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Mit harter Hand gegen Religionskritiker

Die Punkrockerinnen von Pussy Riot wurden wegen Rowdytums zu zwei Jahren Haft verurteilt. Das war eine Hilfskonstruktion, denn Gotteslästerung ist bisher nur eine Ordnungswidrigkeit in Russland. Nun hat das russische Parlament in erster Lesung ein Gesetz verabschiedet, dass Blasphemie unter Strafe stellt. Dagegen regt sich Widerstand.

Von Thomas Franke |
    Eine Talkshow im ersten Kanal, dem russischen Staatsfernsehen. Zur besten Sendezeit macht Maxim Schewtschenko klar, wo die Mächtigen Russlands das Land gern hätten. Schewtschenko ist Journalist und Politikwissenschaftler und einer der Meinungsführer in der russischen Öffentlichkeit:

    "Ich denke, das Gesetz zum Schutz Gläubiger, zum Schutz der Religion in Russland ist ein sehr wichtiges Gesetz, das Grenzpflöcke einrammt zwischen uns und den gottlosen, antichristlichen Zivilisationen des Westens, die dem Menschen die Freiheit nehmen, die den Menschen vollständig der Gesellschaft und dem Herrschenden unterordnen. Uns ist gesagt: Seid Diener Gottes, aber nicht der Menschen. Daher habe ich keine Angst, dass das Gesetz unsere Gesellschaft spaltet. Ich denke, der Krieg läuft bereits, und in diesem Krieg ist dieses Gesetz die wichtigste Hilfe, die wichtigste Kraft für diejenigen, die Russland lieben und für Russlands Freiheit kämpfen."

    Die Staatsmedien Russlands verbreiten seit langem erfolgreich, dass Russland vom Westen bedroht werde. Liberale offene Gesellschaften stoßen auf Unverständnis und Ablehnung in weiten Teilen der Bevölkerung.

    Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der russisch orthodoxen Kirche, drückt sich etwas zurückhaltender aus. Er versucht, möglichst viele Religionsführer ins Boot zu holen. Bei einem Treffen appellierte er an moralische Grundwerte.

    "Schauen Sie sich die Debatte an rund um die Gotteslästerung in der Christ-Erlöser-Kathedrale. Die Leute sagen, was regt Ihr Euch denn so auf? Da ist doch nichts dabei, das sind nun mal andere Wertvorstellungen. Noch hat die Mehrheit unserer Gesellschaft einen moralischen Konsens. Es wird jedoch alles getan, um diesen moralischen Konsens zu zerstören. Wenn aber der moralische Konsens weg ist, helfen auch keine Gesetze mehr. Moral ist das einzige Fundament, das unsere Gesellschaft heute einen kann, und noch mehr, das menschliche Geschlecht."

    Im Vielvölkerstaat Russlands leben Anhänger verschiedenster Religionen. Das reicht von Naturreligionen der Völker nördlich des Polarkreises über Juden, Katholiken, Protestanten, Hindus und Buddhisten bis hin zu Krishnas. Und allein 10 Millionen Moslems leben in Russland.

    Von einem Konsens kann also keine Rede sein. Doch die Kritik anderer Religionsführer an der Politik der orthodoxen Kirche ist eher verhalten. Zu eng sind die Beziehungen zwischen dem Patriarchat und der Politik.

    Eine Großbaustelle in Moskau. Auf einer Säule prangt ein goldener Halbmond. Dahinter grauer Beton, die Gerüste der zwei Minarette stehen schon. Drei Millionen Moslems leben in Moskau, und hier bauen sie eine neue Moschee. Es ist erst die vierte in der Stadt und es gab Stimmen, dass drei doch wohl gereicht hätten. Die Atmosphäre ist durch Anschläge islamistischer Terroristen nicht besser geworden. Damir Mukhetdinov, Vorsitzender des Rats der russischen Imame, befürchtet, das neue Gesetz könne einseitig zugunsten der orthodoxen Christen ausgelegt werden. Mit Kritik hält er sich aber diplomatisch zurück.

    "Dieses Gesetz ist sicher nicht ideal. Vieles kann man so oder so auslegen. Gerade, wenn es um die Rechte verschiedener Gruppen geht, zum Beispiel der Atheisten. Oder verletzen wir nicht die Gefühle der Hindus, wenn wir Rindfleisch essen? Wir brauchen eine genauere Definition, was eine Verletzung der Gefühle Gläubiger ist. Bisher ist das verschwommen."

    Unterdessen wird deutlich, wie weit der Kulturkampf gehen kann. In Rostow am Don wurde eine Aufführung des Musicals "Jesus Christ Superstar" verboten. Eine Gruppe orthodoxer Christen fühlte sich von so einem Umgang mit dem Heiland persönlich verletzt. Ebenso hatten auch die Nebenkläger im Verfahren gegen Pussy Riot argumentiert.

    Und im 3.500 Kilometer von Moskau entfernten Novosibirsk bedroht derzeit eine patriotisch-religiöse Gruppe einen Aktionskünstler, weil er Solidaritäts-T-Shirts für Pussy Riot verschickt. Auch er habe damit persönliche Gefühle verletzt. Persönliche Gefühle habe auch die Pop-Sängerin Madonna getroffen, als sie bei einem Konzert in Russland im Sommer zur Toleranz gegenüber Homosexuellen aufrief. Sie verstieß damit angeblich gegen ein Gesetz, das das Propagieren von Homosexualität unter Strafe stellt. 8,3 Millionen Euro Schadensersatz fordern die Kläger, eine Organisation, die sich "Gewerkschaft der Bürger Russlands" nennt und von kolossalen moralischen Schäden spricht und davon, dass die Strafe so hoch sein müsse, "dass die Sängerin über ihre Taten ins Grübeln" komme.
    Während der Debatte in der Duma über das Blasphemie-Gesetz trat auch ein Abgeordneter der Kommunistischen Partei ans Rednerpult, immerhin der zweitstärksten Kraft in Russland. Er äußerte sich erstaunlich kritisch, hatten seine Parteiführer mit der Regierungspartei doch längst alles abgesprochen.

    "Sehr geehrte Abgeordnete, Russland ist ein weltlicher Staat. Russland ist ein Vielvölkerstaat. Jedes Abweichen von diesem Prinzip ist äußerst gefährlich und kann die schlimmsten Folgen haben."