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Mit 16 Hochschuldozentin

Im Gymnasium besucht sie die 11. Klasse. In ihrer Freizeit spielt sie gerne Klavier und Tennis – und geht regelmäßig in die Labors und Seminarräume der Hochschule Biberach in Oberschwaben. Carina Lämmle ist gerade einmal 16 und damit die jüngste Lehrkraft Deutschlands.

Von Thomas Wagner | 22.12.2011
    "Ich bin unter 18. Ich darf noch gar nicht in die Disco, ganz generell."

    In die Disco darf sie zwar noch nicht. Aber als Hochschuldozentin arbeiten – das geht bereits: Carina Lämmle ist 16 Jahre alt – und doziert vor gut einem Dutzend Studierender in einem nüchternen Seminarraum der Hochschule Biberach über Tabletten-Extraktion und die Anreicherung von Lösungsmitteln mit grünem Äther:

    "Ich hoffe, dass wir kurz zusammen kriegen, wie wir das letzte Mal die Proben zusammengekriegt haben, weil das ja jetzt noch ein Schritt weiter geht."

    "Workshop zur Einführung in die massenspektrometrische Methode als wichtiger Bestandteil der instrumentellen Analytik" – für den Laien ist der Titel im Vorlesungsverzeichnis der Fakultät für pharmazeutische Biotechnologie ein echter Zungenbrecher. Der 16-Jährigen an der Tafel gehen die naturwissenschaftlichen Fachausdrücke dagegen mit Leichtigkeit über die Lippen.

    "Ja, ich denke, das ist über das Schülerforschungszentrum gekommen. Ich habe mich in der Schule auch schon immer dafür interessiert. Aber dadurch, dass es im Schülerforschungszentrum immer wieder total nette Betreuer gibt und auch andere Schüler, die sich dafür interessieren, ist es dazu gekommen, dass ich mich immer wieder mit bestimmten Themenstellungen befasst habe und auch bei "Jugend forscht", bei diesen Wettbewerben, mit gemacht hatte."

    Nicht nur mitgemacht, sondern auch gewonnen – mehrfach. Das Schülerforschungszentrum Südwürttemberg im nahegelegenen Bad Saulgau ist für Carina Lämmle zu einer Art zweiter Heimat geworden. Dort beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler so ganz anders als in der Schule mit Naturwissenschaften: Spannende Experimente statt Formeln pauken, Freude am Ausprobieren statt Notendruck – das begeistert auch Carina Lämmle. Ihr Steckenpferd: die Massenspektroskopie – ein hoch technisiertes Verfahren, mit dem unbekannte Substanzen in ihre Einzelstoffe zerlegt werden können. Und genau das kommt für die 16-Jährige einer spannenden Entdeckungsreise gleich, weil

    "das ein Riesenpuzzle ist, wo man eigentlich nie so genau weiß, was jetzt rauskommt, wo auch einiges schiefgehen kann. Also da ist keine Erfolgsgarantie dabei: Es kann das Erwartete rauskommen. Es kann was ganz anderes rauskommen. Ich denke, dass macht’s eigentlich spannend."

    Und so wird Carina Lämmle in einem Alter, in dem andere für den Mofaführerschein pauken, zur Massen-Spektroskopie-Expertin. Was sie in diesem Moment nicht wissen kann: Genau so jemand wird an der Hochschule Biberach verzweifelt gesucht. Dort steht zwar ein viele hunderttausend Euro teures Massenspektrometer in den Labors herum. Doch derjenige, der sich damit beschäftigte, hat längst den Job gewechselt. Während einer Führung für Schüler durch die Hochschul-Labors entdeckt Carina Lämmle das riesige, unförmige Gerät, stellt Fragen dazu; die Professoren sind darüber bass erstaunt und kommen zu dem Schluss:

    "Es liegt eine Begabung vor, ganz einfach. Das ist die geborene Naturwissenschaftlerin!"

    Chrystelle Mavoungou muss es wissen: Sie ist Professorin an der Fakultät für pharmazeutische Biotechnologie – und trifft Carina Lämmle im Rahmen der Schülerführung genau in jenem Moment, als sie händeringend jemanden für den Massenspektrometrie-Workshop sucht. Schnell keimt ein Plan: warum es nicht einmal mit der 16-Jährigen versuchen?

    "Schülerforschungszentrum, mehrere Preise, die gewonnen wurden, die Souveränität, die sie bringt, das Fachwissen – mich interessiert in erster Linie das Fachwissen. Mich interessiert in erster Linie, ob sie in der Lage ist, das Fach zu unterrichten, sodass die Studierenden am Ende das wiedergeben, das umsetzen können, was sie gelernt haben."

    "Da gibt man die Probe dann drauf. Und später kann man das mit Lösungsmitteln wieder eliminieren."

    Souverän steht die 16-jährige Carina Lämmle vor den Studierenden, erklärt geduldig die Zusammenhänge, zeigt anschauliche Grafiken. Sie macht einen guten Job, finden die Studierenden:

    "Wow, 16 Jahre, so gut drauf. So souverän, sicher – und vor allem: so viel Wissen! Das ist einfach unglaublich."

    "Es ist eher so, als würde jetzt ein Kommilitone einen Vortrag halten. Es ist eher so eine Art Dialog auf Augenhöhe."

    So Llia Mohov und Katharina Fischer, beide Studierende der Hochschule Biberach. Carina Lämmle selbst hat sich gut in ihrer Dozentenrolle eingefunden, gibt sich aber trotzdem bescheiden:

    "Ich denke, stolz ist das falsche Wort. Also ich denke, das ist jetzt vielmehr Erfahrung und nicht, dass ich da eine besondere Fähigkeit hätte."

    Schließlich gibt es auch noch ein Leben neben der Massen-Spektroskopie: Tennis spielen, Klavier üben, am Wochenende auf die Schulparty gehen - die junge Nachwuchswissenschaftlerin kann auch ein ganz normaler Teenager sein. Und ob sie das, was sie derzeit lehrt, später auch mal studieren möchte – das ist längst noch nicht ausgemacht:

    "Also ich werde relativ sicher studieren. Aber was ich direkt studiere, weiß ich noch nicht. Ich möchte mir das relativ offen lassen. Ich könnte mir natürlich etwas Naturwissenschaftliches vorstellen. Aber ich bin da nicht festgelegt."