Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Mit dem ESM gewinnen wir "ausschließlich Zeit"

Mit dem ESM steht Deutschland für die Schulden der anderen ein, sagt der Börsenmakler Dirk Müller. Die Zustimmung zum ständigen Rettungsschirm hätte Angela Merkel nur mit der Verpflichtung zur gemeinsamen Steuerung von Haushaltsführung geben sollen.

Dirk Müller im Gespräch mit Gerd Breker | 08.10.2012
    Gerd Breker: Die Troika verhandelt in Griechenland um konkrete Sparvorhaben der griechischen Regierung. Offenbar sind die drei sich nicht ganz einig in der Beurteilung, was zählt: die Ankündigung von Sparbeschlüssen oder die konsequente Umsetzung derselben. Klar ist nur: Griechenland braucht dringend die nächsten Hilfszahlungen. Klar ist auch: Das Land rutscht immer tiefer in die Rezession. Die Arbeitslosenzahlen erreichen Rekordwerte. Wenn nun morgen die Bundeskanzlerin nach Athen reist, dann hofft man dort auf ein Entgegenkommen, auf Zugeständnisse, die nicht nur in mehr Zeit bestehen können. Mehr und mehr wird der Euro für Griechenland zu einer rein politischen Frage. Soll Griechenland in der Eurozone bleiben, koste es, was es wolle?
    Nicht nur Griechenland, der gesamte Süden der Eurozone ist in der Rezession. Was macht da die Weltwirtschaft? Konjunkturmotor bis jetzt war Asien und die Schwellenländer, deutsche Exportziele par excellence. Mit großer Sorge schaut die Weltwirtschaft auf die Eurokrise und wartet ungeduldig auf das Ende derselben, aus Sorge um die Konjunktur. Derweil geht dem Motor Asien offenbar die Luft aus.
    Am Telefon begrüße ich nun den Börsenmakler und Buchautor Dirk Müller. Guten Tag, Herr Müller!

    Dirk Müller: Ja, guten Tag.

    Breker: Das Wachstum der Weltwirtschaft, wir haben es gerade gehört, leidet unter der Eurokrise. Da kann Deutschland nicht lange die Insel der Seligen bleiben?

    Müller: Ja, das ist zu befürchten. Das gelingt uns zwar im Augenblick noch, aber wir sehen, dass die Auftragseingänge auch in Deutschland massiv zurückgehen und vor allem die Investitionen in neue investive Ausgaben der Unternehmen. Das heißt, die kaufen keine Maschinen mehr, die kaufen keine neuen Fabrikgebäude mehr. Das ist momentan deutlich rückläufig und wir hören auch aus der Industrie, dass sie sich auf schwierige Zeiten einstellen, dass sie auf Absatzrückgänge sich einstellen. Die Umsatzwarnungen sind schon deutlich zu hören.

    Breker: Und die Eurokrise soll gelöst werden, das ist eine Forderung der Weltbank, eine Forderung des IWF, eigentlich der Rest der Welt fordert das. Nun werden wir heute den, wie einige meinen, historischen Tag erleben, dass der ständige Rettungsschirm eingerichtet wird. Heißt das, damit ist die Eurokrise gelöst?

    Müller: Leider nein. Was wir damit gewinnen ist ausschließlich Zeit. Vielleicht ist es wirklich ein historischer Moment. Was wir schaffen, sind die vereinigten Schulden von Europa. Das heißt, wir haften füreinander, wir stehen für die Schulden der anderen ein, und die Problematik besteht darin, dass wir nicht in gleichem Maße bei den anderen mitbestimmen dürfen. Wenn wir schon gemeinsam für Schulden aufkommen, wenn wir gemeinsam in die Haftung gehen wollen und sollen, dann ist es auch unbedingt nötig, dass wir auch über die Einnahmen gemeinsam entscheiden, die Einnahmen und Ausgaben gemeinsam steuern in einem föderalen System, in einem engen Zusammenschluss Europas. Nur dann wäre es sinnvoll. Wenn Sie mit Ihrem Nachbarn ein gemeinsames Konto machen, das würden Sie auch nicht tun, es sei denn, Sie haben auch eine gemeinsame Haushaltsführung, ansonsten funktioniert das nicht. Das führt am Ende für beide in die Katastrophe und leider sind wir auf diesem Weg, denn die Staaten lassen sich nicht reinreden und Merkel hätte – und ich verstehe nicht, warum sie es nicht getan hat – ihre Zustimmung zu all diesen Dingen wie ESM und diesen gemeinsamen Bürgschaften, aber auch jetzt die Entscheidung der EZB, massiv aufzukaufen, das hätte einhergehen müssen mit der Verpflichtung zu gemeinsamen Entscheidungen über die Haushaltsführung, aber das ist leider nicht geschehen.

    Breker: Nun ist ja die Troika aus Internationalem Währungsfonds, aus Europäischer Zentralbank und EU derzeit in Athen am verhandeln über den Sparkurs, über die Sparprogramme, und offenbar sind sie sich nicht einig. Das heißt, selbst wenn man versucht, Einfluss zu nehmen, wird das ungeheuer schwierig.

