Archiv


"Mit dieser Geldpolitik werden statt weniger sogar mehr Arbeitslose produziert"

Heinemann: Die obersten deutschen Währungshüter sind nicht amüsiert über die ungebetenen Ratschläge der neuen Bundesregierung. Bundesbank-Vizedirektor Jürgen Stark meinte, manchen sei es wohl entgangen, daß die Unabhängigkeit der Bundesbank und der Vorrang der Preisstabilität inzwischen Verfassungsrang haben. Die Bundesbank werde diffamiert; gemeint sei aber die europäische Zentralbank. Nach Zinssenkungsforderungen von Finanzminister Oskar Lafontaine und seiner Ehefrau Christa Müller versucht nun auch der Bundeskanzler, Herrn Tietmeyer und seinen Kollegen ihren Beruf zu erklären. Die Bundesbank müsse begreifen, daß sie nicht nur für Geldwertstabilität, sondern auch für Wachstum und Beschäftigung Verantwortung trage. Er wolle das Gespräch mit der Bundesbank nicht öffentlich führen, sagte Schröder öffentlich. Auch Kanzleramtsminister Bodo Hombach, dessen wirtschaftspolitische Vorstellungen sich stark von denen des Finanzministers unterscheiden, hat Verständnis für eine stärkere Kontrolle der Bundesbank und künftig der europäischen Zentralbank signalisiert. Der "Welt am Sonntag" sagte Hombach, Notenbanken hätten garantierte Unabhängigkeit, aber sie seien auch kein "Blümlein rühr mich nicht an". Die Zinsen hätten durchaus Einfluß auch auf die gesamtwirtschaftliche Lage. Claus Noe, der Staatssekretär im Finanzministerium, hatte Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer zuvor eine vordemokratische absolutistische Politik bescheinigt, und der "Spiegel" berichtet heute, Oskar Lafontaine wolle Ernst Welteke, den Präsidenten der hessischen Zentralbank, im kommenden Jahr zum Nachfolger von Hans Tietmeyer berufen, damit auch ein deutscher Vertreter einer weniger harten Geldpolitik im europäischen Zentralbankrat vertreten ist. Das Finanzministerium hat diese Meldung als Spekulation bezeichnet. Am Telefon ist jetzt Otto Graf Lambsdorff, der Ehrenvorsitzende der FDP und frühere Bundeswirtschaftsminister. Guten Morgen!

    Graf Lambsdorff: Guten Morgen Herr Heinemann!

    Heinemann: Graf Lambsdorff, Tollpatschigkeit von Anfängern, oder soll hier die Führung einer hoch angesehenen Institution mürbe gemacht werden? Wie bewerten Sie die Kritik an der Bundesbank?

    Graf Lambsdorff: Ich denke, es ist beides und es ist sehr verwunderlich. Die Sozialdemokraten, die das jetzt betreiben, sollten sich einmal an das erinnern, was früher zwischen Sozialdemokraten und der Bundesbank ganz selbstverständlich war. Ich erinnere mich, als Bundesbankpräsident Karl Claßen, der ja auch ein persönlicher Freund von Helmut Schmidt war, außerdem ein Sozialdemokrat, verabschiedet wurde. Da waren wir zusammen in Frankfurt in der Bundesbank, und Helmut Schmidt sagte wörtlich: Die Zusammenarbeit zwischen der Bundesbank und der Bundesregierung hat nicht so gut geklappt, trotz der Unabhängigkeit der Bundesbank, sondern wegen der Unabhängigkeit der Bundesbank. - Wenn man jetzt Sozialdemokraten in den Zentralbankrat oder in das Direktorium berufen will, dann erinnere ich daran, daß häufig die härtesten Stabilitätspolitiker im Zentralbankrat und im Direktorium - ich könnte Namen nennen - Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei waren. Und die hatten auch völlig Recht, weil es einen deutlichen gesellschaftlichen Konsens in Deutschland gibt. Der gipfelt darin, daß die Bundesbank immer ein höheres Ansehen hatte - das mag die Bundesregierung oder ihre Mitglieder nicht gerne hören - als die Bundesregierung und daß jeder öffentliche Streit - das ist zwei-, dreimal vorgekommen - zwischen Bundesbank und Bundesregierung immer zugunsten der Bundesbank ausging. Insofern hat Herr Stark schon Recht. Da gibt es den gesellschaftlichen Konsens, da gibt es eine Institution, die inzwischen Verfassungscharakter hat, nämlich die Autonomie der Bundesbank. Natürlich kann man die Bundesbank kritisieren. Ich habe seinerzeit selber gesagt, die Bundesbank ist autonom, aber nicht sakrosankt. Was da jetzt an solchen Sprüchen kommt, ist doch überhaupt nicht neu.

    Heinemann: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie aber gegen die Personalie Ernst Welteke dann nichts einzuwenden?

