Archiv


"Mit 331 Euro kann niemand hinkommen"

Elke Durak: Sachsen ist seit den Landtagswahlen und den neun Prozent NPD, spätestens mit dem NPD-Auftritt im Landesparlament angesichts des Gedenkens an die Opfer der Nazidiktatur in allen Medien. Am kommenden Wochenende garantiert auch wieder, wenn in der Stadt der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten vor 60 Jahren gedacht wird, unter anderem auch bei einer genehmigten NPD-Demonstration, zu der über 3000 Anhänger erwartet werden. Die politische Debatte um die Ursachen von Rechtsextremismus hält an, Stichwort: Nährboden soziale Lage. Dresden also an diesem Wochenende. Uwe Steimle ist Dresdner, lange nach dem Krieg geboren, bundesweit bekannt als Schauspieler in Fernseh- und Kinofilmen, der "Polizeiruf 110" beispielsweise, zuletzt auch "Heimat 3". Aber auch, und das nicht minder erfolgreich, als Kabarettist. Guten Morgen, Herr Steimle.

Moderation: Elke Durak |
    Uwe Steimle: Guten Morgen.

    Durak: Herr Steimle, die Dresdner haben ja seit jener Nacht in all den Jahrzehnten der Opfer dieser Bombardierungen immer wieder gedacht. Was ist heute anders im Gegensatz zur DDR-Zeit, beispielsweise?

    Steimle: Erstens ist es eben der 60. Jahrestag und dann ist das Wort Krieg leider Gottes schon wieder in greifbare Nähe gerückt. Das ist das Furchtbare, glaube ich schon.

    Durak. Wie meinen Sie das, in greifbare Nähe gerückt?

    Steimle: Wir haben uns schon so wieder an das Wort Krieg gewöhnt, ich erinnere nur an den Angriffskrieg gegen den Irak, dass das schon wieder relativiert wird. Man sagt sich, na gut, dann war das vielleicht auch nicht so schlimm. Über dieses Thema ist überhaupt noch nicht diskutiert worden. Was das nicht entschuldigt, um Gottes Willen.

    Durak: Sie sind auch Kabarettist, habe ich ja gesagt. Den Ostdeutschen sehr bekannt. Sie geben oder Sie halten, so empfinde ich es jedenfalls, den Ostdeutschen gerne den Spiegel vor, den Westdeutschen aber kein billiges Vergnügen. Ist dieses Thema, - Rechtsextremismus, wer wählt, weshalb, wie stark ist die Demokratie, um so etwas auszuhalten? -, ist das ein Thema für Sie als Kabarettist?

    Steimle: Ja, das ist immer ein Thema, natürlich. Man sagt ja auch, jeder Bissen ist Politik. Natürlich beschäftige ich mich damit. Aber es gibt eben, ich denke, es sind ja oftmals so Plattheiten, das geht so einfach über die Lippen, wenn man sagt, gegen Rechts. Ja, selbstverständlich, die meisten Menschen sind gegen Rechts. Oder wenn man sagt, Gesicht zeigen, auch das ist natürlich klar. Weder sind Ausländer zu schlagen oder ich sage einmal, oftmals erkennt man ja auch Menschen an ihrer Sprache und an dem, wie sie sprechen. Beispiel: Ausländerfreundlich, das ist ja genau das Gegenteil von dem, was man meint. Wenn ich jedem Menschen gleich gut zugetan bin, muss ich Ausländerfreundlichkeit nicht betonen. Auch das ist der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben. Es geht um eine gewisse Normalität und natürlich ist die Bombardierung auf Dresden ein Kriegsverbrechen gewesen, das ist die eine Wahrheit und die andere Wahrheit ist, dass wir den Krieg angefangen haben. In dem Kontext auch die volle Wahrheit zu sagen, das sollte man tun. In der DDR wurde gelernt, der 8. Mai ist der Tag der Befreiung. In der Bundesrepublik ist das der Tag der Niederlage. Sprechen ist Denken und dort geht es los!

    Durak: Bricht jetzt hier auf in Sachsen, am Beispiel Sachsen unter anderem weil die NPD sich dieses Bundesland auch ausgesucht hat, bricht hier auf, was in der DDR-Zeit versäumt wurde?

