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Mit Antibiotika gegen die Strahlenkrankheit

Medizin. - Für Menschen, die eine lebensbedrohliche Strahlendosis abbekommen haben, gibt es kaum Hoffnung. Sie sterben nach ein paar Wochen an der Strahlenkrankheit. Medikamente dagegen gibt es nicht. Mehrere Forscherteams aus den USA arbeiten daran, so ein Medikament zu entwickeln. Forscher aus Boston stellen heute im Fachmagazin "Science Translational Medicine" einen neuen Ansatz vor.

Von Marieke Degen |
    Die Mäuse waren dem Tod geweiht. Forscher hatten die Tiere mit radioaktivem Kobalt bestrahlt, sieben Gray. Das würde keine Maus überleben. 24 Stunden später fingen die Forscher an, die Mäuse zu behandeln. Zweimal am Tag haben sie den Nagern ein paar Tropfen direkt in den Magen geträufelt und ihnen außerdem eine Spritze gegeben. Das ganze 30 Tage lang.

    "Dreiviertel dieser Mäuse, die wir so behandelt haben, haben überlebt."

    Ofer Levy forscht an der Kinderklinik der Harvard Medical School in Boston. Er und seine Kollegin Eva Guinan vom Bostoner Dana-Farber Cancer Institute
    wollen ein Mittel gegen die Strahlenkrankheit finden. Wenn Menschen oder Tiere extrem hohen Strahlendosen ausgesetzt werden, dann begehen die Zellen massenweise Selbstmord. Das Verdauungssystem versagt, und das Knochenmark bildet nicht mehr genug Blutkörperchen. Dadurch bricht auch das Immunsystem zusammen. Doch die Mäuse aus Boston haben überlebt – dank zweier verschiedener Antibiotika. Denn Antibiotika töten Bakterien. Und auch die spielen eine große Rolle bei der Strahlenkrankheit.

    "Durch die Strahlung wird die Darmschleimhaut zerstört. Und dann gelangen Darmbakterien in die Blutbahn, wo sie aber nicht hingehören."

    In der Blutbahn richten die Bakterien dann einen gewaltigen Schaden an, sagt Eva Guinan.

    "Erstmal stacheln die Bakterien die körpereigene Immunabwehr an und verursachen schwere Entzündungsreaktionen, die wiederum zu Problemen führen. Im Laufe der Zeit, wenn sich die Bakterien vermehrt haben, kommt es zu einer Sepsis – zu einer Blutvergiftung."

    Ein paar Bakterien im Blut – das ist für einen gesunden Menschen normalerweise kein Problem. Das passiert jeden Tag, zum Beispiel beim Zähneputzen. Die weißen Blutkörperchen können die Bakterien sofort ausschalten, mit Hilfe von BPI. BPI ist ein körpereigenes Antibiotikum. Es tötet die Bakterien aber nicht nur, sondern es verhindert auch, dass eine Entzündungsreaktion in Gang gesetzt wird. Das können andere Antibiotika nicht. Bei einem gesunden Menschen werden die Bakterien also ohne viel Tamtam entfernt. Bei Menschen, die verstrahlt worden sind, sieht das aber anders aus.

    "Ihr Immunsystem ist extrem geschwächt, weil die Strahlung das Knochenmark zerstört und dadurch nicht mehr genug weiße Blutkörperchen mit dem BPI hergestellt werden können. Gleichzeitig gelangen immer mehr Bakterien aus dem Darm in die Blutbahn. Also ausgerechnet dann, wenn die Patienten ihre Abwehrkräfte am dringendsten brauchen, haben sie keine."

    Die Forscher haben den Strahlenopfern – in dem Fall den Labormäusen - das BPI einfach gespritzt. Das geht, man kann das BPI schon lange im Labor herstellen. Das BPI alleine hat den Tieren aber nicht geholfen, sie mussten zusätzlich ein herkömmliches Breitbandantibiotikum schlucken. Aber dann haben dreiviertel der Mäuse überlebt.

    "Das Knochenmark der Mäuse hat sich schnell erholt, und war wieder in der Lage, weiße Blutkörperchen zu bilden."

    Die Bostoner sind nicht die einzigen, die an einer Therapie gegen die Strahlenkrankheit forschen. Es gibt schon eine ganze Reihe von Ansätzen. Meistens handelt es sich dabei aber um ganz neue Wirkstoffe, die – wenn überhaupt – nur an gesunden Menschen getestet worden sind. Eva Guinan und Ofer Levy setzen aber auf Medikamente, die bereits im Einsatz sind.

    "Mit den Breitbandantibiotika werden seit Jahren Patienten mit einer Sepsis behandelt, oder Patienten, deren Knochenmark im Rahmen einer Krebstherapie zerstört worden ist. Das künstliche BPI ist auch schon bei mehr als eintausend Menschen eingesetzt worden, die zum Teil schwer krank waren. Beide Medikamente werden also von Patienten vertragen, die zumindest einige der Symptome haben, die auch bei der Strahlenkrankheit auftreten."

    Die beiden Wissenschaftler sind also vorsichtig optimistisch, dass ihre Therapie auch verstrahlten Menschen helfen könnte.