    Graf Lambsdorff: Ich habe gegen die Personalie Ernst Welteke nichts einzuwenden. Man kennt ihn als Landeszentralbankchef, man kennt ihn als Mitglied des Zentralbankrates, wenngleich man dort selbstverständlich sein Abstimmungsverhalten nicht kennt. Das ist auch völlig in Ordnung, und das muß auch so bleiben. Im übrigen aber, Herr Heinemann, das ist ja schon völlig richtig. Die Bundesbank und ihre Funktion endet in wenigen Monaten. Dieser Angriff richtet sich gegen die europäische Zentralbank. Bei der europäischen Zentralbank ist die Position, nämlich die Unabhängigkeit, im Vertrag von Maastricht auf deutsches Drängen noch viel deutlicher festgeschrieben, auch die Aufgabe übrigens, die Preisstabilität zu sichern, viel deutlicher festgeschrieben als im Bundesbankgesetz. Der Vertrag von Maastricht kann von 16 Mitgliedstaaten nur einstimmig geändert werden. Das Bundesbankgesetz kann man mit einfacher Mehrheit ändern. Also es ist ganz klar, daß jetzt hier versucht wird, der Zentralbank schon vorher den Schneid abzukaufen und damit den Euro zu gefährden.

    Heinemann: Graf Lambsdorff, der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat in der "financial times" davor gewarnt, von einer Währung zu viel zu verlangen. Im Zentrum steht ja jetzt die Frage, ist Geldpolitik ein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit?

    Graf Lambsdorff: Nein, so wie es hier von Sozialdemokraten, vor allen Dingen von Oskar Lafontaine und Frau Christa Müller in deren Buch dargestellt wird, so ist Geldpolitik nicht ein Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Aber selbstverständlich trägt auch Geldpolitik im Gesamtstrauß der wirtschaftspolitischen Möglichkeiten dazu bei, für Beschäftigung zu sorgen. Das bestreitet doch kein Mensch, und daß auch die Zinshöhe etwas damit zu tun hat. Aber daß die deutsche Zinshöhe heute niedrig ist in Europa, zu den niedrigsten Zinssätzen in Deutschland gehört, daß wir der europäischen Zentralbank den Spielraum lassen müssen, um ein einheitliches Zinsniveau nach unten hin zu entwickeln, wenn es mit dem Euro losgeht, wenn das so weitergeht, Herr Heinamann, dann gefährden wir die Stabilität des Euro. Da soll sich niemand wundern. Kapitalanlagen, Geld, das ist eine sehr scheue Veranstaltung. Die springen sofort ab, die hauen sofort ab, wenn sie die Befürchtung haben, daß die Währung gefährdet wird. Die Inflationsfreiheit der deutschen Währung ist die größte sozialpolitische Tat der bisherigen Bundesregierung gewesen, und die Nachfolger sollten froh sein, daß sie das geerbt haben. Sie stöhnen ja sonst über die Erblast, meinetwegen auch in einigen Punkten mit Recht, aber hier haben sie wirklich einen Segen mit übernommen. Rentner, Sparer, Arbeitnehmer, Bezieher fester Einkommen werden am meisten getroffen durch eine die Inflation ermöglichende Politik, und Inflation ist nie tot; sie kann sehr schnell wiederkommen.

    Heinemann: Die Frage ist nur, wie hilft man den Arbeitslosen? Geldwertstabilität schafft offensichtlich keine Arbeitsplätze. Wir haben eine felsenfeste D-Mark, und vier Millionen Menschen suchen Lohn und Brot.

    Graf Lambsdorff: Ja, das ist richtig, aber die Geldwertstabilität gehört dazu. Wenn allerdings die anderen Voraussetzungen nicht geschaffen werden, dann kann es nicht funktionieren. Es wird ja immer wieder auf das amerikanische Beispiel verwiesen. Nun will ich erstens einmal sagen, ich bin seit 25 Jahren persönlich mit dem Chef der amerikanischen Notenbank befreundet. Ich kenne keinen Notenbankpräsidenten, der mehr auf Inflationsfreiheit und mehr auf Stabilität der Währung achtete, als es der Chef der amerikanischen Notenbank tut. Aber wer nach Amerika sieht, der muß doch wissen und kann doch erkennen, woran die niedrige Arbeitslosigkeit liegt. Dort gibt es die flexiblen Arbeitsmärkte, die uns von allen internationalen Institutionen für Deutschland immer wieder anempfohlen werden und die auch die vorige Bundesregierung nicht geschafft haben, weil sie nicht den Mut dazu gehabt hat. Da gibt es eine viel zurückhaltendere Tarifpolitik der Gewerkschaften. Dort gibt es niedrigere Steuern, niedrigere Abgaben, und eine Staatsquote von 36 Prozent. Hier liegt der Schlüssel, gemeinsam mit der Geldpolitik für Beschäftigung in Deutschland zu sorgen. Daran sollten sich Sozialdemokraten machen. Daran sollten sich Bundeskanzler, Finanzminister, Kanzleramtsminister und wer sich jetzt alles in ungebührlicher Weise dort mit der Bundesbank auseinanderzusetzen versucht beteiligen.

    Heinemann: Graf Lambsdorff, Sie sagten eben, die Bundesbank sei nicht sakrosankt. Wie kann denn die Bundesbank dazu beitragen, daß die Zahl der Arbeitslosigkeit zurückgeführt wird?