    Steimle: Nein, bricht nicht auf. Ich habe noch einmal nachgeschaut. Eine der letzten Studien 1989 besagt, 10 Prozent waren trotz verordnetem Antifaschismus latent rechts. Man fand die Menschen meistens in Eliten, auch das ist ein Phänomen, beziehungsweise gar keins, es ist eben gewisse Normalität. Eine Gesellschaft, die setzt sich eben zusammen aus linken und rechten Kräften und dann gibt es den Kern, der ist in der Mitte und auf diesem haben wir zu wandeln. Wenn jemand rechts ausschert, dann ist das bitter, aber das gehört dazu, das müssen wir aushalten. Insofern sind wir in Sachsen überhaupt kein Paradebeispiel und schon gar nicht zu vergleichen mit Platituden, zu viel Rotlicht macht braun. Das ist nicht in Ordnung, man hat sich mit der Geschichte auseinander zu setzen.

    Durak: Ja und mit der Gegenwart. Wir kennen die Vorwürfe und die Klage des bayerischen Ministerpräsidenten, die von vielen ja geteilt wird, dass die schwierige soziale Lage Extremisten begünstigt. Herr Stoiber führt es ja noch weiter, macht im Grunde die Bundesregierung dafür verantwortlich. Für wie wichtig halten Sie das soziale Umfeld, die wirtschaftliche Lage und die Möglichkeit der Betroffenen, sich an die Parteien zu wenden, ihnen zu helfen. Ist das so, wie Herr Stoiber das sagt oder nicht? Wie sehen Sie das?

    Steimle: Antwort auf die letzte Frage: Herr Stoiber hat Recht, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und die soziale Lage, mit 331 Euro kann niemand hinkommen. Ich denke, es muss zu dieser Bewegung, die nun einmal angelaufen ist, nämlich die Globalisierung, auch eine Gegenbewegung geben. Heimat ist nicht globalisierbar und wir können hier nicht alle wegziehen. Das ist nicht in Ordnung. Wir haben den jungen Menschen verdammt noch mal wenigstens die Möglichkeit zu schaffen, dass sie einen Beruf erlernen können. Wir haben uns nicht damit zu trösten, zu sagen, na ja, in drei oder vier Jahren, da sieht es ja schon wieder ganz anders aus, da suchen wir händeringend. Wir brauchen hier Vorbilder und zwar Menschen, die das auch wirklich leben und den jungen Menschen eine Alternative geben, dass sie nicht wegwandern müssen. Hier vor Ort muss was geschafft werden. Ich sage noch mal: Heimat ist nicht globalisierbar! Die werden noch mehr Zulauf kriegen, wenn das so weiter geht.

    Durak: Sachsen gilt ja nun nicht gerade als Arme-Leute-Gegend innerhalb der neuen Bundesländer. Im Gegenteil, es ist sozusagen das ostdeutsche Musterländle. Dennoch neun Prozent NPD. Wie erklären Sie sich das?

    Steimle: Es ist wie gesagt eine Antwort auf fehlende Perspektiven: Jugendarbeitslosigkeit, gerade dort hinten in der Ecke Sächsische Schweiz. Obwohl ich das ehrlich gestanden, ich bin mehrmals dort gewesen, auch nicht begreife, dort sind so viele Flutgelder hingeschafft worden, dort geht es vielen besser als vorher, ich darf das sagen, ich habe mir das angeguckt. Aber es ist natürlich auch Protest, die etablierten Parteien, man sieht das ja auch am Sumpf, also diese ganzen Skandale, Diäten und Beraterverträge und was weiß ich. Die Leute sagen natürlich, wir haben kein Vertrauen mehr zu denen. Alleine das Wort Glaubwürdigkeit, das heißt, kann sein, kann nicht sein. Glaubwürdigkeit ist etwas für Banken und für Kirchen, die anderen sollten es mal mit Ehrlichkeit versuchen. 331 Euro das ist für mich, Entschuldigung, Terrorismus. Das kann man nicht machen. So kann man Menschen nicht entlassen und sagen, na ja, sieh mal zu wie es geht.

    Durak: Gebete, Kerzen, weiße Rosen. Der sächsische Verfassungsschutzpräsident hat die Bürger der Stadt und andere Sachsen, die in Dresden sind, aufgerufen, an diesem Wochenende zu demonstrieren und den Rechtsextremen und ihren Anhängern sozusagen die Straße zu nehmen. Sind das die wirksamen Mittel?

    Steimle: Das fällt wieder in Gesicht zeigen, das ist für den Moment ganz gut. Aber dauerhafter und besser wäre es, Arbeitsplätze zu schaffen und sich mit denen inhaltlich auseinander zu setzen, dann merkt man schon, wessen Geistes Kind die sind.

    Durak: Uwe Steimle, Schauspieler und Kabarettist. Besten Dank für das Gespräch.