Altbackenheit hinwegtäuschen kann. Und so braucht das Werk wohl schon eine zupackende Regiehand, um sein Erscheinen auf der Bühne zu rechtfertigen. Genau die aber hat die junge Tiroler Regisseurin Nora Schlocker nicht wirklich zu bieten, die sich selbst ohnehin als Geschichtenerzählerin bezeichnet, sodass ihre Inszenierung von Hebbels Stück nun nicht wirklich mehr verbreitete, als gediegene Langeweile.

    Und so war dieser Gyges eine weitere Enttäuschung für all diejenigen die diesen Auftakt und zu respektierenden Kraftakt am Residenztheater mit Erwartungsfreude und Sympathie verfolgt haben und sicherlich auch weiterhin verfolgen. Denn sollte man Politikern die sprichwörtlichen 100 Tage lassen, so neuen Theaterteams eigentlich mehrere Spielzeiten, um sich wirklich in einer Stadt zu etablieren. Trotzdem aber kann man sagen, dass dieser Beginn ein eher glückloser war, was sicherlich auch an einigen dramaturgischen Entscheidungen lag. Ob nun "Gyges und sein Ring" oder die gleich mehreren sogenannten Well-made-Plays, die Martin Kušej seinem Publikum präsentierte und die mit ihrem argen politischen Botschaftscharakter eher plakativ daherkamen, sie alle konnten durch die jeweilige Regie nicht wirklich gerettet werden.

    Mit Nora Schlocker, Friederike Heller, Stephan Rottkamp oder Dusan David Parizek setzt Martin Kušej hauptsächlich auf jüngere Regisseure bis 40, die allerdings jetzt in München nicht wirklich ihre besten Arbeiten ablieferten. Kušej will sichtbar viel, auch sein Spielplan soll ein Spektrum abdecken, vom klassischen Repertoire bis hin zur interaktiven Performance, wobei die Betonung schon auf zeitgenössischer Dramatik liegt, die allerdings nicht per sé gleich immer gut ist.

    Und so wird von diesem Auftakt wohl eher ein Stück der klassischen Moderne im Gedächtnis bleiben, Horvaths "Kasimir und Karoline" wunderbar gespielt von Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek und inszeniert ausgerechnet von dem alten Dekonstruktionshaudegen Frank Castorf. Und dem neuen Team kann man einen ihre Werbesätze mit auf den Weg geben: "Krise heißt Höhepunkt" etwa, oder: "In der Nähe der Fehler liegen Wirkungen".