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Mit anderen Augen

Doktoranden aus nahen und fernen Ländern haben auf Einladung des DAAD den Bundestagswahlkampf und den Wahlabend verfolgt. Ein Ergebnis: Eine Wahlbeteiligung von 72 Prozent wäre in Japan sensationell - viel!

Von Daniela Siebert | 28.09.2009
    "The elections were boring, so we got drunk!"

    Said hat sich den Abend einfach schön getrunken, weil er die Wahl so langweilig fand. Der Iraner ist voll des Lobes für den Merlot in seinem Glas. Obwohl er sich auch breit grinsend für betrunken erklärt, beschreibt er sehr genau, was ihm im deutschen Wahlkampf und auch an diesem Abend total gefehlt hat:

    "Es passieren so viele wichtige Dinge auf der Welt! Aber Deutschland ist wie eine geschlossene Gesellschaft, die sich nur um nationale Probleme kümmert. Zum Beispiel jetzt in der Finanzkrise - die betrifft jeden auf der ganzen Welt – darüber reden die gar nicht! Die reden über deutsche Interessen. Dabei leben wir in einem globalen Dorf!"

    Dieses Manko sieht auch Alexej Gorin so. Der Russe ist studierter Philosoph und promoviert derzeit über Kant. Außer der Finanz- und Wirtschaftskrise haben ihm im Wahlkampf auch die Themen Migration, Wahlrecht für Migranten und Außenpolitik gefehlt.

    Positiv bewertet er den Erfolg von Angela Merkel. Denn um unsere Bundeskanzlerin beneidet uns der Russe ohnehin ein wenig:

    "Sie verkörpert in Person diese deutsche Einheit oder gelungene Integration. Und dann das sagt das auch viel über die Partei aus, die so eine Karriere von einer Frau aus der DDR möglich gemacht hat, deswegen glaube ich, für die Menschen ist das nicht nur so eine Muttergestalt, natürlich mit großer integrativer Kompetenz – wann wird das möglich in Russland? Das wär super in Russland, wenn eine Frau regieren würde."

    Einen Teil des Abends hat Alexej Gorin auf der Wahlparty der Linken in der Berliner Kulturbrauerei verbracht. Dort feierte die Partei ihr mit 11,9 Prozent bislang bestes Ergebnis auf Bundesebene. Entsprechend war die Stimmung:

    "Sehr, sehr positiv, die Leute freuen sich. Es war eine sehr nette Stimmung."

    Auch der Kanadier Frederik Peters aus Toronto war auf dieser Wahlparty und hat dort nicht nur freudige Reaktionen beobachtet:

    "Die jubeln und die freuten sich, sehen aber zur selben Zeit auch eine schwarz-gelbe Koalition und haben da eine gewisse Zurückhaltung."

    Die Linken hätten das gute Ergebnis zu einem guten Teil der Tatsache zu verdanken, dass die SPD in den neuen Bundesländern nicht so gut Fuß gefasst habe analysiert der Politologe. Dass nun aller Voraussicht nach Deutschland auch von den Liberalen mitregiert wird, findet der 41-Jrige bedenklich.

    "Ich würde sagen: die Lösungen für die sozialen Probleme werden brutaler. Die Sympathie, für was sozial hier angerichtet wird durch diese Krise, die ist nicht da."

    Frederik Peters hätte Deutschland weiterhin die Große Koalition gewünscht:

    "Ich dachte, das wäre für dieses Land jetzt gerade durch diese Krise die beste Lösung."

    Übrigens: Wer bei uns entsetzt ist über "nur 72 Prozent Wahlbeteiligung", der sollte mit Manami Kanehira reden. Die japanische Juristin, die sich in Tokio auf deutsches Verwaltungsrecht spezialisiert, hat für so eine Zahl nur ein müdes Lächeln übrig. Denn in ihrer Heimat ist die Wahlbeteiligung meist noch viel kleiner:

    "Ganz niedrig. Bislang 30 oder 40 Prozent. Aber diesmal war es 55 Prozent oder so etwas."

    Die 25-Jährige fand den Wahlabend wenig aufregend, vor allem weil sie hier einen Trend beobachtet hat, den sie schon aus Japan kennt:

    "Es war wie frühere Wahlen in Japan: Die Parteien nähern sich einander an zur Mitte."

    Unterm Strich charakterisiert Manami Kanehira deshalb alle Parteien in Deutschland als "sozialdemokratisch".

    "Auch die CDU? - Ja! - Und die FDP? - Auch!"