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Missstände in Russland Thema beim Petersburger Dialog

Der Russlandbeauftragte Andreas Schockenhoff lobt anlässlich des deutsch-russischen Petersburger Dialogs die Öffnung Russlands gegenüber Kritik von Nichtregierungsorganisationen. Diese sprächen Missstände sehr offen an. Gesprächsbedarf sieht auch Schockenhoff bei einigen Gesetzen.

15.11.2012
    Tobias Armbrüster: In Moskau hat gestern der sogenannte "Petersburger Dialog" begonnen. Das ist eine Art Ideenbörse für deutsche und russische Organisationen. In diesem Jahr steht diese Veranstaltung unter besonderer Beobachtung; das liegt auch an dem CDU-Politiker Andreas Schockenhoff. Er ist der offizielle Russland-Beauftragte der Bundesregierung und er hat die Politik in Moskau vor einigen Wochen regelrecht aufgebracht. Anlass war ein Papier, in dem er die innenpolitischen Missstände im Land kritisiert hat – unter anderem das harte Vorgehen gegen die Punk-Band Pussy Riot. Andreas Schockenhoff ist nun seit gestern mit dabei in Moskau beim Petersburger Dialog, und wir können jetzt am Telefon mit ihm sprechen. Schönen guten Morgen, Herr Schockenhoff.

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Schockenhoff, warum sollten sich unsere Hörer heute Morgen für die deutsch-russischen Beziehungen interessieren?

    Schockenhoff: Weil die deutsch-russischen Beziehungen ein vielfältiges Potenzial bieten für beide Länder, nicht nur wirtschaftlich, sondern eben auch gesellschaftlich, politisch. Russland ist der größte und wichtigste Nachbar der Europäischen Union und deswegen für alle Fragen, auch für die globalen Fragen, Klimaschutz, Terrorbekämpfung, unverzichtbar.

    Armbrüster: Herr Schockenhoff, Sie haben jetzt auf russischer Seite für eine Menge Ärger gesorgt, Sie gelten dort als unerwünscht. Wie kriegen Sie das zu spüren beim Petersburger Dialog?

    Schockenhoff: Das hat eine nicht genannte Quelle aus dem russischen Außenministerium gesagt. Ich habe gestern ganz gegenteilige Erfahrungen gemacht. Wir haben uns vor dem offiziellen Beginn des Petersburger Dialoges mit Vertretern der russischen Zivilgesellschaft getroffen, also die russische und die deutsche Arbeitsgruppe. Da waren über 60 Personen da, die geradezu begeistert waren, dass ihr Dialog in Russland einen Widerhall findet wie in Deutschland, weil sie sich als Teil einer europäischen Zivilgesellschaft brauchen und diese Vernetzung für sie so wichtig ist.

    Armbrüster: Können Sie denn, Herr Schockenhoff, auch mit Regierungsvertretern in Moskau sprechen?

    Schockenhoff: Selbstverständlich. Man darf dort bestimmte Äußerungen nicht überbewerten.

    Armbrüster: Das heißt, Sie würden sagen, das, was wir darüber gehört haben, dass dort Kritik an Ihren Äußerungen, auch an Ihrem Grundsatzpapier geübt wurde, das ist überbewertet?

    Schockenhoff: Es ist eine einzelne Äußerung, aber es hat heute schon in Russland dazu geführt, dass es Nachdenken gibt. Der Herr Fedotow, der Vorsitzende des russischen Menschenrechtsrates, hatte ein Gespräch mit Putin, vorgestern, und Herr Putin hat schon darauf hingewiesen, dass die genannten Gesetze, die als politische Gesetze die zivilgesellschaftlichen Organisationen behindern, nochmals überprüft werden, dass geschaut wird, wo sie in ihrer Tätigkeit eingeschränkt werden. Er hat Gesprächsbereitschaft signalisiert, deswegen hat sich schon im Vorfeld dieses auch öffentliche Eintreten gelohnt.

    Armbrüster: Ist das ein Erfolg, den Sie für sich verbuchen?

    Schockenhoff: Nein, das ist ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Und es gibt eben grundsätzliche Prinzipien, dass auch ökonomische und politische Kontakte ohne eine lebendige Zivilgesellschaft nicht auskommen. Denn es sind gerade aktive Bürger, die durch ihr Engagement Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, die Transparenz staatlichen Handelns garantieren, und das kommt letztendlich auch der wirtschaftlichen Entwicklung zugute. Denn ohne diese aktive und kritische Zivilgesellschaft gibt es eben keine Innovation, keinen Fortschritt von Wohlstand, auch von internationaler Zusammenarbeit.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal ein bisschen konkreter blicken auf das, was da seit gestern passiert beim Petersburger Dialog. Was ist bei diesem Treffen wichtiger? Sind das Menschenrechte oder wirtschaftliche Interessen?

    Schockenhoff: Man kann das nicht trennen.

    Armbrüster: Warum kann man das nicht trennen? Das sind doch zwei sehr unterschiedliche Aspekte.