    Graf Lambsdorff: Die Bundesbank kann das tun was sie tun muß: Sie kann die Geldmengenversorgung so halten, daß die Wirtschaft nicht in Liquiditätskrisen kommt. Das hat sie immer getan; das tut sie auch jetzt. Es gibt daran überhaupt nichts zu kritisieren. Das macht ja auch keiner. Die Bundesbank kann im übrigen dafür sorgen, daß auch die Geldwertstabilität aufrechterhalten bleibt, denn auch das ist ein Faktor, der zur Sicherung der Beschäftigungssituation beiträgt. Es darf nicht so sein, Herr Heinemann, daß wir bei uns auf den Gedanken kommen, über leichtes Geld, über schwaches Geld wolle sich die Politik von ihren großen öffentlichen Defiziten und manchen Schwierigkeiten befreien. Es gibt übrigens auch in der Undustrie Menschen, die das für möglich halten, die sagen, ein bißchen Inflation tut uns so ganz gut. Das ist gefährlich für die kleinen Leute, und noch einmal: denn sonst haut das Kapital ab. Wissen Sie, in den 20er Jahren gab es einen schönen Spruch. Wenn Herr Lafontaine so weitermacht, dann wird der in Deutschland wieder Geltung bekommen. "Geld allein macht nicht glücklich; man muß es auch im Ausland haben". So wurde damals gesagt, aber das, bitte, wollen wir nicht wiederholt sehen.

    Heinemann: Oskar Lafontaine möchte die äußere Stabilität des Euro durch die Einrichtung von Zielzonen des Wechselkurses erreichen. Das heißt, die Zentralbank müßte dann den Euro gegenüber Dollar und Yen stabilisieren. Was bedeutete das A für die Zentralbank und B für den Euro?

    Graf Lambsdorff: Erstens ist es in der internationalen Diskussion nahezu eine Lachnummer. Für die Zentralbank bedeutet es zweitens, daß sie dann den Außenwert des Euro durch Intervention verteidigen muß. Das heißt, sie muß also in den Devisenmärkten intervenieren, und das heißt, sie muß mehr Geldmengen schaffen. Damit ist natürlich die Kontrolle der Geldmenge und über die Kontrolle der Geldmenge die Preiswertstabilität nicht mehr zu sichern. Deswegen haben auch mit Recht alle gesagt, angefangen von Herrn Duisenberg als dem zukünftigen Chef der europäischen Zentralbank bis hin zu den Mitgliedern des Zentralbankrates, diese Idee ist gefährlich, sie kommt überhaupt nicht in Frage, wir werden das nicht machen. Das ist ja auch international gar nicht durchzusetzen. Also Zielzonen wird es nicht geben, ebenso wenig wie feste Wechselkurse. Selbst das schwebt ja einigen vor. Wir sind längst an den Zeiten vorbei, wo man feste Wechselkurse in einem internationalen Verbund haben konnte. Das gibt es nicht mehr. Wir werden mit fließenden Wechselkursen weiterleben müssen, und das wird auch funktionieren.

    Heinemann: Graf Lambsdorff, die christlich-liberale Koalition ist gescheitert, weil so viele Menschen ohne Arbeit sind. Birgt die Tatsache, daß die meisten europäischen Länder jetzt von linken Regierungen geführt werden, nicht die Chance, daß man gemeinsam endlich mal etwas gegen die Arbeitslosigkeit tut, anstatt daß jeder vor sich hinwurschtelt?

    Graf Lambsdorff: Wenn man es vernünftig täte, wäre das sehr gut.

    Heinemann: Was heißt vernünftig?

    Graf Lambsdorff: Mit dem, was ich Ihnen eben gesagt habe, was die Vereinigten Staaten, was die Holländer, was die Briten uns vorgemacht haben. Noch einmal: flexible Arbeitsmärkte, vernünftige Tarifpolitik, das heißt zurückhaltende Tarifpolitik, das heißt niedrigere Steuern, das heißt niedrigere Abgaben, Staatsquote herunter, aber vor allem eben flexible Arbeitsmärkte. Das ist die ganz große Stärke der amerikanischen Wirtschaft und auch die ganz große Stärke des amerikanischen Arbeitsmarktes. Und wenn dann jemand in Deutschland sagt, in Amerika wäre der soziale Frieden - ich zitiere den IG-Metall-Chef Zwickel - ja nur durch die Strafvollzugsanstalten gesichert, dann ist uns nicht zu helfen. Dann werden wir weiter mehr Arbeitslose produzieren. Ich sage voraus: Diese Politik, die sich jetzt abzeichnet in den Äußerungen leider auch des Bundeskanzlers, von Herrn Lafontaine, selbst von Herrn Hombach und von anderen, wird zu mehr Arbeitslosen führen und nicht zu weniger Arbeitslosen.

    Heinemann: Der FDP-Ehrenvorsitzende und frühere Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff in den "Informationen am Morgen". Haben Sie vielen Dank und auf Wiederhören!