    Müller: Absolut! Und wenn, dann muss so etwas aus Griechenland selbst herauskommen, dass man sagt, wir möchten diese Hilfe, wir möchten auch diese Unterstützung, wir wollen gemeinsam mit euch über den Haushalt entscheiden. Aber da ist weder Griechenland noch eines der anderen europäischen Länder überhaupt bereit dazu, und deshalb macht es auch wenig Sinn, eine gemeinsame Haftung einzugehen. Auch eine gemeinsame Währung macht dann keinen Sinn. Eine gemeinsame Währung macht nur Sinn, wenn die Systeme halbwegs gleich sind. Idealerweise sind auch die Leistungsfähigkeiten sehr ähnlich, und da sind wir Welten voneinander entfernt. Von daher: So, wie wir es momentan machen, kann es nicht funktionieren. Europa muss zusammenwachsen, gar keine Frage, aber es muss richtig geschehen. Klar: Spanien und Griechenland, Italien, alle brauchen sie Strukturreformen, aber anzunehmen, dass, egal welche Maßnahmen diese Staaten treffen, sie irgendwann auch nur halbwegs die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erreichen, ist absolut naiv. Deutschland wird immer vorne anstehen. Wenn ein deutsches Unternehmen merkt, dass ihm ein spanisches oder italienisches Unternehmen auf die Pelle rückt, dann wird es natürlich ebenfalls die Anstrengungen erhöhen, Produktivität steigern, Löhne kürzen oder ähnliche Dinge tun. Also auch da wird deutlich, es ist ein Rennen zwischen Hase und Igel, das hier stattfindet, und das wird Deutschland noch lange, lange Zeit gewinnen. Also dieses Angleichen, diese Wettbewerbsfähigkeitswiederherstellung der südeuropäischen Staaten gegenüber Deutschland, damit eine gemeinsame Währung funktionieren kann, die ist vollkommen utopisch. Also wir müssen uns auf ganz andere Dinge konzentrieren. Europa zusammenwachsen ja, aber ob das mit einer gemeinsamen Währung geschehen muss, ist sehr, sehr fraglich.

    Breker: Nun reist die Bundeskanzlerin morgen nach Athen. In Griechenland, wir haben es eben gehört, erwartet man Zugeständnisse in Sachen Sparkurs. Da stellt sich die Frage, wenn Sie sagen, wir kaufen uns nur Zeit, können wir uns das überhaupt leisten?

    Müller: Eigentlich können wir uns das nicht leisten, denn wir gehen es vollkommen falsch an. Wir sprechen so allgemein über den Sparkurs. Wir müssen ganz klar unterscheiden: auf der einen Seite die Konsolidierung des Haushaltes, der Staat soll weniger ausgeben, auf der anderen Seite stehen Reformen, den Staat und überhaupt das ganze Wirtschaftswesen eines Staates zu reformieren. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge, die überhaupt nicht miteinander direkt in Zusammenhang stehen im positiven Sinne. Denken wir an Gerhard Schröder zurück, der seine Agenda 2010 umgesetzt hat, eine Reform des deutschen Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme, und er hat damals gesagt, ich kann in diese Strukturreformen hinein nicht auch noch den Haushalt konsolidieren. Beides geht nicht. Entweder ich konsolidiere den Haushalt, oder ich mache Strukturreformen, um das System für die Zukunft vorzubereiten. Man kann zur Agenda 2010 stehen, wie man will, aber das war die Entscheidung von Schröder und deshalb hat er sich bewusst diesen blauen Brief aus Brüssel kassiert, weil er eben nicht den Haushalt konsolidiert hat in Phasen der Reformen. Wir erwarten aber von den Griechen, Spaniern, Italienern, dass sie genau diesen Fehler machen, dass sie in die Reformen hinein auch noch hineinsparen. Wenn wir den Italienern und Spaniern zurecht sagen, Leute, ihr müsst euren Arbeitsmarkt reformieren, ihr müsst es wesentlich einfacher für Unternehmen machen, auch Mitarbeiter, auch junge Mitarbeiter freizusetzen, dann muss ich in diese Phase hinein investieren, damit die Unternehmen diese neuen Freiheiten nutzen, um neue Arbeitskräfte einzustellen. Aber wenn ich in diese Phase hinein spare, dann nutzen diese Unternehmen diese neuen Freiheiten natürlich nicht zum einstellen, sondern ganz im Gegenteil zum Rausschmeißen, und dann habe ich eine Menge Arbeitslose und eine Menge Armut produziert, aber ich habe nichts vorangebracht. Das ist mir vollkommen unverständlich, warum man dies zusammenwirft und sagt, Reformen und Sparen muss gleichzeitig stattfinden. Das kann nicht funktionieren und führt wie in Weimar in die Katastrophe.

    Breker: Wenn man investieren muss, Herr Müller, dann bedeutet das ja im Kern noch mehr Geld für den Süden der Eurozone.

    Müller: Das heißt auf jeden Fall, dass dort neue Maßnahmen geschaffen werden müssen. Das heißt, dass dort neue Strukturen aufgebaut werden müssen und auch neue Wirtschaftszweige entstehen müssen. Beispielsweise sitzt Griechenland auf mit den größten Öl- und Gasvorkommen ganz Europas. Das wird vollkommen totgeschwiegen und ich verstehe nicht, warum wir darüber reden, dass die Griechen Olivenöl anbauen sollen und Solarstrom erzeugen sollen, während die auf riesigen Gasvorkommen in der Ägäis sitzen und dort passiert nichts. Wieso nehmen wir nicht statt Milliarden an Fördergeldern und an Subventionen und an Sonderkrediten für Griechenland, warum nehmen wir in Europa nicht ein paar Milliarden in die Hand, um mit den Griechen gemeinsam diese Gasfelder an den Start zu bringen? Das wäre eine Maßnahme. Und da das weder thematisiert, noch irgendwo diskutiert oder gar umgesetzt wird, stellt sich schon die Frage, was für ein Süppchen spielen wir hier eigentlich wirklich mit unserer Südzone.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung des Börsenmaklers und Buchautors Dirk Müller. Mehr Geld für Griechenland, für Investitionen in Griechenland seine Forderung. Herr Müller, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Müller: Herzlichen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.