    Schockenhoff: Die wichtigsten Rohstoffe Russlands, die wirtschaftlichen Grundlagen für eine gute Zukunft Russlands, sind eben nicht Öl und Gas; es sind die Menschen. Ohne lebendige, aktive Menschen, die eigenständig, kreativ sich auch einmischen, kann eine gute ökonomische Entwicklung nicht stattfinden. Deswegen ist dieser scheinbare Gegensatz zwischen Zivilgesellschaft und wirtschaftlichen Interessen völlig falsch, ganz im Gegenteil. Es gibt 6000 kleine und mittlere Unternehmen in Russland, die sagen, das Wichtigste, was wir brauchen, sind russische Partner, sind Mitarbeiter, sind kreative Partner, die Innovationen erst tragen. Modernisierung kann eben nicht nur technische Erneuerung sein; Modernisierung eines Landes muss systemisch sein, muss Rechtsstaatlichkeit, den Kampf gegen Korruption und für eine aktive Bürgergesellschaft mit einschließen. Sonst greift das zu kurz.

    Armbrüster: Und haben das die Politiker in Moskau verstanden?

    Schockenhoff: Es gibt auf jeden Fall jetzt eine offene Diskussion, die muss transparent sein und die muss wahrgenommen werden. Es wird sicher Einzelne geben, die das anders sehen, aber davon lebt auch ein Dialog, davon lebt Politik, davon lebt Wirtschaft und davon lebt auch Zivilgesellschaft, vom Wettbewerb der Ideen, und dass es eben nicht von oben nach unten eine starre, einförmige, vertikale Vermittlung auch von Meinungen und Positionen gibt, sondern dass Meinungen im Wettstreit um die besten Lösungen entstehen. Das ist doch das, was neue Ideen, Innovationen, auch technischen Fortschritt erst ermöglicht.

    Armbrüster: Aber, Herr Schockenhoff, ist es denn nicht genau das, was fehlt, was Sie da gerade beschreiben, dieser Austausch von Ideen, dieses Denken von unten nach oben? Ist es nicht genau das Gegenteil, was wir in Moskau und in Russland erleben, eine sehr starre Politik, die festhält an sehr alten, überkommenen Grundsätzen?

    Schockenhoff: Ja, es gibt in den letzten Monaten eine Serie von Gesetzen, die zivilgesellschaftliches Engagement nicht ermuntert, sondern eher behindert, die aktive Bürger als Bedrohung für den Staat, und nicht als Chance sehen, und genau das muss angesprochen werden. Und es gibt diese Menschen, die sich dagegen wehren. Wir haben die Bilder von den Demonstrationen gesehen. Es gibt aber zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen, die sehr offen Missstände auch ansprechen. Und gerade durch den Petersburger Dialog, der breit angelegt ist, der auch ein großes Medieninteresse hat, bekommt diese Diskussion in Russland die notwendige auch öffentliche Aufmerksamkeit. Deswegen ist es eine Chance und man braucht nicht am Ende auseinandergehen und in allen Fragen einer Meinung sein. Aber dass Russland ein Teil Europas ist, dass es auch eine europäische Zivilgesellschaft gibt, dass die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern in aller Öffentlichkeit stattfindet, das ist eine Chance und das bringt auch die Vielfalt der Meinungen in Russland zur Geltung, die sonst hier wenig wahrgenommen wird.

    Armbrüster: Herr Schockenhoff, wir hören jetzt, dass die russische Seite zu diesem Petersburger Dialog immer häufiger handverlesene Organisationen einlädt, Organisationen, die im Grunde regierungstreu sind und überhaupt nicht unabhängig. Wie viel Sinn macht eine solche Veranstaltung dann noch?

    Schockenhoff: Mein Eindruck ist, dass es eher umgekehrt ist, dass das früher das übliche Vorgehen war, dass wir aber heute – und ich kann das für die Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft sagen, in der ich arbeite – doch eine sehr viel offenere Teilnehmerliste gibt. Es sind auf russischer Seite eben nicht nur regierungsnahe Vertreter da, sondern es sind aus allen Bereichen bürgerschaftlichen Engagements, von sozialen Tätigkeiten über Umweltaktivitäten bis hin zu Menschenrechtsorganisationen, viele vertreten in einer großen Bandbreite. Ich glaube, dass es hier eine Öffnung gibt, und der Petersburger Dialog findet eben nicht nur hinter verschlossenen Türen statt, sondern hat eine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, und wir haben wie gesagt gestern im Vorfeld auch eingeladen, sehr viel breiter, weil die Teilnehmerzahl beim Petersburger Dialog selbst beschränkt ist, und ich glaube, dass die Aufmerksamkeit, die auch durch die Reaktionen der russischen Regierung erfolgt ist, schon heute dafür gesorgt hat, dass es eben kein interner Dialog bleibt.

    Armbrüster: ... , sagt der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff von der CDU. Besten Dank, Herr Schockenhoff, für das Gespräch heute Morgen.

    Schockenhoff: Bitte schön, Herr Armbrüster. Schönen Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Linktipp:
    Petersburger Dialog