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Mit aggressivem Spott

Zum "Bundesnonkonformisten" ernannte ihn Friedrich Sieburg, für Heinrich Böll war er ein "Nestbeschmutzer von Rang". Als einer der großen unbotmäßigen Intellektuellen der Nachkriegszeit wurde der Journalist Erich Kuby früh zu einer Legende.

Von Christian Linder | 28.06.2010
    Wir werden nie wieder seinesgleichen sehen, lautet die beliebte Nachrufsformel auf ein sogenanntes "Urgestein". Der Journalist und Schriftsteller Erich Kuby war ein solches Urgestein der alten Bundesrepublik. In der jungen, nach dem Zusammenbruch des Hitler-Deutschlands bald wieder florierenden Adenauer-Republik eckte Kuby mit seinen scharfen Attacken zum Beispiel gegen die Wiederaufrüstung an, weil er nichts vergessen hatte. Eines seiner Schlüsselerlebnisse notierte er als Soldat in Ostpreußen am 19. Juni 1943 in seinem Tagebuch. Noch ein halbes Jahrhundert später, als er aus den Tagebüchern vorlas, kam es ihm auf diese Stelle an:

    "Auf der Bank vor einem gelben Häuschen, hingeduckt unter großen Bäumen: Warum muss ich in ein Volk hineingeboren worden sein, das aus Wagner-Opern Geschichte macht?"

    Schon dem jungen, am 28. Juni 1910 in Baden-Baden als Sohn eines Landwirts geborenen Erich Kuby war die nationalistische Gesinnung des Vaters suspekt. Auch gegenüber der Mutter hatte er Vorbehalte – noch der 93-jährige Kuby konnte sich deutlich erinnern,

    "Dass ein Ludendorff in unserem Garten den von meiner Mutter kredenzten Kaffee getrunken hat und meine Mutter meiner jüdischen Mitschülerin Ruth keine Tasse Tee angeboten hatte, als ihr klar geworden war, dass zwischen uns eine Liebesbeziehung entstanden war."

    Den Zweiten Weltkrieg erlebte Kuby von Beginn an in Frankreich und Russland, "Mein Krieg – Aufzeichnungen aus 2129 Tagen" nannte er das 1975 erschienene Erinnerungsbuch. Da hatte Kuby auch einen großen Teil seiner Nachkriegskämpfe schon hinter sich. Von den Amerikanern nach 1945 in der Nachfolge Alfred Anderschs und Hans Werner Richters als Chefredakteur der legendären Zeitschrift "Der Ruf" eingesetzt, probte er seinen Aufstand gegen jeglichen Konformismus – sodass er den Amerikanern bald schon, wie seine Vorgänger, als zu unbotmäßig erschien. Kuby ging zur "Süddeutschen Zeitung" später zur "Welt", die er wegen Axel Springers konservativem Kurs bald wieder verließ, er schrieb daraufhin für den "Stern".

    Kaum eine Affäre der alten Bundesrepublik, die Kuby nicht mit seinem aggressiven Spott kommentiert hat – als "negativer Nationalist", wie er sich stets empfand. Ein unabhängiger Kopf, der – nachdem der "Stern"-Chefredakteur Henri Nannen Franz Josef Strauß eine Kolumne angeboten hatte – in Hamburg die Redaktion wechselte und im "Spiegel" gegen den "Stern" anschrieb – um später aber wieder zum"Stern" zurückzukehren. Bis er noch später wieder den "Stern" angreifen musste, nach der Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher.

    "Die Presse kann nicht besser sein als das Volk, und zwar nicht nur, weil das Volk die Kundschaft darstellt, sondern weil die Journalisten auch aus diesem Volk kommen. Deswegen sind eben Journalisten, die gegen den Strom schwimmen, eben doch eine Minderheit."

    Er schreibe, wie er atme, hat Erich Kuby einmal gesagt, und in dieser Haltung schrieb er vor allem über den von ihm gehassten, falschen Patriotismus der Deutschen oder gegen den Mythos der "Stunde Null". Da äußerte er sich auch in allen möglichen Genres, in Büchern, Hörspielen und Filmvorlagen – sein 1957 geschriebenes Drehbuch zu dem Film "Rosemarie – Des deutschen Wunders liebstes Kind", einer Darstellung der Doppelmoral des deutschen Wirtschaftswunders am Beispiel einer Frankfurter Edel-Hure, wurde ein internationaler Erfolg. Für Kuby selbst war von seinen rund vierzig Büchern "Mein Krieg", diese Aufzeichnungen aus 2129 Tagen, das Wichtigste.

    "Ein Einziger unter mehr als Hundert bewies eine gewisse sensible Intelligenz. Er hat nämlich geschrieben, dass alles, was dieser Kuby da durch die Jahre geschrieben hat, macht den Eindruck, als wäre er selber gar nicht der Beteiligte. Und daran ist etwas Wahres. Das betrifft ja nicht nur meine Stellung und mein Verhältnis zum Kriege als Soldat, sondern gewissermaßen mein ganzes Leben. Und das ist ja für einen Journalisten keine schlechte Qualität, dass man also sich nur sozusagen als ein beobachtendes Instrument fühlt."

    Die letzten Lebensjahre verbrachte Erich Kuby in Venedig, hat aber auch von dort aus bis ins hohe Alter – er starb mit 95 Jahren – die deutschen Zeitläufte kritisch kommentierend begleitet. Begraben liegt er auf der venezianischen Friedhofsinsel San Michele.